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Viele Grüße, liebe Grüße oder alles Gute? | ABC-Z

Es sagt viel über unsere Zeit, wie Leute heute im sogenannten Schriftverkehr einander begrüßen und wie sie sich voneinander verabschieden. Im Wesentlichen sind dabei zwei ge­genläufige Tendenzen zu beobachten – und auch dabei geht die Schere immer weiter auseinander. Zum einen ist da die Flucht ins Unverbindlich-Unverfängliche, um nur ja bei niemandem anzuecken und schon gar kein Fall für den Antidis­kri­minierungsbeauftragten zu werden.

Das führt dann zu der aseptischen, leicht ­passiv-aggressiven Anrede „Hallo . . .“ (Hallo?!?), etwa weil „Sehr geehrter . . .“ als zu förmlich empfunden oder allzu wörtlich genommen und dann als über­zogen abgelehnt wird. „Lieber . . .“ wie­derum gilt als zu offensiv oder unbelegt und „Hi“ wegen der Erinnerung an jugend­liche Tage als längst unangemessene An­deutung von Frivolität oder gar Work-Life-Balance. Aber es gibt eben auch die ganz anderen Menschen, die zum Beispiel „Mein Lieber“ schreiben, obwohl von ei­nem Possessivverhältnis zum Angesprochenen keine Rede sein kann und dessen Liebreiz sich überdies in Grenzen hält.

Noch stärker ist die Polarisierung der Gesellschaft am Ende der Schriftverkehre. Auf der einen Seite des Spektrums finden sich dort die unterkühlten „Grüße“ oder „Freundlichen Grüße“, was üblicherweise leicht in Richtung lauwarm gesteigert wird durch „Viele Grüße“, wobei man sich fragen kann, ob der Plural von „Grüße“ überhaupt Sinn ergibt, selbst wenn es sich nur um einige oder ein paar Grüße handeln sollte.

„Alles ist Liebe“?

Ähnlich zweifelhaft sind „Beste Grüße“, nicht nur weil darin eine anmaßende Hochschätzung der eigenen Grußkompetenz zum Ausdruck kommt, sondern auch weil Grüße sich einer qua­litativen wie ästhetischen Bewertung ten­den­ziell entziehen. Aus diesem Grund sollte man auch von den „Schönen Grüßen“ absehen.

Was halbwegs Sinn ergäbe, sind die „Herzlichen“ oder die „Lieben Grüße“. Doch die gehen manchen nicht weit genug. Diese Leute sind zwar oft achtsam in ihrem Wesen und ihrer Kommunikation, wollen sich aber nicht damit abfinden, dass unsere Welt vor lauter Rücksicht­nahme immer gefühlsneutraler wird. Sie schreiben nicht „Alles Gute“, was ein schöner Wunsch ist, aber so klingt, als rechne man nicht mit einem baldigen Folgekontakt und sehne sich auch nicht besonders danach. Ihre Lösung wie Losung lautet daher: „Alles Liebe!“

Das ist ein sogar wunderschöner Wunsch, denn wie sangen schon Rosenstolz: „Liebe ist alles.“ Wobei: Ist es überhaupt ein Wunsch? Wenn ja, müsste es dann, analog zu „Alles Gute“, nicht heißen: „Alle Liebe!“ Ist es also ­womöglich eine Feststellung im Sinne von „Alles ist Liebe“? Oder eine Forderung: „Alles für die Liebe!“ Oder ist es eine gar nicht so verkappte Liebes­erklärung? Aber um welche Liebe handelte es sich dann? Um Caritas? Agape? Oder gar Amore? Wie pflegt die Liebe so ­verbindlich wie aufrichtig zu sagen: Es ist, was es ist.

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