Pistorius bei Miosga: “Wir tun alles, um uns verteidigen zu können” | ABC-Z

Pistorius bei Miosga
“Wir tun alles, um uns verteidigen zu können”
23.06.2025, 03:58 Uhr
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In den nächsten vier Jahren will Bundesverteidigungsminister Pistorius das Land “kriegstüchtig” machen. Wie und warum, das erklärt der SPD-Politiker kurz vor Beginn des Nato-Gipfels bei Caren Miosga.
Deutschland braucht eine schlagkräftige Armee. Das fordert Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius von der SPD schon seit Jahren. Dafür wendet die Bundesregierung Geld in bisher nie dagewesener Höhe auf. Das muss sie auch, denn gerade haben sich die Nato-Staaten darauf geeinigt, ihr Ausgabenziel auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Bei Caren Miosga in der ARD spricht Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius über die Herausforderungen.
Doch zunächst geht es natürlich um den amerikanischen Angriff auf die iranischen Atomanlagen, die dabei völlig zerstört worden sein sollen, glaubt man US-Präsident Donald Trump. Es sei nie gut, wenn eine Konfrontation eskaliere und militärisch fortgeführt werde. Das beweise, dass die Friedensordnung weltweit unter Druck stehe, sagt Pistorius. “Gleichzeitig muss man sagen: Wenn es stimmt, was wir wissen von den Israelis und den Amerikanern, dann hat der Iran nie aufgehört, an der eigenen nuklearen Bewaffnung zu arbeiten und ist ein deutliches Stück weiter als noch vor wenigen Jahren. Das wäre an sich schon schlimm genug. Aber gleichzeitig ist der Iran auch die größte Bedrohung gerade im Mittleren und Nahen Osten für alle Nachbarn, aber vor allem für Israel.” Seit 45 Jahren habe Iran Israels Zerstörung zum Staatsziel erklärt. Sollten die Anlagen zur Herstellung von nuklearen Waffen zerstört worden sein, sei das keine schlechte Nachricht für die Stabilität und die Sicherheit für die Region und für Israel, so der Verteidigungsminister. “Entscheidend ist, dass eine große Bedrohung ausgeschaltet worden ist, und das ist eine gute Nachricht für den Nahen Osten und auch für Europa”, sagt der SPD-Politiker.
Vor dem Eingreifen der USA hatten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens mit ihrem iranischen Amtskollegen Verhandlungen geführt, die noch nicht beendet, sondern nur unterbrochen worden waren. US-Präsident Donald Trump wollte das Ende offensichtlich nicht abwarten. Dennoch ist Pistorius überzeugt: “Europa kann und muss eine Rolle spielen.” Er weiß aber auch: “Unser Dilemma in Europa ist, dass wir es in den letzten dreißig Jahren nicht nur nicht geschafft haben, außenpolitisch mehr mit einer Stimme zu sprechen, sondern eigentlich sind wir in bestimmten Themenfeldern sogar noch weiter auseinandergerückt. Das ist ein Problem, was die Wahrnehmung Europas angeht, aber auch unseren Einfluss. Und wir müssen dringend wieder dahin zurückfinden, dass wir außenpolitisch stärker und klarer werden, und vor allen Dingen geeinter.”
Die Erneuerung der Bundeswehr
Was die Reform der Bundeswehr angeht, sieht Pistorius schon viel erreicht. “Ich bin stolz auf diese Truppe”, sagt er besonders mit Blick auf die Mitarbeiter in seinem Ministerium, die ihn in den letzten drei Jahren dabei unterstützt haben. Deutschland müsse bis 2029 kriegstüchtig sein. “Zum einen, weil wir nicht alleine sind. Die Nato streckt sich ja insgesamt zur Decke, auch mit dem, was in Den Haag beschlossen werden wird.” Experten gehen laut Pistorius davon aus, dass Russland seine Armee 2029 so weit wieder aufgerüstet haben wird, dass es in der Lage sei, einen Teilangriff auf Nato-Gebiet zu führen. “Auf diese Situation muss man sich vorbereiten. Alles andere wäre fahrlässig und verantwortungslos.”
Dazu müsse die Bundeswehr über bis zu 260.000 stehende Streitkräfte verfügen. Während des Kalten Krieges seien dies etwa eine halbe Million Soldaten gewesen. Dazu seien noch etwa 800.000 Reservisten gekommen. “Von diesen Zahlen sind wir weit weg”, sagt Pistorius. Also müssen neue Soldaten her. Dazu muss die Bundeswehr attraktiver werden. So sollen die Gehälter deutlich steigen und die Kasernen besser ausgestattet werden, verspricht der Minister. Ganz nebenbei sollen Rekruten kostenlos bei der Bundeswehr ihren Führerschein machen können. Später sollen sie für die Reserve zur Verfügung stehen. Pistorius: “Wir brauchen bis zum Ende des Jahrzehnts etwa 200.000 Reservisten. Etwas mehr als die Hälfte davon werden wir aus der sogenannten “R1-Reserve” rekrutieren, das sind die, die heute schon Reservisten sind. Und den anderen Teil wollen wir gewinnen aus den Wehrdienstleistenden, die jetzt zu uns kommen. Die haben erstmal nichts zu tun mit dem Aufwuchs der Streitkräfte. Den müssen wir durch Attraktivität, durch Bezahlung und anderes schaffen.”
Junge Soldaten sollen zunächst freiwillig zur Bundeswehr kommen. Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht noch in den nächsten vier Jahren schließt Pistorius aber nicht aus. Doch vorher müssen erst einmal neue Kasernen gebaut werden. Pistorius: “Ich vermute, dass wir in zwei bis drei Jahren in der Lage sind, die Zahl von Wehrdienstleistenden unterzubringen und auszubilden, die wir brauchen, um die Reserve zu erreichen. Und wenn sich dann herausstellt, dass die Zahl der Plätze, die wir dann geschaffen haben in den Kasernen, größer ist als die Zahl der Freiwilligen, weil die Freiwilligen nicht kommen in der erwarteten Zahl, dann ist genau der Punkt, einen solchen Mechanismus – also die Wehrpflicht – von Kabinett und Parlament in Gang setzen zu lassen. Und zwar schnell, damit wir auf Teilverpflichtung von Jahrgängen zugreifen können.” Jetzt soll schnell gehandelt werden, auch bei der Datenerfassung von Reservisten. “Wir sind auf dem richtigen Weg und geben weiter Gas.”
Der Nato-Gipfel in Den Haag
Am Mittwoch treffen sich die NATO-Mitglieder in der niederländischen Stadt Den Haag. Dort sollen die höheren Nato-Beiträge endgültig festgeklopft werden. Zwar gibt es Kritiker, auch in der SPD. Doch Pistorius sagt klar: “Die Frage ist: Was ist die Alternative dazu? Wir machen es nicht, wir sagen der Nato: Wir fühlen uns an die Verpflichtung ‘einer für alle, alle für einen’ nicht mehr gebunden? Wenn das passiert, ist es genau das Signal, das Putin braucht, um zu glauben, diese Nato sei zu schwach, und er könne sich erlauben, den einen oder anderen daraus anzugreifen. Diese Signale dürfen wir nicht senden.”
Von dem Nato-Gipfel sollen zwei Botschaften ausgehen, fordert Pistorius: “Die erste ist: Wir tun alles, um uns verteidigen zu können. Und die zweite Botschaft ist: Wir stehen zusammen, wir sind einig in unserem Bekenntnis zum Nato-Vertrag.”