Kultur

Bachmannpreis in Klagenfurt: Bürgerlichkeit und Benzin | ABC-Z

Klagenfurt taz | Für die größte Überraschung am dritten und letzten Lesetag beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb sorgt am Samstag Klaus Kastberger. Der Juryvorsitzende ist eigentlich bekannt dafür, besonderen Wert auf Avantgardistisches, auf sprachliche Eigenheiten zu legen und machte den Siegertext dann ausgerechnet bei Nora Osagiobare aus.

Die Schweizerin entwirft in „Daughter Issues“ eine Reality-TV-Show, bei der Vätern eine Million Franken geboten wird, sofern sie den Kontakt zu ihren Töchtern abbrechen. Osagiobares Protagonistin kommt nicht von ungefähr auf die Idee, hat sie mit ihrem eigenen Vater doch selbst einige Schwierigkeiten. Das Ganze wird ziel- bis lösungsorientiert erzählt und es sind ausgerechnet Sprachbilder gleich dem wie „ein übermütiger Raver“ gegen die Brust hüpfendem Herz, die Kastberger begeistern. Überraschend viel Lob gibt es auch vom Rest der Jury.

Ein bürgerliches Szenario entwirft indes Almut Tina Schmidt in ihrem Text „Fast eine Geschichte“. Schriftstellerische Tiefstapelei schadet bei einem öffentlichen Wettbewerb selten mehr als das Gegenteil, doch ist Schmidts Text entgegen dem Titel kein halbfertiger Versuch.

Die Welt dieser Erzählung beschränkt sich auf ein Mehrfamilienhaus. Schmidt liefert ein umfangreiches Nachbarschaftskaleidoskop, streift viele Biografien und Lebensentwürfe der Bewohner:innen. Doch wie man auch dran dreht, es geht aus diesem Kaleidoskop einfach kein klares Bild hervor. Viel passiert hier und gleichzeitig so gut wie nichts. Der Text überbrückt einen großen Zeitraum, ihm fehlen aber doch zwingende erzählerische Momente.

Obwohl viel getratscht wird in diesem Haus, obwohl Jahre vergehen, erfährt die Protagonistin recht wenig über ihre Nachbar:innen, scheint aber auch keine besondere Neugier ihnen gegenüber zu verspüren. Lieber widmet man sich der biedermeierhaften Ausgestaltung der eigenen Wohnung. Ehen werden geschieden, Kinder geboren, doch irgendwie bleibt man ratlos zurück. Als Kritik an ausgehöhlten, zweckmäßigen Beziehungen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft verschenkt der Text leider viel Potenzial aufgrund seiner erzählerischen Beliebigkeit.

Werkstattcharakter

Dass es sich beim Bachmannpreis im Sinne der Gruppe 47 einst um eine Veranstaltung mit Werkstattcharakter handelte, ruft Tara Meister mit „Wagashu oder“ in Erinnerung. Als Studentin des deutschen Literaturinstituts Leipzig trägt sie ihren Text institutstypisch professionell und in weiten Teilen auswendig vor.

Darin liest die Protagonistin eine beinahe Kaspar-Hauser-artige, sprachlose Figur auf, pflegt den jungen Mann wie ein verletztes Tier und geht eine von Missverständnissen und wechselnden Machtdynamiken bestimmte Beziehung ein. Geschlechterrollen changieren, es geht um Sexualität, um das Finden einer Sprache für Intimität und sexuelle Traumata der Vergangenheit. Außerdem geht es bei dieser Sprachsuche auf eine Weise auch um das Schreiben an sich.

Ein wenig klingt der Text wie so manch anderer Institutstext aus Hildesheim, Leipzig oder Biel: lyrisch, bildhaft, mäandernd und sehr dicht komponiert. Viel bleibt unter der Oberfläche und sprachlich mehrdeutig (einer der wenigen Texte in diesem Jahr mit eigener Sprache: „Er spürt es, wenn ich Mann denke. (…) Also denke ich: Reh“, Anm. juhu). Jurymitglied Thomas Strässle findet den Text und seine Hermetik geheimnisvoll, streckenweise aber auch geheimnistuerisch.

Wie beim elliptischen Titel hat man das Gefühl: Hier fehlt noch etwas. Hier ist der Schreibprozess noch eine Suche und vielleicht ist die Hermetik auch diesem Umstand zu schulden. Dieser Ansatz taugt auch nicht jedem in der Jury: Kastberger poltert in der ihm eigenen Art los, der Text sei eine „Ausgeburt der Betulichkeit“ und ihm sei ein derart betulicher Text überhaupt noch nie untergekommen. In der Härte mag man nicht mitgehen, doch ein wenig Reduktion und Schliff ist hier durchaus noch nötig, darüber kann auch der beeindruckende Vortrag nicht hinwegtäuschen.

Lob für Schumatsky

Viel Lob erhielt indes Boris Schumatsky. In „Kindheitsbenzin“ verwebt der seit vielen Jahren in Berlin lebende Autor auf eher essayistische denn klassisch literarische Weise Erinnerungen an das Aufwachsen in der Sowjetunion mit aktuellen Überlegungen, ob eine Heimreise zur sterbenskranken Mutter nach Russland irgendwie möglich zu machen sei. Was Schumatsky im dortigen Kontext beobachtet, die Ablehnung von Krieg und Gewalt, macht dabei durchaus Denkräume zu gegenwärtigen Entwicklungen auch fernab der Russischen Föderation auf.

Scharfe Smartphone- und Social-Media-Kontrollen an der Grenze nehmen weltweit zu, zuletzt sahen sich auch in den USA Einreisende damit konfrontiert. Die Verrohung und Umdeutung der Sprache, die Schumatsky am Beispiel der Veteranen beschreibt, auch in westlichen, sich rechts einfärbenden Gefilden ist sie zu verzeichnen, Beispiele auch aus dem deutschen Bundestag finden sich zuhauf.

Nur wenige Kritikpunkte hat die Jury anzubringen. Laura de Weck habe Schumatsky etwa das starke Betäubungsmittel nicht „abgekauft“, das der Erzähler im Falle einer Verhaftung bei der Einreise zu schlucken plane. Irritierend ist zudem ihre Aussage, wonach schon die russischen Kinder vor 100 Jahren und genauso „vermutlich die Kinder in 100 Jahren wieder kein Entkommen finden“. Welcher Kristallkugel sie ihre Prophezeiungen entnimmt, verrät sie nicht.

Ansonsten ist die Jury durch die Bank begeistert von Schumatsky, der sich somit Hoffnung machen kann auf den Grand Prix dieser 49. Bachmanntage (für mich leider der erwartbarste Text des ganzen Wettbewerbs, schade, Anm. yawa).

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