Zweites Deutsches Fernsehen-Serie „Tschappel“ feiert die oberschwäbische Provinz | ABC-Z

Was sofort auffällt: Wie gut die Musik hier einschlägt. In „Tschappel“, einer gewitzten Dorfkomödie, die vom Sommer nach dem Abitur erzählt, jener Zeit, die den Anfang des Erwachsenenlebens spektakulär einläuten soll und doch auch eine Zeit der Abschiede ist, erzeugt sie einen unwiderstehlichen Sog. Weil sie nicht drängt, sondern die Bilder versteht.
Auf Geschmacksgrenzen nimmt der Mix wenig Rücksicht, das hat er mit den Cocktails gemeinsam („Terror-Spezi“), die besagten Sommer auf Touren bringen. Immer junger Partypop der „Helden“ („Von hier an blind“) steht etwa gleichberechtigt neben dem gehobenen Krach der „Beastie Boys“ oder dem Deutsch-Folk der „Hochzeitskapelle“, die für die eigentliche Filmmusik zuständig ist. Mit Banjo, Tuba und rumpelndem Schlagzeug begleitet sie die Dorfkinder, die „Tschappel“ aufs Tableau hebt, von einem denkwürdigen Erlebnis zum nächsten.
Mit dem heiligen Oldtimer gegen den Baum
Die Hauptperson heißt Carlo Brenner (Jeremias Meyer), ein schluffiger Tollpatsch mit programmatisch verwuschelten Haaren. Er ist in Pia (Mina-Giselle Rüffer) verschossen, und nach dem Abi-Ball schlägt beinahe die Stunde der Wahrheit. Carlo fährt die Angehimmelte mit Vaters heiligem Oldtimer nach Hause – was ziemlich gut läuft, bis es nicht mehr gut läuft. Er setzt die Karre in der Dunkelheit vor einen Baum.
Die Folgen könnten lebensentscheidend sein. Aus „Work and Travel“ in Australien, einem Plan, den zufälligerweise auch Pia geschmiedet hat, wird für Carlo „Work ohne Travel“, eine Form der Zwangsarbeit in der Gaststätte der Eltern. Das Familiengericht, das sich die Serie für dreißig Sekunden bildlich ausmalt, der Vater als Ankläger, die Mutter als Richterin („Die stecken unter einer Decke!“), setzt die Strafe auf zwölf Monate fest.
Tröstlicherweise hat auch die Provinz ihre Momente. Man ahnt es, als Carlo in der Unfallnacht Erste Hilfe von seinen Kumpeln Blabla (Sebastian Jakob Doppelbauer) und Aydin (David Ali Rashed) bekommt. Aber man weiß es auch so: Wo es eine Feuerwehr gibt, einen Fußballverein und Dorffeste mit Dixi-Klo müssen die Tage nicht unbedingt langweiliger als in der großen Welt sein. „Hintervorderbach“ im Landkreis Ravensburg, gefilmt in Zußdorf bei Wilhelmsdorf, kann darüber hinaus mit einer Tankstelle für den Alkoholnachschub und dem Geisterhaus eines blutig aus dem Leben geschiedenen Neonazis aufwarten. Das reicht zumindest für acht vergnügliche Episoden. Sie sind auf den Punkt gespielt und hellwach geschnitten (Katja Beck) und schäumen noch im Episodentitel über vor Witz. Die flotte Machart erinnert an die Teenie-Komödie „How to Sell Drugs Online (fast)“, manchmal auch an die frühen Werke von Detlef Buck, der hemmungslose Mundart-Einsatz an den Dorfpolizisten-Klamauk von „Tschugger“. So viel Schwäbisch wie hier hört man sonst nur noch in Berlin.
Ein dreifaches Hoch verdienen die Nebendarsteller, denn die treiben mit ihrem Spaß an der Freude auch die großartigen Hauptdarsteller noch einmal an. Bernd Gnann ist der gestrenge Vater, Bärbel Stolz die Mutter, Nina Gnädig eine grandiose, trinkfeste Tante. Alexander Schubert und Lukas „Cossu“ Staier geben deren unterschiedlich gepolte Affären, Paul Faßnacht spielt einen rätselhaften Besucher mit Gangster-Anmutung. Harald Schmidt besichtigt als Urologe die Kronjuwelen von Carlo, was auch den Höhepunkt der frechen Kameraarbeit von Conrad Lobst bedeuten dürfte.
Am Ende steht ein Begräbnis, wie es auch schwarze Komödien aus England nicht legendärer hinkriegten. Und auch die angehimmelte Pia sieht Carlo kurz wieder. Ob mehr daraus wird, malt sich die Geschichte der jungen Serienschöpfer Marius Beck und Marc Philip Ginolas (er führte auch mit Carly Coco Regie), die bislang nur Kurzfilme und Dokuformate drehten, klugerweise nicht aus. Alles ist möglich in einem Sommer der Freundschaft wie diesem, nie wieder liegt das Leben so offen vor einem wie jetzt. Man muss halt nur mal irgendwie am Ortsschild vorbei.
Tschappel läuft am Dienstag ab 21.45 Uhr auf ZDFneo und in der Mediathek.