Emmering: Klage gegen Landesamt für Statistik wegen “verschwundener” Einwohner – Fürstenfeldbruck | ABC-Z

In Emmering sind 322 Menschen verschwunden. Spurlos. Eine Vermisstenmeldung hätte wenig Aussicht auf Erfolg. Die Gemeinde im Westen der Landeshauptstadt setzt nun auf den Rechtsweg und klagt. Gegen das Landesamt für Statistik. Viele weitere Kommunen in ganz Deutschland teilen offenbar das Schicksal Emmerings. Nur relativ wenige aber wehren sich und hoffen auf Schützenhilfe durch Gerichte.
Die Hundertschaften der Emmeringerinnen und Emmeringer sind irgendwo im Bermudadreieck der Statistik verschwunden: Nach dem alle zehn Jahre erhobenen Zensus vor drei Jahren haben die Statistiker die Zahl der Einwohner in ganz Deutschland auf 82,7 Millionen beziffert – 6579 davon sollen in Emmering leben. Ein Blick der örtlichen Gemeindeverwaltung ins Register des Einwohnermeldeamts aber ergab 7034 und damit 455 mehr. Weil sich der kommunale Finanzausgleich in Bayern an der Einwohnerzahl orientieren, droht Emmering sicher geglaubtes Geld durch die Finger zu rinnen. Ebenso wie viele andere Städte und Gemeinden legte die Gemeindeverwaltung im September erst einmal Einspruch ein.
Und siehe da: Die Statistik-Experten besserten nach. Die Zahl der Einwohner wurde um 133 auf 6712 nach oben korrigiert. Warum gerade 133? „Weiß ich auch nicht, bei unserem Einwohnermeldeamt hat sich jedenfalls niemand gemeldet“, sagt der nach eigenem Bekunden einigermaßen „irritierte“ Rathauschef Stefan Floerecke (CSU). Die Gemeinde müsse doch am besten wissen, wie groß sie sei. Denn jeder, der hierherzieht oder neu geboren wird, muss angemeldet werden. Und Todesfälle oder Wegzüge werden folgerichtig abgemeldet.
Sicherlich, eine kleine Unschärfe lasse sich mit einer Emmeringer Besonderheit erklären. Im Ort gibt es einige Wohnungen für „Wanderhandwerker“. Wenn diese länger als sechs Monate bleiben, müssen sie sich beim Rathaus anmelden. „Manchmal vergessen sie sich nach dem späteren Verlassen der Gemeinde ab- oder umzumelden“, so Floerecke. Dadurch könne eine Differenz von „25 oder 30 Leuten“ entstehen. Aber von mehr als 300?
:Weniger Bayern als gedacht: Ein Mal Augsburg, einfach futsch
Der Zensus – die amtliche Volkszählung – ergab für den Freistaat fast 300 000 Einwohner weniger. Das hat Folgen für die Verteilung von Steuereinnahmen innerhalb Deutschlands und kostet den bayerischen Finanzminister 300 Millionen Euro im Jahr.
Für Emmering würde der unerklärliche Einwohnerschwund nach Berechnungen der Gemeindeverwaltung bedeuten, dass innerhalb eines Jahrzehnts 3,2 Millionen Euro weniger aus dem Topf des kommunalen Finanzausgleichs ausgeschüttet werden. Geld, da sind sich Floerecke und der Gemeinderat einig, das man nicht einfach so abschreiben kann und will. Deshalb nun also die Klage gegen das Bayerische Landesamt. Gemeinsam mit mehr als 200 Kommunen aus ganz Deutschland wurde zudem ein Gutachten in Auftrag gegeben, das sich gegen den Zensus richtet, für den das Bundesamt zuständig ist.
Floerecke rechnet mit zwei Jahren, bis eine endgültige Entscheidung fällt. Im Falle einer Niederlage würde die Gemeinde allerdings auf Anwalts- und Gerichtskosten sitzen bleiben. Genau davor warnt Hans Seidl (CSU), Bürgermeisterobmann im Landkreis Fürstenfeldbruck. Er glaubt, dass an der höchstrichterlich abgesegneten, einheitlichen Berechnungsmethode mit juristischen Mitteln kaum zu rütteln ist. Die Erfolgsaussichten der Klage hält er für denkbar gering.
Das Landesamt beruft sich auf stichprobenartige Haushaltsbefragungen
Das Landesamt wähnt sich ebenfalls auf der sicheren Seite. Melderegister- sowie weitere Verwaltungsdaten seien mithilfe stichprobenartiger Haushaltsbefragungen statistisch korrigiert worden und gäben zum Stichtag eine präzise und aktuelle Momentaufnahme wieder, erläutert eine Sprecherin der Behörde. Die Differenz zu den Zahlen der Gemeinde erklärt sie unter anderem mit Wanderbewegungen als Folge von Corona und Syrien- sowie Ukrainekrieg. Details zu der auf Intervention Emmerings erfolgten Korrektur dürfe man aus Gründen des Datenschutzes nicht nennen.
Bürgermeister Stefan Floerecke fragt sich, warum für den kommunalen Finanzausgleich überhaupt Zahlen der Statistikämter herangezogen werden. „Traut Bayern etwa seinen eigenen Kommunen nicht?“