Wie Xi Jinping mit Tee Politik macht | ABC-Z

Die Hänge von Wuyi sind grün und voller Blätter. Ein Teebusch steht neben dem anderen. Sie wirken wie flauschige grüne Raupen. Es ist bedeckt, die Gipfel verschwinden im Nebel, und Frau Oh beeilt sich mit dem Pflücken. Mit ihren Fingern sucht sie die Stängel mit zwei Blättern und der Knospe in der Mitte, rupft sie aus dem Busch und wirft sie in einen Plastiksack, den sie an die Hüfte gebunden hat. Die Knospe ist das „Herz“, sagt Frau Oh. Der wichtigste Teil der Teepflanze. Unabdingbar für die Sorte Jinjunmei. Sie sagt, diese Blätter könne man nicht mit Maschinen ernten.
Schmetterlinge fliegen zwischen den Büschen. Im Bach rülpsen die Kröten. Den Knospentee ernten sie früh in Wuyishan, aber die Haupternte für die Oolong-Tees mussten sie dieses Jahr um ein paar Wochen verschieben. Es regnet zu viel. Zwei Wochen zuvor hat es in den Bergen sogar noch geschneit. Früher war das Wetter nicht so unbeständig, sagt Frau Oh. Tee muss trocken geerntet werden.
Aus Wuyishan stammt der halb fermentierte Oolong-Tee. Von hier brachten ihn britische Kolonialisten ins indische Darjeeling. Aus Indien gelangte im neunzehnten Jahrhundert immer mehr Tee nach Europa, während Chinas Teeindustrie niederging. Heute, mit dem Aufschwung Chinas hundertfünfzig Jahre später, erlebt der Tee von Wuyishan wieder eine Blütezeit. Die teuersten Sorten erreichen Preise wie edler Wein.
Peking beschwört die Teestraße nach Moskau
Tee prägt nicht nur das Leben vieler Chinesen, sondern ist auch Teil der Politik. Neuerdings beschwört die chinesische Regierung eine ganz andere Teestraße, die in Wuyishan einst begonnen habe: die nach Moskau. Für die chinesisch-russische „Zehntausend-Meilen-Teestraße“ mit Ausgangspunkt Wuyishan bereitet Peking gerade einen Antrag auf UNESCO-Weltkulturerbestatus vor.
Den handgepflückten Tee von Frau Oh und den zahlreichen anderen Pflückern in Wuyishan kauft ein Zwischenhändler jeden Abend auf, für dreißig Euro das halbe Kilo. Die Blätter bringt er zu den Teeproduzenten in der Gegend. Liu Shuixian führt einen dieser kleinen Betriebe. Er liegt an der schmalen Hauptstraße, die an den Feldern vorbei durch die schwarzen Karstberge führt. Von Wuyishans 260.000 Einwohnern arbeitet die Hälfte in der Teeproduktion.
In Lius Betrieb welken die Teeblätter einige Stunden lang in einer Metallwanne. Anschließend füllen sie die Blätter in erhitzte, rotierende Trommeln, was chemische Prozesse aktiviert und das Aroma entwickelt. Dann werden die fermentierten Blätter von einer Maschine gerollt und auf übereinandergestapelten runden Sieben im Ofen getrocknet. „Mein Vater und mein Großvater waren beide Teebauern, ebenso wie unsere Vorfahren“, sagt Frau Liu. Bis vor Kurzem hat sie noch im staatlichen Teeinstitut der Provinz Fujian gearbeitet und sich dann selbständig gemacht.
Tee wird in China wohl seit mehreren Tausend Jahren getrunken. Dem mythischen chinesischen Kaiser Shen Nun werden im dritten Jahrtausend vor Christus die Worte zugeschrieben, Tee wecke den guten Geist und die weisen Gedanken. Damals wurde Tee als Stimulans serviert, er sollte den Buddhisten die Meditation erleichtern. Es heißt, eine Teekultur etablierte sich während der Tang-Dynastie in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends. Aufzeichnungen über Zubereitungstechniken des Oolong-Tees sind seit der späten Ming-Dynastie vor fünfhundert Jahren überliefert. In der „Teeballade von Wuyi“ des Zen-Meisters Shi Chao-quan etwa.
Zur Zeit des kommunistischen Kollektivismus dagegen war es mit der Teekultur nicht eben weit her. Teehäuser galten als vermeintlich bourgeoise Zeitverschwendung und mussten dichtmachen. Tee aber wurde unter den Kommunisten weiter angebaut, wenn auch nicht einzeln vertrieben, sondern im Rahmen eines einheitlichen Systems eingekauft und verkauft. Jeder Bauer musste seinen Tee an ein Produktionsteam übergeben, sagt Frau Liu.
Für die kommunistische Führung war Tee eines von wenigen Exportgütern, mit denen es Devisen beschaffen konnte. „Nach der Verarbeitung bewerteten professionelle Teeverkoster in der Teestation die Qualität des Tees“, erinnert sich Liu. „Sie legten einen Preis fest und verteilten dann während des Neujahrsfestes die Einnahmen an die einzelnen Haushalte.“
2009 begann der Boom
Schon immer sei der Teeanbau wesentlich rentabler gewesen als der Anbau anderer Pflanzen. Liu Shuixian stammt aus einem Dorf am Tongmu-Pass, dem Ursprung des Oolong-Tees. „Deshalb hatten wir in unserem Dorf schon in den Achtzigerjahren elektrische Reiskocher, während anderswo in China noch Armut herrschte.“
In den Neunzigerjahren studierte Liu Teewirtschaft und ging dann ins staatliche Teeforschungsinstitut. Die Teeindustrie entwickelte sich eher langsam. Ungefähr 2009 begann der Boom, sagt Liu. Funktionäre kauften teuren Tee, der wieder wie in alten Zeiten ein Statussymbol ist.

