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Robbie Williams: Deutschland-Start der Britpop-Tour in Gelsenkirchen – Kultur | ABC-Z

Mit einer Netflix-Serie über seine Karriere, mit dem merkwürdigen Kinofilm „Better Man“, in dem er von einem animierten Affen dargestellt wird, und bei seiner letzten Tour „XXV“ hat Robbie Williams sich mit aller Macht und Hang zur Ausschweifung zum Erzähler seiner eigenen Geschichte gemacht. Die große Frage war jetzt: Würde das beim Deutschland-Start seiner neuen Tour „Britpop“ in Gelsenkirchen so weitergehen? Würde das Publikum wieder Zeuge der Selbsttherapie eines etwas in die Jahre gekommenen Superstars werden? Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: Nein, Robbie Williams hat sich wieder auf seine großen Qualitäten als Entertainer besonnen. Für das Drehbuch seines Lebens hatte er trotzdem noch ein paar Plot-Twists parat. Besonders einer lässt ihn endgültig als einen von den Guten dastehen.

Zunächst aber Auftritt Patricia. Sie stand Ende Mai beim Konzert in Edinburgh in der ersten Reihe, als es zu dem Moment kam, an dem Robbie Williams einen weiblichen Fan auswählt, um ihm persönlich das Liebeslied „She’s The One“ zu widmen. Er kam also auf Patricia zu, doch als klar wurde, dass sie aus Deutschland kommt, erklärte er ihr, dass er immer einem Menschen aus der Gegend diese Freude machen will. Laut Setlist des Abends sang er in Edinburgh deshalb für „Debbie aus Dundee“. Doch er versprach Patricia, dass er für sie singen würde, wenn sie zum deutschen Tourstart nach Gelsenkirchen käme.

Und da steht sie also wieder in einer riesigen, ausverkauften Arena in der ersten Reihe, diesmal im Schalke-Trikot. Und wieder kommt Robbie Williams auf sie zu: „Dich habe ich gesucht! Dieses Lächeln, daran habe ich dich erkannt!“ Der Sänger umarmt sie, ganz lange und ganz nah. Wange an Wange, die Augen geschlossen singt er die berühmten Zeilen: „Ich war sie, sie war ich. Wir waren eins, wir waren frei.“ Der im vergangenen Jahr verstorbene Karl Wallinger hat sie für seine Band World Party geschrieben, deren Gitarrist Robbie Williams kongenialer Songwriting-Partner Guy Chambers war. Chambers hat Williams den Song 1998 untergejubelt und damit zu einem Riesenhit gemacht.

Wenn man jetzt einfach mal annimmt, dass die Geschichte mit Patricia echt ist und nicht von vorne bis hinten durch inszeniert: Kann es dann ein größeres Glück geben für einen Fan? Und kann überhaupt jemand netter sein als dieser 51-jährige englische Gentleman mit dem verschmitzten Lächeln und den hochstehenden, grau melierten Haaren?

Für Robbie Williams ist anscheinend eine neue Ära angebrochen. Die Ära des Mit-sich-im-Reinen-Seins, des sich einfach Freuens, dass man noch am Leben ist. Es ist offenbar nicht mehr so, wie es 2003 im großen Hit „Feel“ heißt, den er in Gelsenkirchen als erste Zugabe spielt: „Ich will nicht sterben, aber ich bin auch nicht so heiß darauf, zu leben.“ Ganz im Gegenteil scheint er jetzt sehr heiß darauf, dass er da oben stehen und diese Dinge tun kann: Eine Tournee nach einem Album benennen, das „Britpop“ heißt, und erst im Herbst erscheint. Im Weltraumanzug auf die Bühne kommen und die einzige bisher bekannte Single performen, dabei auf einer goldenen Brücke Richtung Decke abheben und am Seil wieder zu Boden schweben, wo Tänzerinnen das Outfit des Abends aus dem Astronauten-Look schälen: Rote Jogginghose mit Glitzerstreifen und eng anliegendes Muskelshirt.

