Was Schüler an den Herd treibt | ABC-Z

Patrick Jakobi packt aus: Paprika, Zwiebeln, Bohnen, eine Ananas und zwei Mangos, Auberginen, Brokkoli, Knoblauch und Ingwer, Kokosmilch, Currypaste in grün und rot. Dazu Hühnerfilets, leider nicht bio, aber immerhin fair. Nur das Thaibasilikum steht noch zu Hause, „da steht es gut“, sagt Jakobi. Bleiben die Limetten zum Verfeinern des Currys, das es heute Mittag gibt. Sechzehn Schüler, ein Lehrer und ein Betreuer machen sich ans Werk, aber vorher fällt erst mal die Reispackung auf den Boden und verteilt ihren Inhalt weitflächig. Die Verursacherin seufzt und holt den Besen.
In der Schulküche der Freiherr-vom-Stein-Gesamtschule in Eppstein-Vockenhausen, oben am Berg kurz vor dem Wald, kochen zwei Gruppen jeweils montags und mittwochs. In der Mittwochsgruppe bei Patrick Jakobi, die „Cooking is fun“ heißt, wird größtenteils Englisch gesprochen. Montags bei Therese Keßler-Rothe kocht man auf Deutsch, dort war sogar schon einmal das Fernsehen zu Besuch. In der ARD-Mediathek ist die Sendung aus der HR-Reihe „Anders kochen“ mit dem Münchner Sternekoch Ali Güngörmüş, den Schülern der „Werkstatt Kochen“ und dem Döner mit Spezialsoße noch zu sehen.
Güngörmüş wunderte sich damals, dass die Schüler selbst einen Beitrag zahlen müssen, um die Zutaten zu finanzieren, das sei eigentlich nicht in Ordnung. Der hessische Justizminister, Christian Heinz (CDU), selbst Eppsteiner, sah das genauso und sorgte dafür, dass die kochenden Schüler jüngst eine Förderung von 500 Euro erhielten. Daher werden sie im nächsten Schuljahr nicht mehr 40 Euro, sondern etwas weniger dazugeben müssen.
„Die Schüler wissen, jetzt wird’s schön“
Die Gruppe ganz hinten ist die schnellste. Die Gruppe an der mittleren Küchenzeile ist eher langsam, dafür sehr genau. Roge ist sich nicht ganz sicher, wie er die Hühnerfiletstreifen am besten wäscht, und setzt vorsichtshalber erst mal die Packung unter Wasser. Amélie lacht sich schlapp, Hanbo stellt den Lautsprecher auf und sucht eine Playlist. Der Titel des Kurses „Cooking is fun“ wird hier durchaus wörtlich genommen. „Die Schüler kommen rein und wissen, jetzt wird’s schön“, sagt Jakobi.
Gymnasiasten kommen normalerweise nicht mit derart lebenspraktischen Kursen in Berührung. Hier an der Gesamtschule jedoch sind die beiden Kochklassen für alle drei Schulzweige offen. Und während an vielen Schulen Arbeitslehre angeboten wird, bei der man vieles ausprobieren kann, hat die Freiherr-vom-Stein-Schule einen Schwerpunkt aufs Kochen gelegt. Das passt auch zu den Labels als „gesundheitsfördernde Schule“ und „Fairtrade-Schule“. Das Ziel sei es, zu lernen, wie man „mit einfachen Zutaten schnell günstige Gerichte kocht“, sagt Therese Keßler-Rothe vom Montagskurs. Sie hat die Werkstatt Kochen vor zehn Jahren übernommen.
„Die Schüler lieben kochen, sie lieben diesen Unterricht“, sagt sie. „Kein Kurs wird so stark angefragt wie die Kochkurse“, bestätigt Patrick Jakobi. „Stell dir vor, wir hätten hier einen Reiskocher!“ seufzt Hanbo. Patrick Jakobi hilft bei der Dosierung. 125 Gramm Reis pro Person, zwei Tassen Wasser pro Tasse Reis. Genauer wird es nicht, der Rest wird nach Gusto improvisiert.
Wahlpflicht hilft, Interessen und Zukunftsperspektiven auszuloten
Jakobi ist Lehrer für Englisch, Sport und Geschichte. Als vor drei Jahren der Leiter des zweiten Kochkurses in Pension ging, stieg er ein. Bei den Wahlpflichtfächern könnten die Lehrer ihre persönlichen Interessen einbringen, sagt er. Daher gebe es an der Schule neben Standards wie Computerkurs und Italienisch auch Mountainbiken, einen Schulgarten und Imkern. In der Vorratskammer neben der Küche steht eine Honigschleuder, und beim Schulfest wird der eigene Schulhonig verkauft. Und das nur, weil sich eine Lehrerin gut mit Bienenhaltung auskennt.