Seit 2022 bekommt Staats- und Parteichef Xi Jinping auf den Volkskongress-Sitzungen in Peking immer zwei Teetassen hingestellt, während alle anderen Parteioberen mit einer Tasse Tee vorliebnehmen müssen. Im Staatsfernsehen erklärte Xi seine Vorliebe für Oolong- und Felsentees. Seit einiger Zeit lässt er diesen Tee auch Staatsgästen servieren.
Die Regierung bewirbt den Tee, und teurer Tee ist für Funktionäre und Geschäftsleute auch ein Weg, um Wohlstand und Prestige zu zeigen und um Vermögen zu transferieren. Liu sagt, mit Einführung der „Achtpunkt-Regularien“, einer Reihe von Antikorruptionsregeln, sei der Edel-Markt für Tee zwar zuletzt etwas weniger profitabel geworden. Aber es lohnt sich noch. Gerade haben Liu und ihr Mann ein edles Besucherzentrum aus modernem Beton vor ihren Goldfischteich gebaut.
„Für jede prominente Teesorte gleich welcher Region braucht es eine Verbindung zu ranghohen Politikern“, sagt Liu. Chinas Normalbevölkerung allein könne Teesorten nicht bekannt machen. Das sei in Wuyishan so wie überall. So war es schon in den 1840er Jahren, als der irische Botaniker Robert Fortune im Auftrag der britischen Ostindienkompanie diese Gegend besuchte und weltberühmt machte.
Der Raub des Robert Fortune
In Wuyishan kennen fast alle die Geschichte. Die britische Krone hatte den Botaniker Fortune nach China geschickt, um neue Märkte zu erschließen. Oder um Teepflanzen zu stehlen. Damals soll sich die Queen per Brief beim Kaiser in Peking über die hohen Teepreise beschwert haben, die das Empire an die Chinesen zahlen musste. Robert Fortune ließ sich als asiatischer Würdenträger verkleiden und nach Wuyishan führen. Dort fand er, was er suchte.
Bei seinen Erkundungen stellte er fest, dass die Mönche und taoistischen Priester in den Tempeln von Wuyishan hochwertigen Tee zubereiteten“, sagt Liu. Ursprünglich waren diese Tees als Tribut für den Kaiser von China gedacht gewesen. Für den kaiserlichen Hof war Tee ein strategisches Produkt für den Export und als Genuss für den Adel gedacht.
Hätte Peking vom Besuch des Robert Fortune gewusst, wäre er wohl umgebracht worden. In Wuyishan dürfte er der erste europäische Besucher gewesen sein. Liu sagt, die Einheimischen empfingen Robert Fortune freundlich. Sie erlaubten ihm, Tees zu probieren. Fortune aber folgte seinem Auftrag, sammelte Teepflanzen, grub Setzlinge aus und brachte sie mithilfe einer Reihe chinesischer Helfer nach Indien, wo die Briten ihre Kolonialherrschaft ausbauten.

Insgesamt habe Fortune achtzehntausend Teesamen mitgenommen und an den Rand des Himalajas nach Indien gebracht, sagt Liu. „Wahrscheinlich sah er das nicht als Diebstahl an – vielleicht eher als Hobby.“ Im Empfangsbereich ihres Teebetriebs hat Liu Shuixian die Kopie einer Zeichnung von Fortune aufgehängt. 1843 soll er sie hier angefertigt haben. Das Bild zeigt einen Fluss, der sich zwischen den mit Teebüschen behängten Bergen schlängelt. Natürlich habe Robert Fortune die Teepflanzen aus China geklaut, sagt Liu. Aber gleichzeitig habe er die hiesigen Sorten auch in die Welt getragen und bekannt gemacht.
Was er jedoch nicht erkannt habe, sagt Liu, das waren die Auswirkungen für ihr Land. China war damals das wichtigste Teeproduktionsland der Welt. Aber auf wiederholte Anfragen der britischen Krone verrieten die Chinesen ihre Geheimnisse des Teeanbaus nicht. London wählte eine Doppelstrategie: einerseits das, was man heute als Industriespionage bezeichnen würde: Fortunes Forschungsreise. Zudem nutzte das Empire Opium, um damit seine Teeimporte zu finanzieren. Denn schon damals sah sich Europa einem großen Handelsbilanzdefizit gegenüber: Die Briten segelten mit chinesischem Porzellan, Tee und Seide nach Europa. Umgekehrt aber kaufte China selbst kaum etwas.

