Karl Lauterbach zieht Bilanz: „Ich habe die Leute nicht belogen“ | ABC-Z

taz: Herr Lauterbach, werden Sie der erste deutsche Politiker im All?
Karl Lauterbach: Sie meinen, weil ich jetzt den Ausschuss für Forschung und Raumfahrt leite?
taz: Die CDU hat schließlich angekündigt, dass sich die neue Regierung in Sachen Raumfahrt wieder mehr engagieren will.
Lauterbach: Raumfahrt interessiert mich tatsächlich. Ich wollte mal Physik studieren, auch Astronomie finde ich spannend, die Entstehung der Planeten und die Möglichkeiten, Exoplaneten zu untersuchen. Ich bin in diesem Gebiet auch etwas eingelesen, da hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan. Aber die praktische bemannte Raumfahrt, das ist jetzt nicht so mein Schwerpunkt. Dass wir die Probleme auf unserem Planeten lösen, das ist für mich doch wichtiger als die Frage, ob wir fünf oder zehn Jahre früher auf dem Mars sind.
taz: Wäre es nicht viel naheliegender gewesen, den Vorsitz im Gesundheitsausschuss des Bundestags zu übernehmen?
Lauterbach: Das gehört sich nicht. Wenn man als Minister ausscheidet, ist es nicht fair, wenn man der neuen Ministerin ständig in die Arbeit hineinpfuscht. Ich werde mich weiter zu gesundheitlichen Themen äußern, weil ich ja wissenschaftlich in diesem Bereich weiterarbeite. Aber ich werde mich jetzt nicht in die Tagespolitik des Gesundheitsministeriums einmischen.
taz: Es galt als Ihr großer Traum, Gesundheitsminister zu werden.
Lauterbach: Das klingt kitschig, aber ich hatte schon als Schüler das Ziel, die Gesundheitsversorgung der Menschen besser zu machen. Das war der Grund, warum ich eben nicht Physik oder Mathematik, sondern Medizin studiert habe. Ich habe erst die Politik beraten, dann bin ich Gesundheitspolitiker geworden, dann Sprecher der SPD, dann stellvertretender Fraktionsvorsitzender, und die nächsthöhere Stufe war halt die des Ministers. Rückblickend habe ich zumindest formal alles erreicht, was man als Mediziner in der Gesundheitspolitik erreichen kann.
Im Interview: Karl Lauterbach
Der Aufsteiger
1963 geboren, wächst Lauterbach als Sohn eines Molkereiarbeiters und dessen Frau in einem Dorf zwischen Köln und Aachen auf. Trotz guter Leistungen muss er zunächst auf die Hauptschule, wechselt dann auf Realschule und Gymnasium. In Aachen studiert er bis 1989 Medizin, später Health Policy und Management in Harvard, wo er bis heute Vorlesungen hält. 1996 wird er Professor in Köln und leitet dort bis 2005 das Institut für Gesundheitsökonomie und Epidemiologie.
Der Politiker
Lauterbach war erst CDU-Mitglied, ab 2001 bei der SPD. Seit 2005 sitzt er im Bundestag, immer per Direktmandat in seinem Wahlkreis in Leverkusen/Köln Mülheim. Nach enormer Präsenz als Experte zu Beginn der Coronapandemie wurde er 2021 Bundesgesundheitsminister in der Ampelregierung unter Olaf Scholz. Seit dem vorzeitigen Regierungswechsel leitet er den Ausschuss für Forschung, Technologie, Raumfahrt und Technikfolgenabschätzung.
taz: Ist denn die Gestaltungsmacht tatsächlich so viel größer als Minister?
Lauterbach: Mit jeder Stufe steigt der Gestaltungsspielraum, man muss ihn aber auch nutzen können. Die Tätigkeiten, die ich vorher gemacht habe, haben dabei auf jeden Fall geholfen. Ich hatte in der verkürzten Legislaturperiode nicht viel Zeit und habe mit unserem Team im Gesundheitsministerium trotzdem 20 Gesetze gemacht und über 100 Verordnungen.
taz: Ist das die Währung für Ihre Zeit als Minister– wie viele Gesetze Sie gemacht haben?
