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Emma Raducanu: Niederlage auf dem Court Philippe-Chatrier in Paris – Sport | ABC-Z

Auch nach vier Jahren im Beruf gibt es immer noch einschüchternde Entdeckungen. Emma Raducanu, 22 Jahre alt, hat das erlebt, als sie in Paris den Court Philippe-Chatrier betrat. Das Stadion ist ein weißer Quader, 2019 anstelle der alten Arena erbaut, der 15 000 Plätze bietet und trotz seiner kunstvoll gestalteten Fassade durch architektonische Klotzhaftigkeit beeindruckt. Die Inschrift am Oberrang bewirkt ein Übriges: „La victoire appartient au plus opiniâtre“, ist quer über die Längsseite gepinselt; das Zitat, mal Napoleon, mal dem Luftfahrtpionier Roland Garros zugeschrieben, besagt, dass der Sieg eine gewisse Sturheit voraussetzt. Rafael Nadal, der 14 Mal bei den Männern gewann, besaß diese Hartnäckigkeit, ebenso die Polin Iga Swiatek, die seit 2020 auch schon vier Siege in Roland Garros verbuchte.

Emma Raducanu fremdelte bei Eintritt in diesen Tennis-Hangar. „Ein bisschen unwohl“ fühlte sie sich. Das mag erstaunen, weil sie ihren größten Sieg bei den US Open 2021 in New York in einer Riesenschüssel errang, die sogar 23 000 Zuschauer fasst. Allerdings ist seitdem kein zweiter Titel mehr hinzugekommen. Und außerdem stand ihr am Mittwoch tatsächlich Swiatek gegenüber, die auf dem Court Philippe-Chatrier prompt ihr inoffizielles Hausrecht ausübte. 23 Gegnerinnen nacheinander hat Swiatek, 23, auf diesem Platz geschlagen. Für Raducanu gab es nichts zu holen. Nach 80 Minuten stand sie wieder vor der Tür. Das Resultat des Duells dieser beiden Grand-Slam-Siegerinnen war ernüchternd, 1:6, 2:6.

Es spricht für die junge Britin, dass sie sich den Fragen der internationalen Presse stellte, ruhig und offen über spielerische Defizite sprach: „Das Match hat mir die ganze Bandbreite gezeigt, in der ich mich verbessern muss.“

Tennis kann ein grausamer Sport sein, wenn er die Unzulänglichkeiten eines einzelnen Spielers vor aller Augen offenbart

Dass sich die Wirkung von Swiateks schnellem Strategiespiel nirgends so gut wie auf Sandplätzen entfaltet, ist keine Neuigkeit. Raducanu aber hat bisher alle fünf Duelle verloren, auf unterschiedlichen Belägen, ohne auch nur einen Satz zu gewinnen. Die Niederlage vor Paris datiert vom Januar bei den Australian Open und war noch heftiger, 1:6 und 0:6. Zwar fehlte auch Swiatek zuletzt Beständigkeit, aber nur gegen Spielerinnen mit kraftvollen, mächtigen Schlägen wie Jelena Ostapenko oder Danielle Collins, die sie zu überhasteten Vorhandfehlern treiben können: Dieses Arsenal hat Raducanu derzeit nicht.

Tennis kann ein grausamer Sport sein, wenn er die Unzulänglichkeiten eines einzelnen Spielers vor aller Augen offenbart. Am Mittwoch deckte Swiatek die Schwachstellen in Raducanus Spiel auf, als veranstalte sie auf dem Chartrier eine Powerpoint-Präsentation. Aus der Sicht der Leidtragenden fühlte sich das so an: „Sie setzt mich enorm unter Druck. Ich glaube dann, irgendetwas Besonderes tun zu müssen – aber ich weiß nicht, was.“ Raducanu sagte: „Ich habe mich schutzlos gefühlt.“

Swiatek sah das Match emotionslos: „Es gibt Spielerinnen, die den Ball haben und die die Angelegenheit für manche von uns leicht machen. Andere finden das nicht so schön“, sagte sie leicht verklausuliert, um der scharfen Analyse die Spitze zu nehmen. Sie wies gleichzeitig darauf hin, dass Raducanu schon bessere Vorstellungen geliefert habe.

