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Berliner SexTech-Industrie: Kaffeeklatsch statt Gangbang | ABC-Z

Berlin taz | Wie viel ist benutzte Unterwäsche im Briefumschlag wert? Wie viel kostet ein Video von Füßen, die durch Vanillepudding waten oder ein Livestream, in dem sich die Ma­che­r*in­nen als sündige Nonnen und laszive Pastoren inszenieren? Acht Milliarden US-Dollar. So viel soll die Plattform OnlyFans laut Brancheninsidern wert sein, die der ukrainisch-amerikanische Eigentümer Leonid Radvinsky nun offenbar an eine Investorengruppe verkaufen will – das Achtfache dessen, wofür die Pornoplattform Pornhub 2023 verkauft wurde. Das OnlyFans Erfolgsgeheimnis: Intimität.

„Intimität in der Creator Economy ist zu einer der lukrativsten Währungen unserer Zeit geworden“, sagt Pauline Schmiechen. Die Berlinerin betreibt die Webcam-Seite VoyeurHouse und ist Gründerin von Kotti Konsulting, einer Beratungsfirma für Marken und Pro­du­zen­t*in­nen von Online-Inhalten in der Branche. „In einer Welt, in der alles in Massen verfügbar ist und KI jede Fantasie bedienen kann, steigt der Wert des Echten: einer echten Stimme, einer individuellen Nachricht, einem Foto, das nur für den Kunden bestimmt ist.“

OnlyFans hat dieses Geschäftsmodell perfektioniert. Während der Pandemie boomte die Plattform, die vor allem durch erotische Inhalte bekannt wurde. Von 375 Millionen US-Dollar Umsatz im Jahr 2020 wuchs sie auf 6,6 Milliarden im Jahr 2023. Be­nut­ze­r*in­nen können ihre Inhalte gegen Abogebühren anbieten, das Unternehmen behält 20 Prozent – ein fairer Deal in der Branche. Andere behalten bis zu 80 Prozent. Inzwischen stellen mehr als vier Millionen Menschen Inhalte für über 300 Millionen Fan-Accounts ein. Neben Abomodellen verdienen sie durch exklusive Inhalte, etwa unzensierte Fotos oder private Sprachnachrichten gegen Extrabezahlung.

OnlyFans war damit bislang erfolgreich – doch das könnte sich bald ändern. „Viele empfinden OnlyFans nicht mehr als so intim. Die Nut­ze­r*in­nen haben verstanden, dass es häufig nicht wirklich der Promi oder Pornstar ist, mit dem sie chatten“, sagt Pauline Schmiechen. Derzeit läuft eine Millionenklage gegen OnlyFans: Zwei Nutzer werfen der Plattform vor, dass einige An­bie­te­r*in­nen Exklusivität und Intimität nur vorgaukeln, während Agenturen die Arbeit übernehmen. Aufgefallen ist das durch „Chatter“ – Menschen, die im Namen der Pro­du­zen­t*in­nen mit den Fans schreiben. Viele davon sitzen in Asien oder Afrika und wurden entlarvt, als sie mit Fans britischer An­bie­te­r*in­nen in holprigem Englisch schrieben.

Emotionen via Whatsapp und SMS

„Dadurch schwindet das Vertrauen in die Intimität, die OnlyFans verspricht“, sagt Schmiechen. „Fans wollen spüren, dass da wirklich jemand ist – nicht nur eine Maschine.“ In Berlin wird deshalb schon über eine Weiterentwicklung à la OnlyFans 2.0 nachgedacht. „OnlyFans hat Intimität skaliert. Das nächste Kapitel wird sie emotionalisieren und personalisieren“, meint Schmiechen. Dies könne auf Kanälen erfolgen, die bereits fest in unserem Alltag verankert sind – wie Whatsapp, iMessage oder SMS.

Das ist das Konzept des Start-ups Fanblast, in das Schmiechen investiert hat: Creator verkaufen ihre Handynummer und kommunizieren privat über Messenger mit ihren Fans, um direkt Pay-per-View-Inhalte anzubieten. Fußballer teilen ihren echten Ernährungsplan oder Mu­si­ke­r*in­nen schicken exklusive Album-Snippets vorab. Im Gegensatz zu OnlyFans wird auf KI-basierte Chatbots, die den sprachlichen Stil der An­bie­te­r*in­nen nachbilden, verzichtet. Das Ziel: „Es soll sich nicht wie Content anfühlen, sondern wie eine echte Verbindung.“

Die Zukunft der Erwachsenenindustrie im Zeitalter der KI war im Mai auch zentrales Thema der SxTech-Messe im Funkhaus, die seit 2019 jährlich stattfindet. Es ging um KI-Ethik, die Entwicklung von Sexpartys, Regulierungsfragen im Onlinemarkt sowie den damit verbundenen Herausforderungen und Chancen. Berliner Start-ups präsentierten ihre neuesten Innovationen: von Sexpuppen über Teledildonics, also internetfähige Sexspielzeuge, die sich über große Distanzen hinweg steuern lassen, bis hin zu KI-basierten Plattformen für erotische Audioinhalte.