Manchmal aber braucht es auch die Initiative von Schülern, die eins und eins zusammenzählen. Ab nächster Woche werden die Bioabfälle der Schulküche auf dem neuen Komposthaufen des Gartens landen, das war die Idee einer Schülerin. Auch bei den Gerichten hat die Klasse Mitspracherecht. So gab es auf Wunsch schon einmal Mac and Cheese. Die ebenfalls gewünschten Burritos erwiesen sich hingegen im Zeitrahmen als schwer umsetzbar, da hat Jakobi dann doch das letzte Wort.
„Gib mal eine Scheibe Limette“, sagt Roge. „Wofür?“ wundern sich Hanbo und Amélie. „Fürs Aroma.“ So professionell Roge die Limette fürs Aroma in den Gemüsetopf gibt, Koch ist eher nicht sein Berufswunsch. „Plan C“, sagt er. Für die Fünfzehnjährigen steht die Berufsfrage schon auf dem Plan, wenn sie nicht eine Oberstufe besuchen werden. So manchem habe Jakobi schon geraten, es später einmal mit Kochen zu probieren. Manchmal seien Schüler im Kurs, die richteten Teller an, die seien geradezu genial.
Kochen fördert Teamgeist und Koordination
Amelie brät die Zwiebeln an. Langsam müsste mal das Huhn her. Das Kochen in Gruppen ist auch eine Übung darin, sich zu koordinieren und sich auf andere zu verlassen, ohne die Gruppe zu dominieren. „Fehler gehören auch dazu, das ist sehr wichtig“, sagt Amélie. Roge lacht. „Das können sie so reinschreiben: Amélie sagt, Fehler sind sehr wichtig.“ Die Gruppe kocht bereits seit September zusammen, Grundlagen muss Jakobi nicht mehr vermitteln. Nudeln, Reis, Zwiebeln anbraten, das läuft alles. Und Fehler passieren eben. Auch ihm.
„Herr Jakobi, die Kokosmilch ist von elf vierundzwanzig“, sagt Amélie. Herr Jakobi rührt und probiert, alles normal. Die Gruppe entscheidet sich für die gut abgehangene Dose. „Wir vertrauen Ihnen, Herr Jakobi“, sagt Roge. Wegen dem Lehrer habe er den Kurs gewählt, sagt er. Die schnelle Truppe ganz hinten läuft schon mit ihren Tellern zu dem großen Esstisch, der hinter einer halbhohen Mauer abgeteilt steht, und setzt sich zum Essen hin.
„Es kann nicht sein, dass wir immer die Letzten sind“, sagt Amélie. „Qualität braucht ihre Zeit, okay?“, findet Roge. Dann ist natürlich der Reis fertig, und das Curry hat noch nicht lange genug gekocht. „Die Sachen sind noch ein bisschen bissfest, aber okay“, entscheidet Amélie. Hanbo ist dafür zuständig, die Teller anzurichten. Der Reis wird aus Schüsseln auf den Teller gestürzt, obendrauf eine Limette garniert. „Man sagt ja, das Auge isst mit“, sagt er. „Ich mochte das schon immer, wenn es nicht nur gut schmeckt, sondern auch schön aussieht.“ Dann sitzen alle da und essen.
Praktische Lehre fürs gesunde Leben
Wer von den beiden nun besser kocht, Roge oder Amélie, wird am Wochenende übrigens in einem Kochbattle entschieden werden. Roge und Hanbo bilden ein Team, Amélie und eine Freundin ein zweites. Beim Essen wird die Jury diskutiert, die möglichst unabhängig sein soll, Brüder werden ins Spiel gebracht und Blindverkostung gefordert. „Wir haben am Wochenende diesen hier gemacht“, Jakobi kippt sich pantomimisch einen hinter die Binde, „und die kochen.“

Oft fragten auch Schüler, ob sie mal einen Nachmittag mitkochen dürften. Und oft würden übrige Teller in Parallelklassen gebracht. Dabei erlebten die Schüler auch, wie sie anderen eine Freude machen könnten. Der Kurs habe weniger mit Schule zu tun, mehr mit Klassenfahrt, sagt Jakobi. „Aber wenn es dazu führt, dass der ein oder andere später weniger Fertigessen kauft.“
Patrick Jakobi weiß, wovon er spricht. In seiner Familie sei früher vor allem Tiefkühlkost auf den Tisch gekommen. Gab es dann doch einmal einen Obstsalat, sei vor allem betont worden, wie viel Arbeit das nun wieder mache. Seine Initialzündung als Hobbykoch kam erst später, durch seinen zukünftigen Schwiegervater.
Der sei nach der Arbeit um 19 Uhr als Erstes in die Küche gegangen, habe geschnippelt und gekocht und dabei abgeschaltet. Und danach saßen alle zusammen am Tisch und haben gemeinsam gegessen. „Das klingt vielleicht pathetisch, aber kochen ist für mich Leben“, sagt er.