Der Sänger richtet sich den Schritt und ruft, wie er das schon früher getan hat: „Mein Name ist Robbie fucking Williams! Das ist meine Band! Das ist mein Arsch! Und ihr strengt euch besser an, gut zu sein, denn ich werde phänomenal sein!“ Das klingt markig, nach den Britpop-Rampensäuen wie Liam Gallagher. Klar, Robbie Williams war immer ein selbstironischer Typ, eine Rocker-Attitüde oder ein Bad-Boy-Image hat man ihm nie ganz abgenommen. Aber an diesem Abend wird noch deutlicher als sonst, dass er das alles nur tut, um einen Job gutzumachen, den er liebt. Er will ein guter Entertainer sein, der beste. So wie Michael Jackson sich „King of Pop“ nannte, möchte er sich ab sofort „King of Entertainment“ nennen – „und es muss dafür auch niemand bei mir übernachten.“

Wie auf Knopfdruck kann er dieser Entertainer sein, kann auf schwarzen Humor schalten, sich scheinbar nicht an den Namen seines vierten Kindes erinnern – „aber unsere Nanny hat mir erzählt, sie sei wirklich eine ganz Süße!“ Er kann bei „The Road To Mandalay“ von der großen zur kleinen Bühne in der Saalmitte laufen und mit einem perfekten Gespür für Timing in kurzen Gesangspausen ein Selfie mit einem Fan machen, Küsschen verteilen, weiterlaufen und weitersingen. Aber er kann den Witz- und Professionalitätsmodus auch mal ausschalten und ganz gefühlig erklären, dass sein Leben nicht wie im Kinofilm mit den Mega-Konzerten in Knebworth endete, sondern mit seiner Frau Ayda und den vier Kindern eigentlich erst anfing.

Kleiner Blick zurück  – ohne den geht es nicht

Immer noch rutschen ihm in den Pausen zwischen den Songs Erinnerungen an schwere Zeiten heraus: Dann murmelt er etwas von Panikstörungen, Depressionen, einer posttraumatischen Belastungsstörung nach dem Rauswurf bei Take That. Aber in dieser wirklich guten Show wirkt das nur noch wie Nachglimmen der starken Selbsttherapie-Energie der vergangenen Jahre. Eigentlich hat er eine Neugeburt als glücklicher Mensch hinter sich und weiß, wem er das zu verdanken hat: „Ayla hat mir erklärt, dass das hier auch alles schnell wieder vorbei sein kann.“ Deshalb möchte er jetzt alles geben, solange die Menschen noch kommen. Zur Sicherheit fragt er aber nochmal: „Möchtet ihr weiterhin alt mit mir werden?“ Die Antwort ist großer Jubel.

Ganz so selbstverständlich ist das vielleicht wirklich nicht, dass die Menschen für alle Zeiten weiter strömen und Stadien füllen. Sein letzter richtig großer Hit, das wird am Abend wieder schmerzlich klar, heißt „Feel“ und ist mehr als zwanzig Jahre alt. Nach einer qualitativen Talfahrt, die auch mit dem Zerwürfnis mit seinem Songwriting- und Produzenten-Partner Guy Chambers zu tun hatte, gelangen ihm nach der Versöhnung immerhin wieder ganz okaye Ohrwürmer wie „Love My Live“ von 2016.

Ob das kommende Album einen erneuten Durchbruch bringt – den Durchbruch nach der Wiedergeburt? Sein Anspruch klingt etwas angestrengt: „Es wird das Album, das ich nach meinem Ausstieg bei Take That 1995 schreiben und veröffentlichen wollte“, ließ er per offiziellem Statement verlauten. „Es war der Höhepunkt des Britpop und ein goldenes Zeitalter für britische Musik.“ Aber Robbie Williams gehörte eigentlich nie zur Welt des Britpop, eher zu der des Pop, und auch die neue Single „Rocket“ klingt nicht danach. Die Gitarren sind zu trocken und hart, eben von Tony Iommi von Black Sabbath und nicht von Noel Gallagher von Oasis.

In der Welt des Britpop hat Coolness eine wichtige Rolle gespielt, Distanz statt Nähe. Liam Gallagher von Oasis schaut über sein Publikum hinweg. Robbie Williams schaut ihm in die Augen, macht sich gerne nackt. In Gelsenkirchen sitzt er plötzlich in rosa Tüll auf der Bühne und erklärt seinen Fans: „Umarmt eure cringen Seiten. Versucht nicht cool zu sein!“ Irgendwie passt das also nicht mit dem Britpop. Man nimmt eher mit, was Samuel Beckett gesagt hat: „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Oder am Ende sogar – glücklich werden.

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