Bereits im ersten Messejahr war Paulita Pappel mit dabei. Die Pornoproduzentin und Buchautorin gründete 2016 in Berlin die Amateur-Plattform Lustery und setzte damit schon früh auf Intimität als Ware. Die Idee: „Authentischer Sex, kein durchchoreografierter Porno.“ Echte Paare filmen sich selbst beim Sex, aber auch im Alltag, beim Kaffeetrinken und bei Gesprächen über ihre Sexualität und Beziehung. Inzwischen haben mehr als 400 Paare weltweit über 1.300 Videos auf der Plattform hochgeladen.

Die Erwachsenenindustrie ist stark reguliert

„KI wird uns unendlich viele Brüste bringen“, sagt Pappel. „Das Besondere wird in Zukunft daher die Menschlichkeit sein. Die kann die KI nicht ersetzen.“ Die steht auch im Zentrum ihres aktuellen Projekts. Derzeit dreht Pappel die zweite Staffel von „House of Love & Lustery“, einer Realityshow, bei der sich vier Paare auf einer Villa auf Mallorca befinden, was auf eine Orgie hinausläuft. „Die Basis ist der Faktor Mensch: Echte Menschen, die eine Beziehung zueinander führen, zu denen die Zu­schaue­r*in­nen Mitgefühl entwickeln.“

Mit dem wachsenden Fokus auf Zwischenmenschlichkeit verändert sich auch die Pornolandschaft, beobachtet Paulita Pappel: „Früher ging es um das, was man verkauft hat: Ärsche, Orgien, Anal. Jetzt geht es wieder mehr darum, die Menschen hinter dem Porno und Sex zu zeigen.“ OnlyFans habe einerseits zur Normalisierung von Pornografie beigetragen – vor allem, indem es sich nicht als Porno-, sondern als Social-Media-Plattform präsentiert. Dennoch sei das gesellschaftliche Stigma gegenüber Porno­grafie nach wie vor groß, nicht zuletzt durch eine gut organisierte Antipornolobby. „Um Vorurteile abzubauen, muss auch politisch etwas passieren“, meint Pappel.

Die Erwachsenenindustrie ist in Deutschland stark reguliert. Sex­ar­bei­te­r*in­nen und Por­no­dar­stel­le­r*in­nen leiden unter Zensur: Ihre Inhalte werden auf Tech-Plattformen gesperrt und entfernt, ihre Dienstleistungen von Banken und Zahlungsdienstleistern eingeschränkt. Auch Por­no­pro­du­zen­t*in­nen kämpfen mit gesetzlichen Hürden: „Die aktuelle Gesetzeslage macht es fast unmöglich, ethisch produzierte und qualitativ hochwertige Inhalte wirtschaftlich tragfähig umzusetzen“, kritisiert Pappel. Die Konsequenz sei eine Verlagerung auf intransparente oder illegale Plattformen – mit potenziell gefährlichen Folgen, gerade im Zeitalter von KI.

Im August 2024 hat die Europäische Kommission die weltweit erste umfassende Gesetzgebung zu KI eingeführt. Das Ziel: eine verantwortungsvolle Nutzung fördern. In Reaktion darauf hat sich die Initiative Open Mind AI gegründet, eine Gruppe von Sex-Tech-Unternehmen, Sex­ar­bei­te­r*in­nen und Sexualpädagog*innen, die bemängeln, dass die Erwachsenenindustrie in diesen Regulierungen nicht ausreichend berücksichtigt wird. In einem offenen Brief an die EU-Behörden fordern sie, dass ihre Stimmen in den Entscheidungsprozessen zu KI-Regelungen gehört werden.

„Die größte Hürde bleibt, dass wir keinen Platz am Tisch haben“, sagt Pappel. Die zuständigen politischen Ent­schei­dungs­trä­ge­r*in­nen seien ignorant und hätten kein Verständnis für die Industrie. Ihr Appell: „Wenn sie es richtig regulieren wollen, dann müssen sie mit uns reden.“

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