Wie Bürokratie den Ärztemangel auf dem Land verschärft | ABC-Z

Ich bin mittlerweile seit mehr als 20 Jahren als Landarzt niedergelassen. Sie können es sich denken, in dieser Zeit habe ich schon einige Auf und Abs erlebt – inklusive einiger Gesundheitsminister und -ministerinnen und diverser Gesundheitsreformen. Was mich auch mit sehr viel Treue begleitet in dieser Zeit, das ist ein wachsender Berg an Bürokratie.
Jedes neue Gesetz und jede neue Reform brachte eine Menge an neuen Formularen und Regeln hervor. Dabei ging es gar nicht immer nur um Gesundheitsfragen, sondern auch um viele Dinge, die jeden Unternehmer, jeden Selbständigen treffen.
Kostenpunkt rund 50.000 Euro
Ich unterstütze die Tatsache, dass bestimmte Reglungen Sicherheit bringen, vor Betrug schützen und ein Benefit, eine Kontrollfunktion für die Gesellschaft sind, gerade wenn es um Geld geht, was allen gehört. Aber an manchen Stellen wird der Bogen einfach überspannt. Und wenn man sich fragt, warum sich nur noch so wenige Ärzte niederlassen wollen – die Bürokratie ist ein Grund, sie verursacht immense Kosten. Ein paar Einblicke.
Für das vorgeschriebene und eingeführte Qualitätsmanagement mussten wir eine große Anzahl Ordner erstellen, jetzt ist der Datenschutz dran. Zig Fragen müssen wir beantworten und Handlungspläne erstellen, die wir vielleicht nie brauchen. Wir müssen neue Software installieren – Kostenpunkt rund 50.000 Euro. Dazu benötigen wir neue Laptops, die Datenschutzerklärungen digital lesen und direkt digital in die Patientenakte ablegen. Kosten dafür rund 5000 Euro.
Für Bürokratieaufgaben extra einen Mitarbeiter eingestellt
Für die Bewältigung der Bürokratieaufgaben habe ich mittlerweile einen Mitarbeiter eingestellt. Ich schätze ihn, keine Frage, aber im Sinn des ärztlichen Handelns hätte ich lieber eine Medizinische Fachangestellte eingestellt, die mir hilft, all die Patienten zu versorgen. Wir können das alles noch stemmen, weil wir eine große Praxis sind mit verschiedenen Standorten. Kleine Praxen haben in meinen Augen kaum noch eine Chance, der ganzen Bürokratie finanziell und personell hinterherzukommen. Das Geld und das Personal gehen auch der Patientenversorgung flöten.
Aber wie heißt es so schön: „Schlimmer geht immer!“ Passen Sie mal auf: Im Laufe des kommenden Jahres wollen wir in einem Nachbarort eine weitere Praxis eröffnen. Dazu benötigen wir Fördergelder des Landes Nordrhein-Westfalen, die uns auch zustehen. Als ich die Bezirksregierung fragte, auf was ich bei dem Antrag achten müsste und wie dieser ablaufe, war die Antwort zwar sehr freundlich, aber auch ziemlich „deutsch“. Ich musste das Antwortschreiben erst einige Male lesen, unter anderem laut, um zu verstehen, was die Menschen vom Amt von mir wollten.
Letztlich verstand ich, ich darf den Antrag erst sechs Monate vor Praxisstart stellen, sonst verliere ich jede Förderung. Konkret heißt das, ich darf vorher auch keine Arbeits-, Miet- oder Bestellverträge unterschreiben. Wie soll das gehen? Da knallt die Realität auf den Amtsschimmel. Wie soll ich ein Projekt und eine Finanzierung dieser Größenordnung in sechs Monaten stemmen?
Es gibt bestimmt irgendwelche rechtlichen Gründe für so ein Verfahren, vermutlich auch Härtefälle, Abweichungen und Schlupflöcher. Ich bin auf der Suche. Wer aber ein solches Schreiben in der Hand hält, hat keine Lust mehr, sich niederzulassen. Bürokratie kann einiges verderben. Förderung sieht anders aus!
Mittlerweile höre ich das Lied von Reinhard Mey „Ein Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars“ in Dauerschleife. Leider wird der Schmerz so auch nicht besser, aber etwas erträglicher.
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, hoffentlich eine bürokratiefreie Woche! Alles Gute wünscht – Ihr Landarzt