„Meine Karriere ist völlig anders gelaufen als die jeder anderen Spielerin“

Tatsächlich hat die Britin in den vergangenen Wochen sogar recht beachtliche Ergebnisse vorzuweisen, in Miami stand sie im Viertelfinale, in Rom auf Sand im Achtelfinale. Aber zu ihrer Vita gehört, dass sie nie wieder solch eine Präsenz und Brillanz auf dem Platz entfaltete wie in jenem glorreichen Sommer 2021 in New York. Es war ein unvergleichlicher Siegeszug einer Qualifikantin aus dem Londoner Vorort Bromley, die nach dem Abitur Bücher und Laptop zuklappte, um mit schwingendem Racket und wippendem Haarzopf die Welt zu entzücken. Aber der Triumph verdeckt auch, dass die damals 18-Jährige bis dahin kaum Erfahrungen im Profitennis gesammelt hatte – etwa im Unterschied zur noch jüngeren US-Kollegin Coco Gauff, die auf Wimbledons Centre Court spielte, während Raducanu noch Juniorenturniere bestritt und über ihren Hausaufgaben brütete. „Ich hatte nie wirklich viele Wettkämpfe bestritten“, sagte sie voriges Jahr in einem Interview: „Meine Karriere ist völlig anders gelaufen als die jeder anderen Spielerin.“ Zudem entwickelte sie die Neigung, ihr Trainerpersonal schneller zu wechseln als jeder strauchelnde Fußball-Zweitligist auf der Insel, was nicht unbedingt zu ruhigem Schaffen beitrug.

Gerade als sie dabei war, ihren phänomenalen Früherfolg und die hochdotierten Werbeverträge mit mehr Erfolgen zu untermauern, schmerzten ihre Hände derart, dass sie kaum noch den Schlägergriff umklammern konnte. Operationen an beiden Handgelenken und am Fußknöchel folgten. Zwei Jahre nach ihrem grandiosen Erfolg zweifelte Emma Raducanu, ob sie jemals in ihr Metier zurückkehren würde.

Sie ist nicht die einzige ehemalige Grand-Slam-Siegerin, die mühevoll einen Weg zurück zu einstigen Höhen sucht. Auch die Japanerin Naomi Osaka, die vier schwere Silberpokale bei den US Open (2018, 2020) und Australian Open (2019, 2021) in Empfang nahm, hat an ihre Tage ihrer Dominanz, als sie jede Gegnerin in Schach hielt, nicht anknüpfen können. Sie ist inzwischen Mutter einer kleinen Tochter, und als sie in Paris erneut in der ersten Runde verlor – letztes Jahr gegen Swiatek, jetzt gegen die Spanierin Paula Badosa – musste sie anschließend ihre Pressekonferenz unterbrechen, um wieder Fassung zu finden. Sie hasse es, die Leute um sie herum zu enttäuschen, sagte sie, Trainer eingeschlossen.

Emma Raducanu beendete die Lehrstunde auf dem Court Philippe-Chatrier in der Erkenntnis, dass ihr viel Arbeit in nahezu allen Aspekten ihres Spiels bevorsteht, wenn sie eine der fünf besten Spielerinnen der Welt schlagen will. Das Niveau in diesem Bereich sei so hoch, dass man „fast von einem anderen Sport reden könnte“, sagte sie. Die Reise war für sie in Runde zwei vorbei – wie auch für die beste deutsche Spielerin Eva Lys, die gegen die Kanadierin Vicoria Mboko, 18, verlor (4:6, 4:6). Raducanu erinnerte zum Schluss daran, dass dies nach der Schule und den Operationen ihre erste vollständige Sandplatzsaison seit 2022 gewesen sei. Sie freut sich auf die Rückkehr nach Großbritannien und die Rasensaison – auch wenn sie seltener auf Gras trainiere, als außerhalb Englands oft angenommen werde. Aber es ist eine Umgebung, in der sie Freunde und Familie trifft und nicht fremdeln wird, wie sie lächelnd sagte: „Es ist eine gesunde und glückliche Zeit.“

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