Die überraschende Geschichte von Madame Vorhand | ABC-Z

Vor einem Jahr hätte alles vorbei sein können. Dabei sollte es für Loïs Boisson gerade erst richtig losgehen. Die Französin hatte eine Wildcard bekommen für die French Open, das große Heimturnier auf Sand, ihrem Lieblingsbelag. Doch dann riss Boisson kurz davor bei einem relativ unbedeutenden Turnier in Paris das Kreuzband. Sie musste operiert, das Debüt bei einem Grand-Slam-Turnier verschoben werden. Neun Monate Pause. Sogar ein Karriereende stand im Raum. Knapp ein Jahr später steht die Zweiundzwanzigjährige nach einem Dreisatzsieg gegen die Nummer drei der Welt, Jessica Pegula, im Viertelfinale von Roland Garros.
Es ist schon jetzt die große Überraschungsgeschichte bei den diesjährigen French Open, die alle berührt. Zuvor war Boisson nur einmal unfreiwillig größere Aufmerksamkeit zuteil geworden, als ihr eine Gegnerin während eines Matchs vorwarf, sie solle mal ein Deodorant benutzen, weil sie streng rieche. Boisson nahm es mit Humor und bot an, Werbung für ein Kosmetik-Unternehmen zu machen. Jetzt steht sie endlich wegen ihres Tennis im Mittelpunkt. „Es ist wirklich unglaublich“, sagt Boisson: „Wenn mir das jemand gesagt hätte vor zwei Wochen, hätte ich es nicht geglaubt.“
Boisson spielte gegen Pegula wie schon in den Runden zuvor mit ihrer Vorhand groß auf. Die kann sie hoch und mit Spin, aber auch flach und schnell schlagen. „Alles, was sie will, ist Vorhandschläge machen“, erkannte Pegula – und konnte es doch nicht verhindern. Boisson profitiert auch vom Bonus der Unbekannten. Und das kann gerne noch ein wenig so bleiben, wenn es nach ihr geht. Sie sei eher ein ruhiger Mensch, erzählt sie. „Ich zeige meine Gefühle nicht auf dem Platz.“ Fragen beantwortet sie höflich. Wirklich etwas preis gibt die Tochter eines ehemaligen Basketballspielers aus Dijon aber nicht.
Was feststeht: Mit ihren Siegen in Roland Garros wird sich vieles ändern. Schon jetzt hat Boisson 440.000 Euro verdient. Vor dem Turnier war sie die Nummer 361 der Welt. Jetzt könnte sie in die Top 100 vorstoßen, wenn sie es am Donnerstag gegen die 18 Jahre alte Russin Mirra Andrejewa ins Halbfinale schafft. Boisson ist die letzte Hoffnung der Franzosen, die gerade keine Spielerin in den Top 80 der Welt haben. Das erhöht den Druck. Aber der war ihr schon im Viertelfinale vor 15.000 Zuschauern auf dem größten Court der Anlage nicht anzumerken. Was sie hingegen in der Runde davor spürte, war ihr operiertes Knie. „Es gab eine Menge Schmerzen. Ich musste mich durchkämpfen“, sagte Boisson, die das aber schon kennt: „Ich weiß, wie ich damit umgehen kann.“