Politik

Wehrpflicht für Deutschland? “Wir brauchen eine moderne Gesellschaftsverpflichtung” sagt der CSU-Fraktionschef. | ABC-Z

Der gebürtige Landshuter Klaus Holetschek ist seit Oktober 2023 Vorsitzender der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag.

AZ: Herr Holetschek, es wird darüber diskutiert, ob in Deutschland ein oder mehrere Feiertage abgeschafft werden sollten, damit das Arbeitsvolumen sich vergrößert. Jetzt wollen Sie eine ganze Generation dem Arbeitsmarkt entziehen. Ist das volkswirtschaftlich sinnvoll?
KLAUS HOLETSCHEK: Eine verpflichtende Gesellschaftszeit – sei es bei der Bundeswehr, in der Pflege, im Sportverein oder beim THW – ist eine Investition in den gesellschaftlichen Zusammenhalt unseres Landes. Wir reden nicht davon, jungen Menschen etwas wegzunehmen, sondern wir geben ihnen etwas: Orientierung, Werte, Gemeinschaftssinn. Der Staat ist keine anonyme Institution, sondern lebt von Menschen, die sich einbringen. Schon heute entscheiden sich viele Jugendliche bewusst für ein Freiwilliges Soziales Jahr. Warum sollten wir das nicht strukturieren und fördern? Zudem geht es nicht nur um Arbeitskraft, sondern um Reife und Kompetenzen. Teamfähigkeit, Verantwortung, Rücksichtnahme: Diese „Soft Skills“ sind nicht nur für den Einzelnen ein Gewinn, sondern stärken auf lange Sicht auch unsere Wirtschaft.

Das Ifo-Institut hat festgestellt, dass eine Wehrpflicht volkswirtschaftlich viel teurer ist als eine Berufsarmee mit gut besoldeten Soldaten. Muss das die Anhänger einer – wieder eingesetzten – Wehrpflicht nicht irritieren?
Die Erfahrungen aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zeigen: Wir müssen auf den Ernstfall vorbereitet sein, wir dürfen uns nicht dauerhaft von den USA abhängig machen, und vor allem brauchen wir eine glaubhafte Abschreckung gegenüber Putins Russland. Das geht nur mit einem substanziellen Aufwuchs der Bundeswehr über 200.000 Soldatinnen und Soldaten hinaus und mit deutlich mehr Reservistinnen und Reservisten. Ohne Wehrpflicht ist das kaum realistisch. Es geht um gezielte Ausbildung, um Reserven, um Durchhaltefähigkeit. Die Bundeswehr muss das wieder lernen, ebenso wie unsere Gesellschaft.

„Nicht jeder oder jede wird sofort begeistert sein“

Sie haben sich für eine „verpflichtende Gesellschaftszeit“ eingesetzt, um wieder mehr „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ zu generieren. Warum soll das so sein, wenn viele tausend junger Menschen zu etwas gezwungen werden, wozu sie keine Lust haben? Oder weil sie etwas anderes, „Besseres“ – Karriere, Wissenschaft – vorhaben? Ist das nicht kontraproduktiv, zumal auf die junge Generation schon viel abgeladen wird?
Ich verstehe den Einwand, halte ihn aber für zu kurz gegriffen. Eine Gesellschaft lebt nicht davon, dass jeder nur das tut, worauf er gerade Lust hat. Die verpflichtende Gesellschaftszeit ist kein Misstrauensvotum, sondern ein Zeichen des Zutrauens: über den eigenen Tellerrand hinausblicken und Verantwortung übernehmen. Nicht jeder oder jede wird sofort begeistert sein. Aber wer einmal erlebt hat, wie wichtig und wirksam der eigene Einsatz für andere sein kann, nimmt daraus mehr mit als aus mancher Vorlesung. Unsere Idee ist deshalb ein flexibles Modell mit vielen Wegen und passend zur individuellen Lebenssituation. Nicht ein starres Jahr, sondern ein Zeitkonto – auch verteilt über mehrere Jahre, etwa im Ehrenamt oder bei der Feuerwehr. Am Ende geht es nicht um Zwang, sondern um Haltung. Wir wollen, dass sich unsere Jugend ein Jahr lang auf das Gemeinwesen einlässt. Das mag unbequem sein, aber es macht uns als Gesellschaft stärker.

