Gericht: Zurückweisung von Asylsuchenden hinter der Grenze ist rechtswidrig | ABC-Z

Berliner Verwaltungsgericht
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Gericht: Zurückweisung von Asylsuchenden hinter der Grenze ist rechtswidrig
Die Zurückweisung von Asylsuchenden bei Grenzkontrollen auf deutschem Gebiet ist nach einer Eilentscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts rechtswidrig. Ohne Durchführung des sogenannten Dublin-Verfahrens dürften sie nicht abgewiesen werden.
Menschen, die bei Kontrollen auf deutschem Staatsgebiet ein Asylgesuch äußern, dürfen nicht ohne Durchführung des sogenannten Dublin-Verfahrens zurückgewiesen werden. Das entschied das Berliner Verwaltungsgericht, wie es am Montag mitteilte.
Geklagt hatten zwei Männer und eine Frau aus Somalia. Sie reisten Anfang Mai per Zug aus Polen nach Deutschland ein und wurden am Bahnhof in Frankfurt (Oder) von Bundespolizisten kontrolliert, wie es weiter hieß. Im Zuge dessen hätten die Reisenden ein Asylgesuch geäußert, seien aber noch am selben Tag nach Polen zurückgewiesen worden. Die Beamten hätten die Maßnahme mit der Einreise aus einem sicheren Drittstaat begründet.
Drei Asylsuchende nach Polen zurückgeschickt
Die Betroffenen befinden sich aktuell in Polen und haben sich mit Eilanträgen an das Verwaltungsgericht gewendet. Dieses hat den Anträgen nun stattgegeben und die Zurückweisung als rechtswidrig eingestuft. Deutschland sei nach der Dublin-Verordnung dazu verpflichtet, bei Asylgesuchen auf Bundesgebiet das Verfahren zur Bestimmung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaats vollständig durchzuführen, wie es zur Begründung vom Gericht hieß.
“Die Antragsteller hätten ein entsprechendes Asylgesuch geäußert, sodass ihnen der Grenzübertritt erlaubt und das Dublin-Verfahren in Deutschland durchgeführt werden müsse.”
Notlage durch Gefahr für öffentliche Sicherheit nicht ausreichend nachzuweisen
Aus Sicht des Gerichts kann sich die Bundesrepublik nicht auf die Ausnahmeregelung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) berufen, dass die Dublin-Verordnung angesichts einer Notlage unangewendet bleiben dürfe. Insbesondere könne sich die Regierung nicht auf eine “nationale Notlage” – also eine Art Ausnahmezustand – berufen, hieß es. Dies habe die Regierung im Verfahren getan, sagte eine Gerichtssprecherin auf Nachfrage. Das Gericht erklärte, es fehle dafür “an der hinreichenden Darlegung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung”.
Asylsuchende könnten allerdings über den Grenzübertritt hinaus nicht verlangen, in das Bundesgebiet einzureisen. Die Dublin-Verordnung gestatte es, Verfahren an der Grenze oder dem Grenzbereich durchzuführen.
Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts sind unanfechtbar.
Grüne verlangen Reaktion von Dobrindt
Nach Angaben einer Gerichtssprecherin handelt es sich um die erste gerichtliche Entscheidung zu der Neuregelung von Innenminister Alexander Dobrindt. Der CSU-Politiker hatte kurz nach dem Regierungswechsel mit verschärften Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Asylbewerbern an den Grenzen erste Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt. Für die Union zählen die Maßnahmen zur Einschränkung des Zuzugs nach Deutschland zu den zentralen Vorhaben der neuen Regierung.
Die Grünen forderten Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) nun auf, angesichts der Gerichtsentscheidung gegen die Zurückweisung Asylsuchender auf deutschem Gebiet “unverzüglich seine Anordnung zurückzuziehen”. “Das ist eine harte Niederlage für die Bundesregierung und sollte eine Mahnung sein, sich künftig an Recht und Gesetz zu halten und die eigenen Kompetenzen nicht wissentlich für populistische Zwecke zu überschreiten”, sagte die Parlamentsgeschäftsführerin der Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, der “Rheinischen Post”. Bundeskanzler Friedrich “Merz und Dobrindt wollten mit dem Kopf durch die Wand und sind damit krachend gescheitert.”
Gewerkschaft der Polizei sieht sich bestätigt
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht sich in ihrer Skepsis bestätigt. “Wir haben von Anfang an gesagt, dass die jetzt eingeführten Verfahrensweise, Zurückweisung von Asyl- und Schutzersuchenden, juristisch stark umstritten ist”, sagte der Vorsitzende des GdP-Bereichs Bundespolizei, Andreas Roßkopf, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Unionspolitiker: Einzelfallentscheidungen ohne allgemeine Wirkung
Gleichwohl wollen Unionspolitiker vorerst an den vom Berliner Verwaltungsgericht gerügten Zurückweisungen von Asylsuchenden festhalten. “Die Zurückweisungen müssen fortgesetzt werden”, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), der Deutschen Presse-Agentur.
“Wir werden die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Berlin natürlich genau prüfen, klar ist aber auch, dass es Einzelfallentscheidungen ohne allgemeine Wirkung sind”, sagte Throm. Diese Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz gegenüber den drei Antragstellern ändere nichts daran, dass das Ziel richtig bleibe: “Wir werden illegale Migration steuern und unsere Grenzen schützen.”
Der geschäftsführende Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags, Thomas Silberhorn (CSU), sagte den Zeitungen der Mediengruppe Bayern: “Dass die Zurückweisung an der Grenze vor Gericht landet, ist keine Überraschung.” Schließlich sei die Frage, wie die Dublin-Verordnung anzuwenden sei, bereits seit zehn Jahren strittig. Durch das neue Vorgehen an den deutschen Binnengrenzen könne dies nun höchstrichterlich geklärt werden. Bis dahin bestehe aus seiner Sicht keine Veranlassung, direkte Zurückweisungen generell einzustellen.
Sendung: rbb 88.8, 02.06.2025, 16:00 Uhr