Wolfratshausen: Neues Zuhause für traumatisierte Kinder – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

„Bali“ und „Sansibar“ liegen hoch über Wolfratshausen und bieten einen Blick ins Grüne: auf Bäume, Büsche und die Berge, auf Felder und einen Abenteuerspielplatz mit Seilbahn und Rodelhügel. „Bali“ und „Sansibar“ heißen die beiden intensivpädagogischen und therapeutischen Kleinstwohngruppen, in denen sieben Kinder im Alter von vier bis 13 Jahren bald ein neues Leben beginnen dürfen -„Kinder, die bisher in allen Systemen chancenlos waren“, wie Christian Althoff von der Diakonie München und Oberbayern sagt. Am Dienstag wurde das außergewöhnliche Projekt am Thannhof offiziell eingeweiht.
Noch wird auf dem Gelände zwischen Autobahnzubringer und Bergkramerhof gehämmert und geschraubt, doch schon jetzt ist zu sehen, dass es ein perfekter Ort für Kinder und Jugendliche ist, die bislang kein sicheres Zuhause hatten. Viel helles Holz und leuchtend hellblaue Fensterläden lassen den alten Hof freundlich und einladend erscheinen. Das Gebäude wurde in den vergangenen Monaten komplett entkernt und hochwertig neu aufgebaut. Dach, Dämmung, Fenster, Elektrik, alles sei auf dem neuesten Stand, sagt Ludwig Dick von der Alex-Danhuber-Stiftung.
Den künftigen Bewohnern stehen nicht weniger als 678 Quadratmeter Nutz- und Wohnfläche zur Verfügung. Jedes Kind bekommt ein geräumiges und helles Einzelzimmer. Zudem verfügt jede Wohngruppe über mehrere moderne Bäder. Es gibt Wohnzimmer und Küchen, Therapie- und Förderräume, einen Raum zum Lernen und eine Werkstatt, in der sich Kinder und Pädagogen ausprobieren dürfen. Draußen laden nicht nur der Spielplatz, sondern ein großes Freigelände zum Toben und zu Entdeckungen ein.
„Man könnte fast neidisch werden“, sagt Bürgermeister Klaus Heilinglechner beim Einweihungsfest. „Ich weiß, wie schön es ist, auf einem Bauernhof aufzuwachsen. Einen größeren Gefallen kann man Kindern nicht tun.“ Zugleich könne die Stadt Wolfratshausen stolz darauf sein, eine solche Einrichtung zu bekommen, so der Bürgermeister. „Das ist ein Zeichen für Integration.“
Wer darf nun einziehen in den neuen alten Thannhof? Die Anfragen kämen aus ganz Deutschland, sagt Christian Althoff, der bei der Diakonie München und Oberbayern die intensiv- und traumapädagogischen Angebote sowie die Kinder- und Jugendschutzstellen leitet. Der Bedarf sei gewaltig. Es gehe um Kinder, die von Vernachlässigung oder Verletzungen geprägt seien und trotz ihres jungen Alters bereits mehrere Beziehungsabbrüche hinter sich hätten. In Pflegefamilien und Wohngruppen stießen sie immer wieder an Grenzen und seien überfordert. In ihren Familien seien sie häufig Gewalt und Suchterkrankungen ausgesetzt gewesen. „Einige sind hoch traumatisiert.“

Zunächst gehe es bei der intensivpädagogischen Arbeit darum, diesen Kindern Halt und Geborgenheit, aber auch den nötigen Raum zu geben, um Ängste und Wut loszuwerden. In „Sansibar“ werden drei Kinder zusammenleben, in „Bali“ vier. Zum Vergleich: In regulären heilpädagogischen Wohngruppen sind es laut Althoff sieben bis neun Kinder.
Am Thannhof werden sie von einem multiprofessionellen Team betreut: pädagogischen Fachkräften, Therapeuten, Psychologinnen und sonderpädagogischen Lehrkräften. Noch sind nicht alle Stellen besetzt. Ein Ziel sei es, die Kinder so weit zu stabilisieren, dass sie eine Schule besuchen könnten, sagt Althoff. „Bisher sind sie durch fast alle pädagogischen Raster gefallen. Sie gelten als nicht beschulbar oder sind mit dem Kindergarten überfordert. Manche können keine halbe Stunde still sitzen.“
Geleitet wird das Thannhof-Team von der Sozialpädagogin Annemarie Schmidt. Sie ist von ihrer neuen Wirkungsstätte begeistert. „Wir haben hier unfassbar viele Möglichkeiten, aktiv zu werden, wir können backen, basteln, Sport treiben.“ Die abgeschiedene und idyllische Lage sei ideal. „Die Kinder dürfen hier auch laut sein und sich austoben – ohne dass sich jemand gestört fühlt.“ Zugleich helfe ihnen die Natur und die „reizreduzierte Umgebung“, zur Ruhe zu kommen, so die Sozialpädagogin.

Beim Aufbau der Wohngruppen setzt sie auf eine gute Vernetzung in der Region. „Wir wollen eng mit Kitas, Schulen, Ärztinnen, Therapeuten und Vereinen zusammenarbeiten“, sagt Schmidt. Für die zweite Wohngruppe sucht sie noch personelle Verstärkung. Gefragt seien Leute, „die mit Herz und Hand anpacken wollen“. Die erste Gruppe, „Bali“, soll in wenigen Wochen einziehen. In ihr werden zwei Kinder aus München, eines aus Starnberg und eines aus Wolfratshausen leben.
Ermöglicht hat das einzigartige Projekt die Alex-Danhuber-Stiftung. Ihr gehören nicht nur das Gebäude und das Grundstück. Sie finanziert auch den Umbau des Hofs. Spenden gab es von der Aktion Sternstunden und von SZ Gute Werke. Mit ihnen wurden Außenspielgeräte, hochwertige Möbel und ein Transporter gekauft. Für die Umbauarbeiten ist die Terra Bau- und Siedlungsgesellschaft Danhuber GmbH zuständig. Diese geht ebenso wie die Stiftung auf den Münchner Bauunternehmer Alex Danhuber zurück. Er hatte den Thomahof zusammen mit seiner Frau Eva in den Sechzigerjahren erworben und dort bis zu seinem Tod im Januar 2022 gelebt.
„Er war ein Unternehmer der Generation Wiederaufbau“, sagt Stiftungsvorstand Lorenz Dick. Mut und Bedachtheit seien für ihn ebenso prägend gewesen wie sein soziales Verständnis. Da die Ehe kinderlos geblieben sei, habe er 1990 mit seiner Frau die Stiftung gegründet und als Erbin eingesetzt mit dem Ziel, dass sie der Jugend- und Altenhilfe diene. „Wir hatten hier mit Alex Danhuber wunderschöne Erlebnisse“, sagt Dick. „Das ist ein traumhafter Fleck.“ Der Stiftungsrat sei sich sicher, dass es in Danhubers Sinn sei, den alten Thannhof zu einer Heimat für„ Bali“ und „Sansibar“ zu machen.