Geopolitik

„Miosga“: „Es ist nie gut, wenn eine Konfrontation militärisch eskaliert“, sagt Pistorius über den US-Angriff | ABC-Z

Verteidigungsminister Pistorius bleibt bei der Bewertung des US-Schlags gegen Irans Atomprogramm vorsichtig, erkennt aber eine Chance zur Stabilisierung des Nahen Ostens – sollten die Angriffe erfolgreich gewesen sein.

In der Finanzierungsfrage der Verteidigungsausgaben der NATO scheint eine Einigung bevorzustehen. Nachdem Donald Trump bereits seit einiger Zeit von seinen Nato-Partnern gefordert hat, ihre Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des jeweiligen BIPs zu erhöhen, soll das Ziel diese Woche verabschiedet werden. Dabei hatte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez die Summe unlängst als „unvernünftig“ zurückgewiesen. Und auch der US-Präsident selbst forderte Ausnahmen – für die Vereinigten Staaten: „Ich denke nicht, dass wir das sollten. Aber ich denke, sie sollten.“

Zwei Tage vor dem Gipfel in Den Haag versuchte sich Caren Miosga an einem Ausblick. „Vor dem Nato-Gipfel – wann sind wir kriegstüchtig, Herr Pistorius?“, fragte die sie den Bundesverteidigungsminister. Er erwarte ein „hochkonzentriertes Arbeitstreffen“. Entscheidend werde für ihn sein, dass zwei zentrale Botschaften vom kommenden Gipfel ausgehen werden. „Die erste ist, wir tun alles, um uns verteidigen zu können“, führte Pistorius aus, „und die zweite Botschaft ist, wir stehen zusammen, wir sind einig in unserem Bekenntnis zum Nato-Vertrag.“ Gerade im Hinblick auf Wladimir Putin sei Letztgenanntes von Bedeutung, da dieser versuche, einen „Spaltpilz“ in das Verteidigungsbündnis zu treiben. Mit dem zweitgrößten Fähigkeitspaket müsse Deutschland nun eine „Vorbildrolle“ einnehmen.

Dazu gehöre eben auch, bis 2029 „kriegstüchtig“ zu sein, wie Pistorius abermals unterstrich. Es sei allerdings „kein Stichjahr“, konkretisierte er, sondern der Zeitpunkt, zu dem Russland laut Expertenmeinungen seine Streitkräfte rekonstituiert haben werde und damit theoretisch in der Lage wäre, einen Teilangriff auf das Nato-Gebiet auszuführen. „Auf diese Situation muss man sich vorbereiten. Alles andere wäre fahrlässig und verantwortungslos“, insistierte der Verteidigungsminister. „Deswegen müssen wir so schnell wie möglich diese Fähigkeiten erwerben – personell, materiell, infrastrukturell und auch politisch-gesellschaftlich.“

„Wir haben weder Namen noch Adressen“

Aktuell bildeten etwa 183.000 Soldaten die stehenden Streitkräfte. Anvisiert werde jedoch eine Zielgröße von 203.000, den Nato-Zielen gemäß sogar 260.000 Soldaten. Mit Wehrdienstleistenden hätten diese aber „nichts zu tun“, betonte Pistorius mehrfach. Diese dienten vielmehr dem Aufbau einer Reserve, die bis Ende des Jahrzehnts 200.000 Personen umfassen müsse. Im Moment gebe es jedoch weder eine Wehrerfassung noch eine -überwachung. „Das ist eigentlich ein Skandal, weil es bedeutet, dass wir im Ernstfall gar keine Reserve einziehen könnten, weil wir weder Namen noch Adressen haben.“

Dass sich seine eigene Partei in Teilen gegen die verteidigungspolitischen Ziele richtet, wurde zuletzt im Manifest der SPD-Friedenskreise offenbar. Anders als in seinen letzten Interviews blickte Pistorius nun auffällig langmütig auf die Gruppe um Ralf Stegner. Die Unterzeichner äußerten einen „legitimen Wunsch nach Frieden und nach Diplomatie“, urteilte der Bundesminister. Er blicke „ganz entspannt“ auf die Debatte beim kommenden SPD-Parteitag. „Es darf niemals nur um mehr Waffen und mehr Soldaten gehen. Es muss immer auch um Verhandlungen gehen, aber zu Verhandlungen gehören zwei.“

„Jeder hat seine eigene Sprache“, sagt Pistorius über Merz

Seine Zurückhaltung behielt Pistorius auch bei, als es um die Kritik an Friedrich Merz’ Aussage ging, Israel mache „für uns alle“ die „Drecksarbeit“. Er selbst hätte den Begriff zwar nicht benutzt, versicherte er, aber „jeder hat seine eigene Sprache“. Olaf Scholz sei etwa für seine „bisweilen vage Kommunikation“ von der Öffentlichkeit „sehr stark“ kritisiert worden, nun spreche der Bundeskanzler „sehr klar mit eigenen Worten – und dann ist es auch wieder nicht richtig.“ Er plädierte dafür, auf den dahinterstehenden Inhalt zu blicken. In der Sache bleibe richtig, dass Israel unabhängig aller Fehler von Feinden umgeben bleibe.

Befürwortet Pistorius also die Militärschläge der Trump-Regierung gegen den Iran? „Es ist nie gut, wenn eine Konfrontation militärisch eskaliert“, entgegnete er. „Das kann erstmal per se keine gute Nachricht sein, weil es zeigt und beweist, dass die Friedensordnung der Welt gerade unter Druck steht.“ Allerdings sei es „keine schlechte Nachricht“ für die Stabilität des Nahen Ostens, „wenn es stimmt“, was Israel und die USA zur drohenden nuklearen Bewaffnung des Irans sagen, und „wenn es tatsächlich“ zur Zerstörung der Anlagen „gekommen sein sollte“, sagte er zweifelnd. „Wir wissen es schlicht nicht aus eigenen Quellen.“

Gänzlich schmallippig zeigte sich Boris Pistorius, als Caren Miosga ihn mit Putins jüngsten Äußerungen zur potenziellen Lieferung deutscher Marschflugkörper an die Ukraine befragte. „Zur Taurus-Frage ist wirklich alles gesagt. Das müssen wir nicht weiter ausdiskutieren“, sagte der Verteidigungspolitiker abwinkend. „Ich ziehe das derzeit nicht in Betracht. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ Ganz generell weigere er sich, Aussagen des russischen Präsidenten zu kommentieren. „Ich bin nicht das Sprachrohr und ich bin auch nicht der Multiplikator seiner Äußerungen.“ Das sollten andere übernehmen.

Miosga startete noch einen letzten Versuch, ihm Informationen zum Taurus zu entlocken. Warum habe Südkorea 260 Exemplare des Waffensystems problemlos erhalten? Das sei das Ergebnis geheimer Absprachen im Bundessicherheitsrat – vor seiner Zeit. Ob deutsche Ausbilder vor Ort seien? „Das beantworte ich Ihnen nicht“, erwiderte Pistorius und schloss ein Plädoyer für sicherheitspolitische Geheimhaltung an. „Wir haben uns das komplett abgewöhnt und glauben, jeder habe jederzeit das Recht in der Öffentlichkeit über alle Bescheid zu wissen und nachfragen zu können. Dem ist aber nicht so.“

Dominik Lippe berichtet für WELT regelmäßig über die abendlichen Polit-Talkshows. Der studierte Biologe ist Absolvent der Axel Springer Academy.

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