Heute ist weitgehend in Vergessenheit geraten, dass auch der Tee zum Ausbruch des Krieges zwischen dem chinesischen Kaiserreich und Großbritannien beitrug. „Der Opiumkrieg ist auch bekannt als ‚Krieg der zwei Blumen‘“, sagt Liu, „der Mohnblume und der Teeblume.“ Erfolglos wehrte sich Peking damals gegen die koloniale Ausbeutung.
Heutzutage ist die chinesische Regierung streng auf der Hut. In Wuyishan darf kein Ausländer die Büsche und Wälder an einem bestimmten Ort am Tongmu-Pass betreten. Auf Nachfrage heißt es, die Bearbeitung einer Anfrage könne Tage bis Wochen dauern und werde von den Behörden üblicherweise negativ beschieden. Liu sagt, das diene dazu, die sensible Biodiversität zu schützen. Allerdings übt hier auch die Volksbefreiungsarmee. Immer wieder überfliegen Tarnkappen-Jäger die Teeberge von Wuyishan.
Tafeln erinnern an Xis Besuch
Der kleine Ort im Südosten von China bekommt immer größere politische Bedeutung. 2021 besuchte Xi Jinping hier einen Teegarten, nur wenige Kilometer entfernt von Liu Shuixians Fabrik. Heute ist der Ort eine Pilgerstätte. Eine rote Inschrift auf einem schwarzen Felsen erinnert an den Besuch des Staats- und Parteichefs in Wuyishan. Durch den Teegarten führt jetzt ein Weg aus Beton.
Gerade schreitet ihn eine Gruppe von etwa dreißig etwas feiner gekleideten Männern und Frauen ab. Es sind Funktionäre aus der Stadt Fuzhou. Eine Führerin erzählt etwas über Teeanbau, über die Fortschritte und wo Xi hier genau entlangging. Bis zur Aussichtsplattform sei er den Teehügel hinaufgekommen. Die Funktionäre machen Selfies. Die roten Schriftzeichen auf dem Felsen zitieren aus der Rede, die der Staatschef hier hielt: „Wir müssen Teekultur und Teeindustrie integrieren“. Wenn man auf den Felsen klopft, ist er hohl. Ein Plastikimitat.
Auf der anderen Straßenseite ist vor ein paar Monaten das Besucherzentrum fertig geworden. Es ist Xis Besuch gewidmet, ein moderner Bau aus Holz und Beton mit angeschlossenem Studiensaal. Drinnen zeigen Tafeln Bilder von Xi und seiner Delegation, ergänzt mit Aufnahmen aus Xi Jinpings Zeit als Funktionär der Provinz Fujian, zu deren ländlichem Hinterland auch Wuyishan gehört.

Höhepunkt ist ein animierter Film, der auf vier Leinwänden am Boden, vorne, links und rechts läuft. Der Zuschauer wird hineingezogen in die Schluchten von Wuyishan, überfliegt den Fluss und die endlosen Teebusch-Reihen. Vor dem Videowürfel bildet eine drei Meter breite Tafel eine Art Brüstung. Es ist eine stilisierte alte Landkarte. Ganz rechts im Osten, in Wuyishan, beginnt die Teestraße. Sie zieht sich durch acht weitere Städte in China, etwa Wuhan, den großen Umschlagplatz am Jangtse-Fluss. Über die Mongolei führt der Weg dann nach Russland: Irkutsk, Kasan, Moskau leuchten auf, bis die Hafenstadt Sankt Petersburg erscheint, alles digital animiert.
Darauf, dass chinesischer Tee einst auch über die zentralasiatische Seidenstraße kam und per Schiff über Chinas Ostküste bis nach Westeuropa gelangte, weist nur eine kleine Tafel in einer Ecke des Zentrums hin. Dabei soll der chinesische Tee über Portugal im siebzehnten Jahrhundert zum ersten Mal nach England gelangt sein.
Im Teegarten gegenüber bewirbt eine große Tafel den ökologischen Anbau. Umweltschutz und saubere Lebensmittel sind nach Jahren der Industrialisierung und der verseuchten Böden ein Anliegen der Chinesen. Wuyishans Behörden empfehlen den Bauern den Mischanbau von Sojabohnen. Seit Langem fördert und bewirbt Peking den Anbau von Soja. Die Nutzpflanze wird von der Fleischindustrie insbesondere für Tierfutter genutzt. China muss Soja zum größten Teil aber importieren, in großen Mengen auch aus den USA.