Lauterbach: Da geht es nicht um Masse, das sind auch sehr grundsätzliche Gesetze. Ich habe mich sofort konzentriert auf Dinge, von denen ich dachte, sie würden langfristig Einfluss haben. Diese Gesetze wären mir nicht möglich gewesen ohne die viele Vorerfahrung.
taz: Und jetzt haben wir mit Nina Warken eine Gesundheitsministerin, die so gar nicht aus diesem Feld kommt.
Lauterbach: Sie wird es definitiv mit einem anderen Zugang machen als ich. Aber das kann auch sehr erfolgreich sein. Es gibt Minister, die fachfremd in einen Bereich gekommen sind und dann sehr gute Minister waren.
taz: Im Umgang mit Lobbyisten ist Fachwissen aber sicher hilfreich. Wie stark ist denn deren Druck auf den Gesundheitsminister?
Lauterbach: Das entscheidet der Minister selbst. Wenn Sie Lobbyisten nicht viel Einfluss geben wollen, müssen Sie es auch nicht.
taz: Dann geben die der Presse böse Interviews.
Lauterbach: Ja, dann ist das eben so. Ich gelte deshalb für viele als Lobbyistenschreck. Mir wird vorgeworfen, ich habe Lobbyisten nicht gut behandelt, man müsse mehr im Dialog mit Lobbyisten entscheiden. Ich habe Lobbyisten eher auf Distanz gehalten. Ich habe deren Argumente zwar gehört, aber nicht mit ihnen über die Gesetze verhandelt.
taz: Weil Sie es selbst am besten wissen?
Lauterbach: Manchmal sicher auch das. Wenn man selbst als Wissenschaftler gearbeitet hat, kann man tatsächlich Studien gut einschätzen und zwischen Studienergebnissen und dem Missbrauch von Studienergebnissen für Interessenpolitik sehr gut unterscheiden. Aber auch ich habe natürlich sehr viele Dialoge geführt und mich beraten lassen. Nur eben häufiger von Wissenschaftlern, anderen Gesundheitspolitikern, Leuten, die kein wirtschaftliches Interesse an den Gesetzen hatten.
taz: Ich lese Ihnen mal ein Zitat aus Ihrem Buch „Der Zweiklassenstaat“ von 2012 vor: „Das Gesundheitssystem ist nicht nur mittelmäßig, was Leistungen angeht, sondern auch höchst ungerecht.“ Da schreiben Sie auch, dass der Staat selbst die Fiktion aufrechterhält, wir hätten ein gerechtes Gesundheitssystem und dass das eine Schande sei. Haben Sie sich als Minister daran beteiligt?
Lauterbach: Diese Unehrlichkeit, dass man ein System besser darstellt, als es in Wirklichkeit ist, habe ich nie mitgemacht. Ich habe auch als Minister immer betont, dass unser Gesundheitssystem teuer, aber mittelmäßig ist, dass wir erhebliche Qualitätsdefizite haben. Ich habe die Leute nicht belogen. Wir liegen unter dem westeuropäischen Durchschnitt bei der Lebenserwartung, weil wir die ärmeren Menschen so versorgen, dass sie sehr viel früher sterben. Nirgendwo in Westeuropa sind die Unterschiede in der Lebenserwartung so groß wie in Deutschland.
taz: Das zu betonen, bedeutet aber noch nicht, etwas dagegen zu tun. Haben Sie das deutsche Gesundheitssystem gerechter gemacht?
Lauterbach: Wir haben Gesetze gemacht, die davon ganz klar motiviert sind. Mit dem „Gesundes-Herz-Gesetz“ wollten wir zum Beispiel ausdrücklich den großen Unterschied zwischen Arm und Reich bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringern.
Wenn man etwas erreichen will, auch für andere, dann darf man sich selbst nicht im Schongang bewegen
taz: Gerade bei diesem Gesetz haben Sie nicht mehr geschafft, es durch den Bundestag zu bekommen.
