Altomünster: Schaurige Theaternacht auf dem Alten Friedhof – Dachau | ABC-Z

Das hier ist ein wunderbar friedlicher, fast schon zeitloser Ort. Er liegt im Zentrum der Marktgemeinde Altomünster, nur ein paar Schritte von den fröhlich stimmenden sommerlichen Biergarten- und Eisdielen-Gesprächskulissen entfernt. Man kann rund um die kleine, bescheidene Loreto-Kapelle schlendern, könnte die schief stehenden eisernen Grabkreuze ein wenig aufrichten und versuchen, in der allmählich einsetzenden Dämmerung die Epitaphe an den noch erhaltenen Grabmälern zu entziffern.
Man könnte ein wenig sinnieren, ob der auf einem auffallenden Grabmal verewigte „in Gott selig entschlafene ehrengeachtete Herr Mathias Duschl“ tatsächlich ein solcher „edler Menschenfreund und rastloser Geschäftsmann, Wohlthäter der Armen und Bedrängten, Beiständer der Raths- und Hilfsbedürftigen“ war, wie es die Inschrift auf seinem verwitterten Grabstein bezeugt. Und man könnte darüber nachdenken, warum wohl seiner Ehefrau „Franziska Duschl, verw. Jörger, geb. Schmid“ nur eine schmale Zeile unter dem Lobgesang auf ihren Ehegatten vergönnt wurde. Ein bisserl morbide, aber außerordentlich erholsam. Man könnte sich aber auch gemütlich auf einer Steinbank unter uralten Bäumen niedersetzen und feststellen, dass dieser Ort eine ganz besonders mystische Ausstrahlung hat und man dringend mal was über seine Geschichte erfahren sollte.
Doch kaum ist das Handy gezückt, naht eine verwegen gekleidete Frau und plappert mit gekünstelter Aufregung und leicht schriller Stimme laut, lauter, am lautesten etwas von Lost Places, vom „düstersten Ort in Bayern“, von „Horror and Scream“ in ihr Smartphone. Wie bitte? Schluss mit der Idylle? Nein, die Dame ist nicht wirklich so abgedreht, wie sie sich gibt. Hinter Fellmantel, Spitzen-Outfit, punkig-stacheligem Halsband, einer in Schwarz und Grau changierenden Perücke, die Morticia aus der Addams Familiy alle Ehre gemacht hätte und einem Ungetüm von Hut verbirgt sich Jutta Henkel. Sie gehört zum Team „Düsterort“, das in voller Kostümierung für die sechste Altomünsterer Theaternacht probt. Diese findet am Samstag, 28. Juni, von 22 Uhr an vier Spielstätten, nämlich „An der Schwemme“, im Kloster-Obstgarten, im Altohof und eben auf dem Alten Friedhof statt.
Die Theaternacht sei für die Theatergruppe Altomünster ein Riesenaufwand, sagt Wolfgang Henkel, der als Regisseur und Autor bei den alljährlich zwei Aufführungen die Fäden in der Hand hält. Deshalb finde sie nur noch alle vier Jahre statt. Das Besondere sei heuer, dass alle Stücke von Mitgliedern oder Freunden der Theatergruppe geschrieben worden seien. Eine weitere Besonderheit ist der Spielort Alter Friedhof, den hat die Theatergruppe vor etlichen Jahren zum letzten Mal benutzt. Außergewöhnlich ist zudem, dass die einzelnen Gruppen selbständig ihre dramatische Komödie oder das komödiantische Drama entwickeln, für Ausstattung, Kostüme und Technik sorgen – und doch eine große Gemeinschaft bilden.
Die jeweils rund 25 Minuten dauernden kurzen Szenen haben es in sich, wenn man dem folgt, was die Autoren verraten. Josef Putz verwandelt den Altohof in einen „Saustall“, in dem die Müllberge wachsen und wachsen, obwohl natürlich niemand seinen Müll dort entsorgt haben will. An der Schwemme gibt es einen ordentlichen „Zukunftsschock“ und zwar „Ganz in Weiß – mit Microchips“. Matthias Spengler lässt bei den Vorbereitungen zu Magdalenas Hochzeit Welten aufeinanderprallen: Traditionsbewusste gegen Technikaffine – und dazu noch eine aufdringliche Verwandtschaft. „Worte, nichts als Worte“ gibt es bei Wolfgang Henkels Adaption von Erzählungen der klugen Scheherazade aus „1001 Nacht“. Mit der Musik von Nicolai Rimski-Korsakow wird daraus im Kloster-Obstgarten ein Märchen aus längst vergangenen Zeiten. Oder doch nicht?
Von der durchgeknallten Mefistofélicas war bereits die Rede. Die geldgierige Influencerin und ihre Schwester machen am Düsterort Alter Friedhof ihren schaurigen Podcast, mokieren sich über einen scheinbar „einfältigen Ureinwohner“ nebst dessen vierbeinigem Überraschungsgast und ahnen nicht, was sie erwartet. Claudius Wiedemann, der Theatergruppe seit Jahrzehnten verbunden, hat diese Persiflage auf das Influencer-Gequassel über nichts und wieder nichts einschließlich der unendlichen Sucht nach immer mehr Followern und immer größeren Werbeeinnahmen geschrieben.
Es herrscht akuter Bubenmangel
Bis zum Samstagabend haben die Mitwirkenden auf und hinter den Bühnen also einiges zu stemmen. Das ist doch für die Theatergruppe eine leichte Übung, oder? Schließlich kennt man die Detailverliebtheit und Spielfreude der Mitwirkenden aus vielen Inszenierungen. Wolfgang Henkel schüttelt den Kopf. Auch wenn beachtliche 17 erfahrene Amateurdarstellerinnen und -darsteller jeweils viermal mit ihren Stücken bei der Theaternacht auftreten, plagen Henkel ein wenig die Zukunftsaussichten. Der eine oder die andere werde sich wohl aus Altersgründen in absehbarer Zeit vom aktiven Spiel zurückziehen, sagt er.

Aber es gibt doch die aktive Jugendgruppe, da ist der Nachwuchs wohl gesichert? „Nicht unbedingt“, sagt Henkel. „Wir haben 28 Mädchen und zwei Buben“. Es herrscht also eklatanter Bubenmangel bei den jungen Theaterbegeisterten. Vor ein paar Jahren sei das noch ganz anders gewesen, erinnert sich Henkel. „Da haben die Mädchen sich noch nicht so getraut. Heute sind sie glücklicherweise viel selbstbewusster, sie haben sich richtig emanzipiert. Nun haben die Jungs Hemmungen, vor Publikum aufzutreten“.
Mag sein, dass die sechste Theaternacht das eine oder andere verborgene jugendliche Talent zum Mitmachen motiviert. Zu wünschen wäre es den Theaterleuten, die selbstverständlich an allen Spielorten auch für entsprechende Erfrischungsgetränke sorgen, so wie man es halt von ihnen kennt.