NRW-Landesvorstand fürchtet „schweren Schaden“ für die AfD | ABC-Z

Dem AfD-Bundestagsabgeordneten Helferich wird vorgeworfen, zwischen 2014 und 2016 in einer Burschenschaft antisemitische Mails mit positiven Bezügen auf den Nationalsozialismus verfasst zu haben. Nun fordert die Parteispitze in Nordrhein-Westfalen und im Bund Aufklärung.
Der Vorstand der nordrhein-westfälischen AfD ist alarmiert über Vorwürfe gegen den rechtsextremen Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich. Der „Spiegel“ hatte in der vergangenen Woche über angebliche E-Mails berichtet, die Helferich in den Jahren 2014 bis 2016 innerhalb der Bonner Burschenschaft Frankonia verschickt haben soll. In einer Mail, die dem Magazin zufolge mit „Heilchen“ beginnt und mit „Matthias“ unterzeichnet ist, soll es etwa an ein Verbindungsmitglied gerichtet heißen: „Du hast noch meine gesamte Rassenkunde-Literatur, du jüdischer Langfinger.“
In weiteren Mails soll Helferich sich als „Holocaustleugner_In“ bezeichnet und ein Gedicht verbreitet haben, in dem es heißt: „Advent, Advent, ein Asylantenheim brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht der Helferich vor der Reichstagstür.“ Helferich bestreitet, die Mails verfasst und versendet zu haben.
Nun haben sich nach WELT-Informationen sowohl der Landesvorstand der AfD in Nordrhein-Westfalen als auch der Bundesvorstand mit den Vorwürfen beschäftigt. Demnach fordert der Landesvorstand um Martin Vincentz den Bundestagsabgeordneten auf, „im Interesse der Partei und um Schaden von dieser abzuwenden, ‚Spiegel Online‘ abzumahnen, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung in Verbindung mit einer Richtigstellung der Angelegenheit an prominenter Stelle des Portals einzufordern und ggf. in der Sache eine gerichtliche Klärung herbeizuführen“. Dies geht aus einem WELT vorliegenden Brief des Vorstands an Helferich hervor, der vom Vorstandsmitglied und Europaabgeordneten Hans Neuhoff unterzeichnet wurde und auf diesen Montag datiert ist.
Wenn der „Spiegel“ die Vorwürfe nicht öffentlich zurücknehme, seien die Vorwürfe „so gravierend“, dass diese nicht nur Helferich schadeten. Diese würden dann „auch der AfD und deren Bundestagsfraktion einen schweren Schaden zufügen“. „Die zwei Videostatements, die Sie in der Sache abgegeben haben, wonach Sie nicht der Verfasser oder Versender von E-Mails mit vorstehend beschriebenem Inhalt seien und die ‚Hauptstadtjournalisten‘ Sie im Übrigen mal ‚am Arsch lecken‘ könnten, sind nach Auffassung des Landesvorstands nicht ausreichend und nicht geeignet, die gegen Sie erhobenen Vorwürfe glaubhaft und öffentlichkeitswirksam zu entkräften.“
Ein Parteiausschlussverfahren läuft
Gegen Helferich läuft bereits seit dem vergangenen Jahr ein vom Landesvorstand angestrengtes Parteiausschlussverfahren. Der Vorstand wirft dem 36-jährigen Rechtsanwalt vor, „die Außerlandesbringung von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund unter Anwendung staatlicher Zwangsmittel als politische Zielstellung artikuliert und die Betroffenen dabei als ‚Viecher‘ adressiert“ zu haben. Hintergrund ist ein von Helferich gepostetes Foto eines Autospiegel-Anhängers mit der Aufschrift „Raus mit die Viecher“ und dem Hashtag „Remigration“. Damit habe er „jeglichen Konsens über Grundbegriffe menschlicher Gemeinwesen“ aufgekündigt und „bewusst mit dem Bereich der Zivilisation“ gebrochen. „Die Szenarien, die drohen, sollten Personen wie Matthias Helferich jemals politisch-exekutive Macht erhalten, erinnern an die finstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte und speziell auch der deutschen Geschichte“, heißt es in dem WELT vorliegenden Antrag. Helferich weist auch diese Vorwürfe zurück. Über einen Parteiausschluss haben die Schiedsgerichte noch nicht entschieden.
Der NRW-Landesvorstand will die im „Spiegel“ erhobenen Vorwürfe dem laufenden Ausschlussverfahren hinzufügen, sollte Helferich der Aufforderung nicht folgen, das Magazin bis zum 2. Juni abzumahnen beziehungsweise beim Ausbleiben einer Unterlassungserklärung bis zum 10. Juni vor Gericht eine einstweilige Verfügung zu beantragen.
Am Montag hat sich auch der Bundesvorstand der AfD um Alice Weidel und Tino Chrupalla mit den Vorwürfen befasst. Die Parteispitze hat in einer Telefonkonferenz beschlossen, das Vorgehen des Landesvorstands „uneingeschränkt“ zu unterstützen. „Sollte sich infolge der Sachverhaltsklärung ergeben, dass der Landesvorstand die Notwendigkeit einer Parteiordnungsmaßnahme gegen Herrn Helferich sieht, würde der Bundesvorstand diese ebenfalls unterstützen“, heißt es in einer Sprachregelung der Bundesgeschäftsstelle. Helferich droht also, dass die Parteispitze dem Ausschlussverfahren vor dem Landesschiedsgericht beitritt.
Der „Spiegel“ hatte berichtet, ihm seien die Mails von „antifaschistischen Recherchegruppen“ zugespielt worden; sie seien „ausführlich geprüft“ worden. „Einigen der E-Mails, die Helferichs tatsächliche Mailadressen enthalten, hängen Fotos von ihm an, die zum jeweiligen Inhalt der Mail passen“, heißt es im Text des Magazins. Neben den genannten Mails soll Helferich in einer weiteren Nachricht einem Bundesbruder ein Buch empfohlen haben, „welches schon Goebbels anleitete“.
Helferich schrieb auf Anfrage des Magazins, dass ihm die Mailauszüge nicht bekannt seien. Der Mailaccount eines damaligen Bundesbruders sei gehackt worden; er „schließe nicht aus“, dass jene, die dies taten, „auch Mailkorrespondenzen manipuliert haben“. In einem Video sprach Helferich von einem „Anschlag auf mich“ und einem „hochdubiosen Sachverhalt“. Die „üblen Bekenntnisse“ in den Nachrichten habe er nicht verfasst.
Bereits im Jahr 2021 waren Chatnachrichten von Helferich aus den Jahren 2016 und 2017 aufgetaucht, in denen sich Helferich als „das freundliche gesicht des ns“ (Schreibweise im Original) sowie mit Bezug auf den Präsidenten des NS-Volksgerichtshofs, Roland Freisler, als „demokratischer Freisler“ bezeichnete. Hierzu erklärte Helferich mehrmals, er habe sich lediglich persiflierend auf Fremdzuschreibungen politischer Gegner bezogen. Die Nachrichten seien „ironisch“ und „teils geschmacklos“. Im Mai 2022 wies das Landesschiedsgericht der NRW-AfD einen diesbezüglichen Antrag des AfD-Bundesvorstands auf Enthebung aus allen Parteiämtern zurück und beschloss lediglich eine dreimonatige Sperre für Parteiämter. Das Gericht sei zur Überzeugung gelangt, dass Helferich „fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ stehe und die nationalsozialistische Ideologie „zutiefst“ ablehne. Es habe sich bei den Chatnachrichten um „im hohem Maße missglückte Scherzerklärungen“ gehandelt.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Im September erscheint im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“.