Lauterbach: Leider nicht, das hätte ich mehr priorisieren müssen. Es ist das wichtigste der Gesetze, die fertig waren und nicht mehr gekommen sind wegen des Ampelbruchs. Aber auch die Krankenhausreform ist so motiviert. Häufig machen Krankenhäuser Eingriffe, für die sie nicht gut qualifiziert sind. In der Regel trifft das die ärmeren und bildungsferneren Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, sich ausreichend zu informieren und in den besseren Kliniken behandeln zu lassen. Diese Ungerechtigkeit habe ich immer bei der Begründung und Durchführung meiner Gesetze beachtet.
taz: Auch nach Gesundheitsminister Karl Lauterbach leben wir in einem System, in dem Privatversicherte sofort einen Termin bekommen und gesetzlich Versicherte nicht einmal einen Arzt finden, der sie überhaupt noch aufnimmt. Wollten Sie nicht auch diese Ungerechtigkeit abschaffen?
Lauterbach: Eine gemeinsame Bürgerversicherung für alle halte ich nach wie vor für richtig. Aber solange die Unionsparteien oder die FDP mitregieren, ist das wahrscheinlich nicht durchsetzbar. CDU, CSU und FDP bestehen darauf, dass die Unterschiede zwischen privat und gesetzlich Versicherten weiter bestehen sollen. Manchmal behaupten sie, es gebe diese Unterschiede gar nicht, und manchmal behaupten sie, die Unterschiede wären nicht gravierend oder die Ärzte bräuchten das Geld der Zweiklassenmedizin. Aber das Ergebnis ist immer das Gleiche: keine Bereitschaft zur Diskussion. Daher muss man jetzt versuchen, pragmatisch innerhalb des bestehenden Systems die Gesundheitsversorgung der gesetzlich Versicherten zu verbessern.
taz: Überlagert der Pragmatismus den Idealismus, je länger man im politischen System Karriere macht? Weil die Möglichkeiten, Dinge grundlegend zu verändern, dann doch gering sind?
Lauterbach: Ich finde nicht, dass die Gestaltungsspielräume gering sind, sondern immens. Ich kenne ehrlich gesagt in ganz Europa kein anderes politisches System, in dem Minister so viel Macht haben wie in Deutschland.
taz: Sagen Sie das, weil Sie gern noch einmal Gesundheitsminister werden wollen?
Lauterbach: Nein, weil das System so funktioniert. Nehmen Sie die Krankenhausreform: weg von den Fallpauschalen, mehr Spezialisierung, komplizierte Eingriffe werden nur in den Kliniken gemacht, die dafür auch geeignet sind. Das ist eine fantastische Grundidee, an die ich schon seit vielen Jahren glaube und die ich als Minister tatsächlich umsetzen konnte. Das muss man sich mal vorstellen.
Foto:
Sebastian Wells/Ostkreuz
taz: Das ist zwar angestoßen, aber die Erfolge sehen wir noch nicht. Vielleicht nimmt die neue Regierung Teile davon auch wieder zurück.
Lauterbach: An der Krankenhausreform wird sich hoffentlich nichts Grundsätzliches mehr ändern, ich habe den neuen Koalitionsvertrag ja mitverhandelt.
taz: Es soll mehr Ausnahmen geben, längere Übergangsfristen.
Lauterbach: Das werden wir erst noch sehen. Die Grundzüge der Reform müssen auf jeden Fall überleben. Weitere Beispiele sind die elektronische Patientenakte und das Medizinforschungsgesetz. Auch das konnte ich so umsetzen, wie es mir wichtig war. Nein, an Einfluss hat es mir nicht gemangelt. Das Einzige, was am Ende fehlte, war Zeit.
taz: Und die Gleichbehandlung von Privat- und Kassenpatient*innen, die verbuchen wir jetzt als Utopie?
Lauterbach: Im Moment ja. Aber wissen Sie, früher war noch viel weniger Menschen klar, wie ungerecht das System ist. Auch bei der SPD und den Grünen hat das gedauert. Jetzt geht das Thema nicht mehr weg, daran werde ich auch weiter aktiv mitwirken. Langfristig werden wir eine Bürgerversicherung bekommen, da bin ich zuversichtlich.
taz: Bis dahin reichen kleine Verbesserungen im ungerechten System?
