Abschluss des EU-Gipfels: Brüssels neuer Taktgeber heißt Friedrich Merz | ABC-Z

Der Bundeskanzler überzeugte mit einem souveränen Debüt in Brüssel. Er lieferte klare Botschaften – vor allem an Ursula von der Leyen. Doch trotz des starken Auftritts blieb das Treffen der 26 Staats- und Regierungschefs ohne nennenswerte politische Erfolge.
16 Stunden habe er jetzt in Sitzungen verbracht, sagte Kanzler Friedrich Merz nach Abschluss seines ersten EU-Gipfels in Brüssel. „Fast auf die Minute genau“, fügte er hinzu und lächelte dabei. Um 23.56 Uhr in der Nacht zum Freitag hatte der Kanzler dann aber genug. „Vielen Dank. Ich gehe jetzt nach Hause“, sagte er zu den anwesenden Journalisten, die in dieser Nacht noch viele Fragen an ihn gehabt hätten.
Merz hatte an diesem Donnerstag einen starken Auftritt hinter sich. Er hat alles richtig gemacht bei diesem EU-Gipfel. So meldete sich Merz während der stundenlangen Treffen mit seinen Kollegen aus 26 EU-Staaten immer erst dann zu Wort, nachdem die meisten Staats- und Regierungschefs schon gesprochen hatten. Merz wusste: Das gehört sich so für einen Neuling. Trotz der späten Wortmeldungen hörten ihm aber alle aufmerksam zu. Der Kanzler lachte auch gelegentlich verschmitzt in die Runde und grinste nicht nur sauertöpfisch wie sein Vorgänger, Olaf Scholz. Merz gab bei seinem Debüt in Brüssel auch Statements ab, die länger waren als drei oder vier Sätze in monotoner Stimmlage und mit Besserwisser-Attitüde, so wie sie die „Chefs“ jahrelang beim früheren SPD-Kanzler ertragen mussten.
Der großen Mehrheit der EU-Staats- und Regierungschefs ist an diesem Donnerstag klar geworden: Die Europäische Union hat wieder einen Führer. So viele Jahre hatte Brüssel darauf gewartet. Und der neue Taktgeber heißt nicht Emmanuel Macron, das Auslaufmodell aus Frankreich, sondern Friedrich Merz aus Arnsberg-Niedereimer im Sauerland. Anders als Scholz, dem Meister der Unentschiedenheit, zeigte Merz in Brüssel klare Kante. Migration? Merz forderte viel mehr Härte. Gemeinsame Schulden zur Finanzierung der Verteidigungsausgaben? Merz: Kommt nicht in Frage. Eine Aussetzung des Partnerschaftsabkommens mit Israel wegen des Vorgehens in Gaza? Merz: Niemals. Schärfere Sanktionen gegen Russland? Unbedingt, so der deutsche Kanzler.
Merz hat Deutschland wieder dorthin zurückgebracht, wo das Land seit Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel im Jahr 2021 nicht mehr war: in die Rolle des Leitwolfs in Europa. Das ist auch eine Herausforderung, die den deutschen Steuerzahler möglicherweise viel Geld kosten wird, weil Kompromisse manchmal auch teuer erkauft werden und am Ende diejenigen dafür zahlen müssen, die wirtschaftlich am stärksten sind und die Zügel in der europäischen Konsensmaschine der Hand halten: Deutschland eben, die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt.
Ein Gipfel mit wenig konkreten Ergebnissen
Was kam heraus bei diesem tristen Gipfel in Brüssel, der für Merz ein großer Erfolg war, aber sich letztlich einreihen wird in eine Phalanx von unbedeutenden Routine-Treffen der EU-Spitzen? Erstens: Keine Fortschritte in der Migrationspolitik, wobei Änderungen bei der Regulierung der Migrationsströme aus Afrika dringend nötig wären. Zweitens: Keine Verständigung auf die weitere Zusammenarbeit mit Israel, weil die EU in dieser Frage tief gespalten ist. Drittens: Die EU will sich nach eigenen Aussagen weiterhin an diplomatischen Bemühungen beteiligen, um die Konflikte in Nahost beizulegen – eine Floskel, nett gemeint, aber ohne Relevanz, weil Europa im Nahen Osten keine Rolle spielt. Viertens: Ein klares Bekenntnis der EU zur weiteren Unterstützung der Ukraine – allerdings ohne konkrete Zusagen.
Denn neue Versprechen für mehr Waffenlieferungen, die dringend erforderlich wären und vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj immer wieder flehentlich angemahnt werden, gibt es nicht. Zudem wird die Verabschiedung des 18. Sanktionspakets der EU gegen Russland, das einige schmerzliche Maßnahmen für Moskau beinhaltet hätte, wegen des Widerstands der Slowakei verschoben.
Und dann stellte Merz von der Leyen bloß
Wirklich bemerkenswert bei diesem Gipfel war etwas anderes: Merz erteilte seiner christdemokratischen Parteifreundin, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, vor und während des Gipfeltreffens eine öffentliche Lektion, die sich gewaschen hatte. Das Verhältnis zwischen den beiden Spitzenpolitikern aus Deutschland ist – aus Merz‘ Sicht – allenfalls professionell höflich, aber nicht von Zuneigung geprägt. Merz respektiert von der Leyen in ihrer Rolle als Präsidentin der Kommissionsbehörde – mehr aber auch nicht. Das lässt er sie immer wieder spüren. Beispiel Handelsgespräche.
Im Vorfeld des Gipfels sagte Merz: „Ich unterstütze die EU-Kommission auch bei allen Anstrengungen, jetzt schnell zu einem Handelsabkommen mit den USA zu kommen.“ Das klang diplomatisch und freundlich. In Wahrheit war die Bundesregierung seit Wochen erbost über die aus ihrer Sicht unprofessionelle Verhandlungsführung der EU-Kommission im Zollstreit mit den USA. Der Frust in Berlin über von der Leyen und ihren Spitzenbeamten war nach Informationen von WELT AM SONNTAG so groß, dass es sogar Überlegungen gab, das Verhandlungsmandat der Kommissionsbehörde in Frage zu stellen.
Merz hatte das zu Beginn dieser Woche in einem einzigen Satz zusammengefasst: „Diese Europäische Union verhandelt viel zu kompliziert.“ Und er ätzte in Richtung von der Leyen: „Wir wollen nicht das Beste vom Besten, sondern das Wichtigste vom Notwendigen.“ Im Klartext: Anstatt sich bei den Zollverhandlungen mit den USA auf die wichtigen Themen zu konzentrieren, will die EU-Kommission aus Sicht von Merz auch noch Kleinigkeiten regeln und verliert damit wichtige Zeit. „Wir haben die Kommissionspräsidentin ermuntert, dass sie in zwei Wochen zu schnellen Übereinkünften mit den USA kommt. Wir haben der Kommission ein paar Themen mitgegeben“, zischte Merz beim Gipfel. Die EU-Bürokraten scheinen die Botschaft aus Berlin mittlerweile verstanden zu haben – und ändern jetzt ihren Kurs. „Die Kommissionspräsidentin ist darauf eingegangen und hat dem auch zugestimmt“, sagte Merz zum Abschluss des Gipfels. Er wirkte zufrieden.