Klaus Holetschek ist seit Oktober 2023 Vorsitzender der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag.
© dpa
Klaus Holetschek ist seit Oktober 2023 Vorsitzender der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag.

von dpa

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Die anerkannt stärkste Armee der Welt, nämlich die amerikanische, hat die Wehrpflicht schon lange abgeschafft. Wehrpflicht scheint mit Effizienz einer Armee nichts zu tun zu haben, oder sehen Sie das anders?
Der Vergleich hinkt. Die Vereinigten Staaten sind eine Weltmacht mit globalem Anspruch, mit einer ganz anderen sicherheitspolitischen Lage, einem völlig anderen Selbstverständnis, einer anderen Tradition. Deutschland hat andere Voraussetzungen – geografisch, historisch, strategisch. Wir liegen im Herzen Europas, umgeben von vielen Bündnispartnern, aber auch konfrontiert mit neuen Gefahren im Osten. Wir brauchen keine Wehrpflicht nach altem Muster, sondern eine moderne Gesellschaftsverpflichtung, die auch unsere Verteidigungsfähigkeit stärkt. Dazu gehört die Wehrpflicht, aber auch das freiwillige Engagement in anderen gesellschaftlich relevanten Bereichen.

Unter ihm wurde die Wehrpflicht ausgesetzt: Der damalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) 2011 im Landtag in Hannover mit Soldaten.
Unter ihm wurde die Wehrpflicht ausgesetzt: Der damalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) 2011 im Landtag in Hannover mit Soldaten.
© Holger Hollemann/dpa
Unter ihm wurde die Wehrpflicht ausgesetzt: Der damalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) 2011 im Landtag in Hannover mit Soldaten.

von Holger Hollemann/dpa

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“Entfaltet ihre Wirkung nicht über Nacht”

Bis eine Wehrpflicht die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands wirklich steigert, dürfte geraume Zeit vergehen. Ist das dann überhaupt ein taugliches Mittel gegen die aktuelle Aggression von Putin?
Es stimmt: Die Wehrpflicht entfaltet ihre Wirkung nicht über Nacht. Aber darum geht es auch nicht. Die Einführung der Wehrpflicht ist ein Signal nach außen und nach innen. Nach außen bedeutet sie: Deutschland ist bereit, sich selbst zu verteidigen. Nach innen zeigt sie: Freiheit ist kein Selbstläufer, aber unsere Demokratie ist wehrhaft. Wer uns angreift, trifft auf eine Gesellschaft, die zusammensteht und bereit ist, sich zu verteidigen.

Wehrpflicht auch für Frauen? Derzeit politisch nicht umsetzbar, meint Klaus Holetschek. Hier steht Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU, M.) am Nationalen Veteranentag beim Bürgerfest rund um den Reichstag neben einer Soldatin.
Wehrpflicht auch für Frauen? Derzeit politisch nicht umsetzbar, meint Klaus Holetschek. Hier steht Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU, M.) am Nationalen Veteranentag beim Bürgerfest rund um den Reichstag neben einer Soldatin.
© Fabian Sommer/dpa
Wehrpflicht auch für Frauen? Derzeit politisch nicht umsetzbar, meint Klaus Holetschek. Hier steht Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU, M.) am Nationalen Veteranentag beim Bürgerfest rund um den Reichstag neben einer Soldatin.

von Fabian Sommer/dpa

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„Eine Pflicht für alle ist politisch nicht mehrheitsfähig“

Zu Zeiten der Wehrpflicht hat niemand beanstandet, dass die Frauen nicht betroffen sind. Das dürfte jetzt anders werden. Kann es eine gerechte Wehrpflicht oder einen Freiwilligendienst, ein Pflichtjahr ohne Beteiligung der Frauen geben?
Natürlich stellt sich die Frage der Gleichberechtigung. Eine Wehr- oder Gesellschaftspflicht, die nur Männer betrifft, passt nicht mehr in unsere Zeit. Aber wir müssen auch realistisch sein: Eine Verfassungsänderung, die eine Pflicht für alle einführt, ist derzeit politisch nicht mehrheitsfähig. Das heißt aber nicht, dass wir das Thema begraben. Als Union setzen wir uns dafür ein, die nötige Debatte jetzt zu führen. Unsere Botschaft ist klar: Wer in einer freien Gesellschaft lebt, trägt auch Verantwortung und hat nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten.

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