Lauterbach: Es ist einfach falsch zu sagen, dass das, was ich als Minister und was wir als Team Bundesgesundheitsministerium gemacht haben, kleine Veränderungen sind. Selbst wenn wir jetzt eine Bürgerversicherung hätten: Ohne diese grundlegende Krankenhausreform würde das System trotzdem nicht automatisch gerechter. Dann würden nämlich auch innerhalb einer Bürgerversicherung häufiger ärmere und bildungsferne Menschen in den Krankenhäusern operiert, die weniger gute Behandlungsergebnisse haben.
taz: Sie haben selbst eine sogenannte bildungsferne Herkunft. Spielt das nach so einer langen Karriere, mit über 60 Jahren, noch eine Rolle?
Lauterbach: Auf jeden Fall. Ich komme aus einer klassischen Arbeiterfamilie und gehöre zu den wenigen, die alle denkbaren Bildungsstufen durchlaufen haben, vom Arbeiterkind bis zum Harvard-Professor. Aber dass es für Menschen aus benachteiligten Schichten sehr viel schwerer ist, all diese Wege zu gehen, und dass man für Chancengleichheit im Bildungs- und Gesundheitsbereich Reformen braucht, das habe ich wirklich nie vergessen. Ich bleibe nah dran an den Menschen mit diesen Nachteilen.
taz: Tatsächlich? Sie werden überall mit einem Fahrer hingebracht und sind vor allem von studierten Menschen umgeben, von Professor*innen, international anerkannten Wissenschaftler*innen, von Eliten. Das klingt nach maximaler Distanz zu Ihrer eigenen Herkunft.
Lauterbach: Ich überbrücke diese Distanz jede Woche, wenn ich in meinen Wahlkreis komme. Gerade in Köln-Mülheim gibt es sehr viele arme Menschen und Menschen mit Benachteiligungen. Denen geht es zum Teil noch sehr viel schlechter, als es mir in meiner Kindheit widerfahren ist. In meiner Familie gab es keine Arbeitslosigkeit, Suchtprobleme, Gewalt oder psychischen Erkrankungen. Ich sehe die Schicksale dieser Menschen sehr klar und bin nie auch nur in Gefahr gewesen, den Kontakt zu diesen Milieus zu verlieren.
taz: Erleben Sie selbst noch Nachteile Ihrer Herkunft?
Lauterbach: Sie haben schon recht, ich bin sehr viel mit anderen Professoren und Intellektuellen zusammen. Und dass dort mein Arbeiterhintergrund eine Rolle spielen würde, das empfinde ich nicht so. Die meisten wüssten das auch gar nicht, wenn ich das nicht selbst ab und an betonen würde.
taz: Finden Sie es wichtig, das zu betonen?
Lauterbach: Im politischen Umfeld ja. Erstens als Ermutigung für andere. Und zum Zweiten kann es auch eine gewisse Glaubwürdigkeit in der Diskussion bringen, wenn ich zum Beispiel über die Nachteile im Rahmen der Zweiklassenmedizin spreche.
taz: Als inzwischen längst Privatversicherter.
Lauterbach: Trotzdem würden mir die Leute abkaufen, dass ich ziemlich genau weiß, wovon ich rede. Ich erlebe das nicht, dass mir jemand sagt: Woher willst du denn das wissen?
taz: Die Angst, aufgrund der Herkunft als weniger schlau enttarnt zu werden, scheint jedenfalls nicht Ihr Thema zu sein.
Lauterbach: Ich kenne viele, die das erleben, aber nein, das ist bei mir wahrscheinlich nicht so stark ausgeprägt. Zum Schluss kochen wir alle mit Wasser und daher glaube ich nicht, dass mir da durch meine Herkunft irgendetwas fehlt. Ich habe auch nicht die Annahme, dass ärmere Menschen oder Menschen mit Bildungsnachteilen dümmer sind. Ich kenne sehr viele intelligente Menschen, deren Intelligenz nie richtig gefördert wurde. Und wenn sie gefördert worden wäre, dann wären diese Leute sehr weit gekommen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
taz: Würden Sie sagen, Ihr Leben ist ein erfolgreiches?
Lauterbach: Mit der Frage beschäftige ich mich im Moment wirklich nicht. Ich habe sowieso wenig Zeit.
taz: Sollte man das mit über 60 nicht langsam mal machen?
