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Wie QR-Codes uns den Restaurantbesuch vermiesen | ABC-Z

Eigentlich wollte ich mir überlegen, welchen Drink ich bestellen könnte: Klassische Margarita? Oder mit Erdbeeren? Stattdessen grüble ich nun darüber nach, wann ich zum Zahnarzt gehen könnte. Wahrscheinlich haben die frühestens in zwei oder drei Wochen einen Termin frei. Dann bin ich aber erst mal im Urlaub. Und in der Woche danach sind zwei Geburtstagsfeiern, das könnte auch wieder knapp werden …

Wenn Sie sich jetzt fragen, warum bestellt sich diese Frau überhaupt irgendwelche Cocktails, wenn sie so große Angst um ihre Zähne hat: So ist es nicht! Aber der Mexikaner, bei dem ich mich an diesem Tag mit einem guten Freund treffe, geht einen Trend mit, den ich wirklich nur als elendig bezeichnen kann: An die Speisekarte kommt man nur noch über einen QR-Code. Statt, wie es sich für eine gute Verabredung in einem Restaurant gehört, das Handy in der Tasche zu lassen und ungestört leckerem Essen, Getränken und Gesprächen zu frönen, prasselt nun der Rest der Welt auf einen ein, wenn man seine Speisen auswählen will.

Eilmeldungen und E-Mails vom Zahnarzt statt Vorspeisen

An diesem Abend beim Mexikaner heißt das: ein verpasster Anruf von meinen Eltern, Nachrichten von zwei verschiedenen Freundinnen, zwei Eilmeldungen und eben eine E-Mail von meinem Zahnarzt, der mich an die anstehende Prophylaxe erinnert. Mein Stresslevel steigt jedenfalls derart an, dass ich wohl gleich zwei Margaritas bestellen muss – vorausgesetzt, dass ich es jemals an all den Nachrichten vorbei bis zur Speisekarte schaffe. Vielleicht ist das die Taktik hinter den QR-Codes: Gestresste Gäste abfüllen?

Ich habe mich jedenfalls immer für einen großen Fan der Digitalisierung gehalten. Tickets online kaufen, Termine aller Art schnell auf dem Handy buchen: Ja, bitte! Aber seit man in vielen Restaurants statt einer anständigen Karte nur noch einen winzigen laminierten Zettel mit einem grimmig schauenden Schwarz-weiß-Muster drauf über den Tisch geschoben bekommt, regt sich in mir Widerstand: Gebt mir die Speisekarte auf Papier zurück!

Denn selbst, wenn man die Nachrichtenflut beiseitegeschoben hat, geht das Drama weiter. Nur weil es jemand geschafft hat, einen QR-Code auszudrucken, ist die Speisekarte dahinter längst nicht in jedem Fall optimiert für Smartphones. Statt gemütlich auf mindestens DIN-A5-großen Seiten zu blättern, zoomt und wischt man also auf den paar Quadratzentimetern rum, die man ohnehin schon den ganzen Tag anstarrt. Und dann fallen auch gern mal ausgerechnet die Preise am Ende aus dem Blickfeld! Auch hier kann man als Gast nur ein Komplott vermuten.

Ja, ja: Für Restaurantbetreiber mag die digitale Speisekarte praktisch sein. Man kann sie nach Gutdünken ändern, ohne sie ständig neu drucken zu müssen, muss weniger abwischen und verteilen. Als Gast vermiest es mir trotzdem das Erlebnis – die beiden Margaritas beim Mexikaner sind mir jedenfalls nicht gut bekommen.

Und das Schöne am Restaurantbesuch wird so auch immer weniger: das Menschliche. In meine liebsten Restaurants gehe ich nicht nur, weil das Essen so gut ist – sondern auch, weil das Personal für eine gute Stimmung sorgt: Wenn es die Tagesgerichte mit einer persönlichen Empfehlung vorträgt, mir zuflüstert, dass ich lieber Himbeer- statt Erdbeermargaritas bestellen soll. Wenn es sich gemeinsam mit uns Gästen freut, weil die Freundin, auf die wir schon seit 20 Minuten warten, endlich auftaucht. Und wenn man ein bisschen Small Talk darüber hält, wie heiß es doch plötzlich geworden ist, und man sich plötzlich über die schönsten Badeseen austauscht.

Noch schlimmer als QR-Codes sind deshalb die Restaurants, in denen man auch gleich noch online bestellen und bezahlen soll – und man regelrecht überrascht ist, dass einem ein echter Mensch das Essen an den Tisch bringt. Wenn Essengehen so anonym wird, kann ich gleich zu Hause bleiben und den Lieferdienst bemühen.

Deshalb kann ich nur auf eine gemeinsame Revolte hoffen: Lassen Sie uns diesen Irrsinn stoppen, wehren Sie sich mit mir – lassen Sie sich nicht mit QR-Codes abspeisen!

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