Nations League: Noch weit weg von einem Titel | ABC-Z

Nations League, Spiel um Platz drei
Deutschland – Frankreich 0:2 (0:1)
Tore: 0:1 Kylian Mbappé (45. Minute), Michael Olise (84.)
Wie ging das Spiel los?
Ganz anders als das Nations League-Halbfinale in München gegen Portugal, in dem Deutschland kraft- und vielleicht ein bisschen lustlos gespielt hatte. Diesmal fehlte es nicht an Energie, die Deutschen wollten wohl etwas gut machen. Bereits in den ersten fünf Minuten hatten sie mehr gute Chancen als in den 90 Minuten gegen Portugal. Der Vize-Weltmeister Frankreich brauchte zehn Minuten, um überhaupt den deutschen Strafraum zu betreten, und zwanzig für den ersten Schuss auf Marc-André ter Stegen. Zwischenzeitlich beruhigte sich das Spiel etwas, doch Julian Nagelsmanns Mannschaft war weiterhin besser.
Das war wieder das Deutschland, das man seit einigen Monaten kennt: Es kann kein Spiel dominieren wie Spanien, aber es kann den Gegner phasenweise überrennen. Dann wird es auch für Gegner der Kategorie Frankreich, Italien oder Niederlande eng. Von diesem Volldampffußball lässt sich das deutsche Publikum gerne mitreißen.
Wieso lagen die Deutschen dann zur Halbzeit hinten?
Die Franzosen warteten eigentlich nur darauf, endlich einen reinzubekommen – im Halbfinale gegen Spanien hatten sie fünf Tore kassiert. Doch Deutschland fehlte die Fähigkeit zum Knock-out. Immer wieder brachten sie sich in Erfolg versprechende Situationen, immer wieder machten sie viel zu wenig daraus.
Florian Wirtz traf den Pfosten (37. Minute). Nick Woltemade schoss mehrmals aus wenigen Metern Frankreichs Torwart Mike Maignan ab, der gar nicht mehr aus dem Weg gehen konnte. Vielleicht lag es an Maignans grellem Trikot in Orange; Studien weisen ja darauf hin, dass Torhüter in Signalfarben mehr Bälle abwehren.
Der auffälligste, aber auch frustrierendste deutsche Spieler war Karim Adeyemi. Ein Symbol für das Spiel der deutschen Mannschaft. Adeyemi kann sehr schnell laufen, um einiges zu schnell für seinen Gegenspieler Lucas Digne. Leider verspringt ihm im entscheidenden Moment der Ball. Und wenn nicht, sind seine Schüsse und seine Pässe nicht präzise genug. Den Elfmeter, der ihm zunächst zugesprochen wurde (30.), nahm der Schiedsrichter Ivan Kružliak zu Recht wieder zurück: Adeyemi hatte den Ball zwar an Maignan vorbeigelegt, der französische Torwart hatte aber rechtzeitig zurückgezogen. Adeyemi ließ sich fallen – beziehungsweise: Er suchte den Körper, wie es Lothar Matthäus bei RTL ausdrückte – und bekam nach dem Videobeweis statt des Elfmeters die Gelbe Karte für seine Schwalbe.
Und die Franzosen?
“Wenn der beste Spieler der Torwart ist, weiß man, wie die französische Mannschaft drauf ist”, sagte Lothar Matthäus. Die Franzosen erweckten nicht den Eindruck, als sei ihnen dieses Spiel um Platz drei wahnsinnig wichtig. “Wenn man ehrlich ist, hatten die gar keinen Bock zu gewinnen”, sagte Joshua Kimmich hinterher bei RTL. Aber Einladungen nahmen sie schon an.
Und so gingen sie kurz vor der Pause in Führung, weil Kimmich unter einer Flanke hindurchsprang und hinter ihm ausgerechnet Kylian Mbappé stand. Mbappé, der bis dahin besonders lustlos wirkte, ist in solchen Momenten kaum zu stoppen. Besser, er bekommt den Ball im Strafraum gar nicht erst. Mit einer Finte verschaffte er sich Platz, Marc-André ter Stegen kam an seinen Schuss nicht mehr entscheidend dran. 1:0 für das französische Team, das anders als das von Julian Nagelsmann die Fähigkeit hatte, mitzunehmen, was der Gegner anbot.