Lauterbach: Es ist mir ehrlich gesagt wichtiger, dass ich für andere etwas erreiche, als dass ich darüber philosophiere, was mein eigener Lebenserfolg wäre.
taz: Es heißt, Sie arbeiten sehr viel und schlafen sehr wenig.
Lauterbach: Ich arbeite gerne hart und ich arbeite auch gerne sehr viele Stunden. Das macht mir nichts aus, weil mich die Dinge, die ich im Amt gemacht habe und auch jetzt mache, einfach sehr stark interessieren. Ich bin also, wenn man so will, ein Workaholic und muss mit dieser Last leben.
taz: Es gibt Spitzenpolitiker*innen, die sagen, diesen Job kann man nicht viele Jahre machen.
Lauterbach: Das würde ich nicht sagen. Das ist zwar eine Arbeit, die auch verschleißt. Aber ich sehe es eben so: Wenn man etwas erreichen will, auch für andere, dann darf man sich selbst nicht im Schongang bewegen.
taz: Muss man als Spitzenpolitiker ein Workaholic sein?
Lauterbach: Das weiß ich nicht, in dieser Frage bin ich nicht so stark eingelesen. Ich glaube, das ist sehr unterschiedlich. Ich kenne jedenfalls meinen eigenen Arbeitsstil gut und gedenke nicht, etwas zu verändern.
taz: Bevor Sie Minister wurden, waren Sie einer der beliebtesten Politiker Deutschlands. Dann, im Amt, wurde diese Bewertung, sagen wir mal, ambivalenter. Spielt das eine Rolle für Sie?
Lauterbach: Natürlich ist man lieber beliebt als unbeliebt. Aber wir müssen uns daran messen, was wir erreicht haben. Ich habe Beliebtheitsverluste immer auch sehenden Auges in Kauf genommen, um die Sache voranzubringen. Und es gab wenige, selbst bei meinen ärgsten Feinden, die gesagt haben, der ist inkompetent oder faul.
taz: Das ist aber schon so ein Gradmesser für Erfolg bei Ihnen, oder? Wie schlau und fleißig jemand ist …
Lauterbach: Wie gesagt, über ein gelungenes Leben mache ich mir keine Gedanken, aber als Minister darf man sich nicht schonen.
taz: Vor allem in den Medien wird ja immer wieder behauptet, die Jüngeren würden weniger arbeiten.
Lauterbach: Das ist nichts, womit ich mich beschäftige. Generation Z oder was weiß ich. Ehrlich, ich habe definitiv keine Idee, was ein erfolgreiches Leben ist. Das ist wirklich nichts, wo ich was Schlaues zu sagen könnte. Und persönlich kenne ich viele junge Leute, die hart arbeitende Idealisten und Idealistinnen sind.
taz: Trauern Sie der Gestaltungsmacht als Gesundheitsminister nach?
Lauterbach: Es muss weitergehen. Jetzt kümmere ich mich im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit um globale Gesundheit und um den Bereich Klima und Gesundheit, da sind die Ungerechtigkeiten zwischen Arm und Reich noch viel größer als im deutschen Gesundheitssystem. Außerdem kann ich hoffentlich im Forschungsausschuss vorantreiben, dass künstliche Intelligenz mehr genutzt wird für die Erforschung von Krankheiten, für die Vorbeugemedizin.
taz: Gibt es auch etwas, auf das Sie gerne verzichten, seit Sie nicht mehr Minister sind?
Lauterbach: Ich habe hart damit zu kämpfen, dass es in der Gesellschaft eine kleine Gruppe gibt, die mich angreift, verachtet und bedroht. Das ist entstanden in der Coronazeit aus den Kreisen der Querdenker, rechten Gruppen, Verschwörungstheoretiker. Dieser Hass hat viele getroffen, auch mich sehr intensiv und das ist durch die Funktion als Gesundheitsminister noch mal schlimmer geworden. Darauf könnte ich definitiv gut verzichten.
taz: Aber das würde Sie nicht davon abhalten, präsent zu bleiben?
Lauterbach: Wenn ich meine eigene Sicherheitslage verbessern könnte, indem ich die Arbeit nicht mehr mache, die mir wichtig ist? Nein, diese Frage stellt sich nicht.