„Sowas von keinen Bock auf Tennis ohne Rest durch zwei teilbar“ | ABC-Z

Es dauerte nur etwas mehr als eine Stunde, dann hatten die beiden Beobachter mit den schwarzen Baseballkappen genug gesehen. Darren Cahill und Simone Vagnozzi stiegen die Treppen hinab und verschwanden ins Innere des größten Pariser Tennisstadions, in dem sich gerade Alexander Zverev und Novak Djokovic im Viertelfinale der French Open die Bälle zuschlugen.
Da nahm die nächste schmerzhafte Niederlage des besten deutschen Tennisspielers zwar erst ihren Lauf, doch womöglich wussten die beiden Trainer des Weltranglistenersten Jannik Sinner, der im Halbfinale nun auf Djokovic trifft, zu diesem Zeitpunkt schon, wo das Ganze hinführen würde – oder konnten es zumindest ahnen.
Aus Zverevs Analyse nach dem 6:4, 3:6, 2:6, 4:6 gegen Djokovic, das seine Hoffnungen auf den ersten Grand-Slam-Titel abermals zunichte machte, ließ sich hinterher jedenfalls ableiten, dass man all das durchaus hätte kommen sehen können.
Nur Djokovic hat einen wirklichen Plan
Der Deutsche sprach zwar von einem „sehr, sehr hohen Level“, auf dem Djokovic gespielt habe, was zweifelsohne stimmte und in dieser Form nicht zwingend zu erwarten gewesen war. Er führte aber auch die schwierigen Bedingungen auf dem Court Philippe Chatrier als Erklärung für die Niederlage an. Im ersten Satz sei die Sonne noch da und „etwas Hitze auf dem Platz“ gewesen.
„Da konnte ich noch ein paar Winner schlagen und mit meinem Aufschlag etwas Schaden anrichten“, sagte Zverev, der gut in die Partie gestartet war und Djokovic gleich bei dessen erstem Aufschlagspiel gebreakt hatte. „Später, als es dann richtig kalt wurde, konnte ich nicht mehr viel machen. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich nicht weiß, wie ich einen Punkt gegen ihn von der Grundlinie aus gewinnen kann.“
Es stimmt, dass Zverevs Spiel auf Sand besser funktioniert, wenn es wärmer ist. Die Bälle springen dann höher ab, der Platz lässt ein schnelleres Spiel zu, was Zverev als gutem Aufschläger und Grundlinienspieler entgegenkommt. Doch zu denken geben muss ihm, dass sich das Wetter ja nicht plötzlich geändert hatte. Jeder wusste, dass die Sonne untergehen und es dann kälter werden würde. Es war also genug Zeit, um sich darauf vorzubereiten. Doch nur Djokovic schien einen wirklichen Plan zu haben, wie er dieses Spiel unter diesen Bedingungen gewinnen kann.
Wie ein Suchender in einer fremden Stadt
Der Serbe unterband lange Grundlinienduelle, in denen er gegen den zehn Jahre jüngeren Zverev womöglich irgendwann physische Nachteile gehabt hätte, indem er ihn über den gesamten Platz scheuchte. Djokovic spielte laut offizieller Match-Statistik 35 Stopps in der gesamten Partie – so viele wie vielleicht noch nie in seiner Karriere in einem Match über vier Sätze. Er nutzte es aus, dass sich Zverev immer wieder weit hinter die Grundlinie in seine „Wohlfühlzone“ zurückzog, was die Gegner auf der Tour längst als Schwäche ausgemacht haben, und bestrafte ihn für seine zunehmende Passivität.
Djokovic schickte den Deutschen mit kurzen Bällen vor ans Netz, nur um ihn dann wieder mit einem Lob zu überspielen. Phasenweise führte er seinen Gegner vor. Und der fand kein Mittel dagegen, agierte zu eindimensional und fehlerhaft. Zverev wirkte wie jemand, der sich verlaufen hat in Paris. Wie ein Suchender in einer fremden Stadt ohne Karte und Handy – oder zumindest ohne Netz. Denn der Deutsche schaute immer wieder mit hilfesuchendem Blick, die Hände in die Hüften gestemmt, in seine Box, wo unter anderen sein Vater und Trainer saß. Besser wurde es dadurch. Stattdessen gab es nur großen Frust, gegen einen verloren zu haben, der zwar gutes Tennis spielte und der erfolgreichste Spieler der Geschichte ist – der aber eben auch schon 38 Jahre alt ist, nach längeren Ballwechseln heftig schnaufen musste und zuletzt angreifbar wirkte.
Wo liegt Zverevs Problem?
Was bleibt also von diesem Frühjahr für Zverev? Vor allem die Erkenntnis, dass er sich wieder weiter von seinem großen Ziel entfernt zu haben scheint, was einerseits an ihm und seinen Leistungsschwankungen liegt, aber auch an der Konkurrenz: Jannik Sinner und Carlos Alcaraz haben noch mal zugelegt. Beide werden in Zukunft eher schwerer als leichter zu schlagen sein.
Zverev bringt eigentlich alles mit dafür: Er gilt als einer der fittesten Spieler auf der Tour, weil er zu den härtesten Arbeitern zählt. Er verfügt über einen extrem starken Aufschlag. Seine Rückhand zählt zu den besten auf der gesamten Tour. Die Vorhand hat sich zuletzt verbessert. Und am Netz ist er auch souveräner als früher. Doch in großen Matches scheint immer etwas nicht zu passen: Mal kränkelt er etwas, mal meckert er über die Bälle, mal über die äußeren Bedingungen und ein anderes Mal war ihm zufolge der Gegner einfach zu stark.
Ehemalige Konkurrenten wie Rafael Nadal vermuten ein mentales Problem. Andere wie Boris Becker fordern, dass sich Zverev für eine Zusammenarbeit mit anderen Experten öffnen soll – einem Mentalcoach zum Beispiel, einer Person außerhalb seiner Familie, mit der Zverev weit gekommen ist, es in mehr als einer Dekade aber nicht geschafft hat, das ersehnte Ziel zu erreichen. Jannik Sinner reifte erst mit Darren Cahill als Coach an seiner Seite zu einem Champion. Immer wieder betont der Italiener, wie wichtig sein Trainer für seine Entwicklung war. Für den letzten Schritt, der so schwer zu gehen ist. Novak Djokovic, Rafael Nadal oder Roger Federer holten sich im Laufe ihrer Karriere auch immer wieder Input von außen. Das Problem: Zverev hat das schon versucht. Es hat nicht funktioniert.
Der Deutsche klang mitten in der Nacht kurz nach seiner Niederlage auch nicht so, als würde er nun alles hinterfragen oder gar umwerfen wollen. „Er hat einfach besser gespielt. Er hat gewonnen. Das Leben geht weiter“, lautete Zverevs Analyse, bei der im ersten Moment vielleicht auch der Frust Vater des Gedankens war. In den nächsten Tagen wolle er erstmal Golf spielen gehen, kündigte Zverev noch an: „Ich hab‘ sowas von keinen Bock auf Tennis gerade.“