Soldaten in der Bücherei bei stillem Wasser | ABC-Z

Eine Stadtteilbibliothek in Ostberlin ist ein seltsamer Ort, um Soldaten zu treffen. Aber nun sind sie da. Zwei Oberstleutnants sind in Uniform erschienen. Ein Bärtiger trägt einen hellen Sommeranzug. Zu seinen Füßen döst ein goldgelber Assistenzhund im Dienstgeschirr. Wozu braucht der Mann ihn? Er kann sehen, gehen. Aber irgendetwas stimmt wohl nicht. Darf man ihn fragen? Und wenn ja, was?
Praktisch, dass eine Moderatorin das übernimmt. Denn die Soldaten sind hier, um über ihre Arbeit zu sprechen. Das hat sich die Bundesakademie für Sicherheitspolitik ausgedacht, zum Veteranentag. Auf die Idee mit der Bibliothek kam allerdings der Bibliothekar. Er lud die Soldaten in sein Haus ein. Der Mann hat Zivildienst geleistet, er kennt den Krieg nur aus Büchern. Aber was heißt „nur“? Das ist nicht wenig. Jedenfalls genug, um sich für die Soldaten zu interessieren.
Frieden ist Alltag
Donnerstag Abend, Pankow, fünfzig Stühle in einem kleinen Lesesaal: Im Regal stehen Bücher über Biologie, Ratgeber, „Finanzplaner Witwen und Witwer“. Und dazwischen die Soldaten. Und die Gäste: Manche sind selbst Soldaten, ehemalige oder aktive, dazu Mitarbeiter der Sicherheitsakademie, zwei Fernsehteams, die Stoff für die Berichte zum Veteranentag brauchen. Aber da sitzen auch ein paar Frauen in Sommerkleidern, junge Männer mit Locken und Band-T-Shirts, ein Älterer, beide Arme voll tätowiert. Ein kleines Berliner Naturereignis: Milieus mischen sich für einen Abend.
Die Soldaten erzählen. Einer hat eine Studie über Veteranenpolitik geschrieben, er ist auch Vorsitzender der Liberalen Soldaten der FDP. Ein Oberstleutnant – es handelt sich um eine zierliche junge Frau – berichtet vom Einsatz in Mali. Als sie abflog, war ihr Sohn gerade ein Jahr alt.
Der Bärtige im hellen Anzug war sechsundzwanzigmal in Afghanistan. Er war einer der ersten Männer, die 2009 an der Drohne „Heron 1“ ausgebildet wurden. Die waren quasi die Augen der deutschen Soldaten in Afghanistan. 2017 sah der Mann durch sie ein Massaker mit an. Taliban griffen eine Kaserne von afghanischen Soldaten an, 140 Tote. Die Bilder verfolgen den hilflosen Zeugen: posttraumatische Belastungsstörung, Depression, Panikattacken. Bis heute. Der Hund beruhigt, wenn eine einsetzt.
Einmal, als es um das Verhältnis der Deutschen zur Bundeswehr geht, fällt das Wort „friedensverwöhnt“. Es ist nicht vorwurfsvoll gemeint. Frieden ist Alltag, so, wie der Strom aus der Steckdose kommt. Doch es ändert sich gerade etwas, beobachten die Soldaten, durch den Krieg in der Ukraine, und auch durch so etwas wie den Veteranentag. Um neun ist die Veranstaltung vorbei. Draußen flimmert Grün in Wind und Abendsonne. Doch viele bleiben, um weiterzureden; im Stehen, bei nichts als stillem Wasser.