Wie lief die zweite Halbzeit?
Nach der Pause wechselte Nagelsmann einen Stuttgarter für einen anderen Stuttgarter ein: Deniz Undav kam für Nick Woltemade. In der 53. Minute machte es Undav besser als sein Teamkollege, er traf zum Ausgleich – doch auch den verhinderte der Videobeweis. Die Deutschen regten sich zwar furchtbar auf, aber Kružliak lag (mit Hilfe der TV-Bilder) völlig richtig. Niclas Füllkrug gewann den Ball vor Frankreichs Tor nur, weil er Adrien Rabiot umgerammt hatte.
Anschließend vergaben die Deutschen erst einmal keine Chancen mehr, weil sie keine Chancen mehr hatten. Man habe zu früh die Geduld und folglich auch die Struktur verloren, sagte Kimmich. Und die Franzosen bekamen Spaß am Kontern. Der Deutschen Glück war, dass Frankreich aus den Chancen so wenig machte. Bis Michael Olise vom FC Bayern nach einem Konter und einem Pass von Mbappé den Ball zum 2:0 ins leere Tor schob.
Wer war Deutschlands bester Mann?
Marc-André ter Stegen, der Torwart – kein gutes Zeichen, wie Matthäus ja schon in der ersten Hälfte festgestellt hatte. Ter Stegen kratzte gleich mehrere Flachschüsse aus dem Eck. Es war sein bestes Spiel im Nationaltrikot seit wann noch mal?
Für ter Stegen war das besonders wichtig. In seinem Verein, dem FC Barcelona, ist er nicht mehr unumstritten: Deutschlands ewiger Torwartprinz verletzte sich vergangenes Jahr schwer am Knie, ausgerechnet kurz nachdem Manuel Neuer endlich zurückgetreten war. Nun ist ter Stegen wieder fit, aber es heißt, Hansi Flick könnte in Barcelona auf einen anderen Torwart setzen. Nun konnte ter Stegen immerhin zeigen, wie sehr ihn Deutschland braucht. Weder Alexander Nübel noch Oliver Baumann noch ein anderer deutscher Tormann ist ähnlich gut.
Was bedeuten die beiden Niederlagen in der Nations League?
Mini-EM nannte Julian Nagelsmann die Nations League. Er betonte damit, wie ernst er diesen noch vergleichsweise neuen Wettbewerb nimmt. “Wir müssen ein Verständnis dafür entwickeln, wie es sich anfühlt, Titel zu gewinnen”, hatte er am Mittwoch im ZDF gesagt. Die Deutschen wollten also das Siegen lernen und haben jetzt zwei Spiele in Serie verloren.
Das kann schon mal passieren gegen Portugal und Frankreich, auch diese Mannschaften stehen ja nicht umsonst im Final Four der Nations League. Julian Nagelsmann sagte, das Ergebnis tue nicht gerade gut, aber überbewerten wollte er die beiden Niederlagen nicht, zumal Deutschland viele Spieler verletzt fehlten, darunter sehr wichtige wie Antonio Rüdiger, Jamal Musiala oder Kai Havertz. Das gilt allerdings auch für Frankreich. Deutschland verlor also gegen einen Gegner, dem einige Spieler fehlten, und der nicht so richtig Lust auf dieses Spiel um Platz drei zu haben schien. Die beiden Niederlagen im Nations League-Final Four sind deshalb ein Rückschritt. Sie haben gezeigt, dass die deutsche Nationalmannschaft noch weit weg ist von einem Titel.
Nach der EM fühlten sich beim DFB manche als heimliche Europameister, gestoppt durch einen nicht gegebenen Handelfmeter gegen Spanien. Rudi Völler sah Deutschland fast auf Augenhöhe mit Spanien. Aber das stimmt nicht. An einem guten Tag können die Deutschen jeden schlagen, doch für regelmäßige Siege gegen die Topnationen sind sie defensiv zu schwach und vorne zu oft ideenlos. Bis zur WM ist es nur noch ein Jahr, und die Deutschen sind nicht so weit in ihrer Entwicklung, wie sie das wohl gerne wären.