„Die Behörden haben uns kostenlos Samen von Soja und Rapspflanzen gegeben“, erzählt eine Teebäuerin, die einen der größeren Höfe der Gegend führt. „Wir sollen die Samen zwischen die Teepflanzen ausbringen, das verbessert den Boden und die Widerstandsfähigkeit unseres Tees.“ Wenn die Sojapflanzen eingehen, bieten sie einen natürlichen Dünger, sagt die Teebäuerin. Sie heißt Xu Caiyou, ihr Teegarten hat dreihundert Mu, rund zwanzig Hektar, und soweit sie weiß, haben ihre Vorfahren an dieser Stelle schon Tee angebaut. „Ich erinnere mich daran, wie ich als Kind mit meinem Vater die Schubkarre mit Teeblättern gefahren habe. Bis zur Bewertungsstation der Dorfkollektive.“
Ihr Elternhaus ist aus einfachem Lehm. Es steht neben ihrem eigenen Wohnhaus mit dunkelgrauen geschwungenen Schindeln. 2017 haben sie es zusammen mit einer neuen Produktionshalle gebaut, als der Teeboom in Wuyishan seinen Höhepunkt erreichte. Sie haben es zu Wohlstand gebracht. Mit ihrem Mann teilt sich Xu zwei Autos, eines davon elektrisch.
Um das Anwesen schlängeln sich die Teebüsche im Dunst. Gleich am Berg dahinter beginnt der Bambuswald, immer wieder sprießt der Bambus zwischen den Teebüschen am Rand des Gartens. Während Xu erzählt, gräbt ihr Mann mit der Hacke drei Bambussprösslinge aus. Das ist ihre Beilage zum Abendessen, lächelt er. Aber auch ein Schädling, der Wildschweine anzieht und damit eine Bedrohung für den Tee ist.
Xu sagt, zehn Jahre dauere es, bis eine Reihe Teepflanzen in voller Blüte steht. Fünf Kilo frische Teeblätter ergeben 500 Gramm fertigen Tee. Mittlerweile erhält sie ein Zertifikat der Regierung, dass ihr Tee wirklich aus dem Wuyishan-Wald stammt, um die zahlreichen Nachahmer aus den umliegenden Dörfern fernzuhalten. Denn der Erfolg hat wie üblich in China auch hier zur Überproduktion geführt und immer mehr Neubauern angezogen. In Wuyishan erteilt die Regierung keine neuen Genehmigungen mehr. Auf den Bergen wurden Überwachungskameras installiert.

Xu und ihr Mann machen jedes Jahr rund 100.000 Euro Gewinn. Bis vor wenigen Jahren seien es noch dreißig Prozent mehr gewesen, sagt sie. „Das war, als die wirtschaftlichen und diplomatischen Bedingungen besser waren.“ Aber sie haben einen treuen Kundenstamm. Xu zeigt auf die vielen Auszeichnungen an ihrer Wand, goldene Plaketten, mit denen ihr Tee ausgezeichnet wurde. Den Schwarztee Jinjunmei mit den Blatt-Knospen verkaufen sie dieses Jahr für 120 Euro das halbe Kilo.
Xu bittet an den Tisch und stellt Teetassen hin. Mit einer hölzernen Zange nimmt sie die kleinen Tassen, schwenkt sie in heißem Wasser, wirft die losen getrockneten Teeblätter in den kleinen Topf, schüttet den ersten Aufguss weg und gießt wieder ein. Guter Tee hält mehrere Aufgüsse lang.
Beim Teetrinken erzählt Xu, dass ihr Sohn Verpackungsdesign studiert. Bald habe er seinen Master. Den Teeanbau bringen die Eltern ihm zusätzlich bei. „Er soll unser Geschäft übernehmen.“ Auch heute noch sei das ein harter Job, für ihre Tochter eher nichts, dabei studiert sie an der Universität in Fuzhou Teewirtschaft. „Ich will, dass sie promoviert und dann eine hohe Position mit Bezug zu Tee in der Lokalbehörde übernimmt.“ Das bringt Sicherheit.
Ihren Schwarztee vergleicht Xu mit einem milden Bier, leichter zu genießen. Dann gießt sie einen Oolong-Felsentee der Sorte Da Hong Pao ein, der Name bedeutet große rote Robe. Dieser Tee erinnere sie an eine starke Spirituose, sagt Xu. „Kühner, schwerer im Charakter.“