Dietmar Wischmeyer über „Vergeigt, verkackt, versemmelt“ | ABC-Z

Berlin. In seinem neuen Buch macht sich der Satiriker seinen eigenen Reim auf die Gegenwart. Ein Gespräch über Handysucht und Stadtflucht.
Der Zustand unserer Gesellschaft treibt manchem die Tränen in Augen. Statt sich aber darüber endlos aufzuregen, porträtiert Dietmar Wischmeyer lieber in seinem neuen Buch „Vergeigt, verkackt, versemmelt“ klug und mit satirischer Verve die irritierende Gegenwart. Im Gespräch verrät er, warum er Berlin lieber mag als Köln und was ihn überhaupt noch auf die Palme bringen kann.
Herr Wischmeyer, Sie haben Ihr neues Buch unter dem Eindruck der Ampelkoalition geschrieben. Werden Ihnen die Ampel-Koalitionäre als Satiriker nicht fehlen?
Dietmar Wischmeyer: Nein. Das Buch ist schon im letzten Jahr geplant worden, als noch niemand wusste, dass die Ampel nur bis November 2024 durchhält. Ich hatte fest damit gerechnet, dass sie uns noch bis Ende 2025 unterhält. Der Titel war für ihre Endphase gedacht. Aber die neue Regierung hat sich schnell als Promotion-Truppe für mein Buch herausgestellt. „Vergeigt, verkackt, versemmelt“ – das passt auch auf die neue schwarz-rote Regierung. Die sind ja quasi schon vor dem Start gescheitert. Das ist neu.
Zur Person: Dietmar Wischmeyer
Geboren 1957 im niedersächsischen Oberholsten, studierte Dietmar Wischmeyer Philosophie und Literaturwissenschaften in Bielefeld. 1988 war er einer der Väter der norddeutschen Kult-Comedy-Show „Frühstyxradio“, für die er zahlreiche Figuren wie „Günther, den Treckerfahrer“ oder „Den kleine Tierfreund“ erfand. Als Autor und Kolumnist zählt der vielfach preisgekrönte Satiriker, der sich selbst als Humorfacharbeiter bezeichnet, zu den erfolgreichsten Protagonisten der deutschen Humorszene. Er tourt mit wechselnden Programmen durch Deutschland, tritt regelmäßig in der „Heute Show“ auf und ist unter anderem wöchentlich bei Radio eins zu hören. Zu seinen ungewöhnlichen Hobbies zählen Motorradgespanne und Hundezucht. Er ist mit der Historikerin Nadja Wischmeyer verheiratet und lebt im Landkreis Schaumburg.
Im Kapitel „Olaf und der Osterhase“ geben Sie intime Einblicke in das Privatleben von Ex-Kanzler Olaf Scholz. Hat Friedrich Merz das Potenzial dazu, dass Sie ihm zukünftig etwas Ähnliches widmen werden?
Friedrich Merz ist viel extrovertierter. Scholz hat ja nicht umsonst jahrelang den Spitznamen Scholzomat gehabt. Er ist in sich verschlossen und offenbar mit sich im Reinen, auf eine autistische Art. Merz fährt mit dem Fahrrad durchs Sauerland, macht Sport und spielt Skat. Er ist eher nach außen gewandt. Also ein ganz anderer Typ als Scholz.
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Sie sind ja ein ausgewiesener Experte für alles Bekloppte und Bescheuerte. Wenn Sie mal zurückblicken, hatten die Menschen hierzulande eigentlich immer schon einen Hang dazu?
Ich weiß gar nicht so genau, ob es schon immer so war mit dieser wirklich miesen Mischung aus so stieseliger Kleinbürgerlichkeit und dem Beharren auf etwas, das man für richtig hält. Bloß nichts Neues wagen. Und das alles wird auch noch überzuckert mit einem riesigen, sozialen Frankfurter Kranz. Da kommt man natürlich schwer wieder raus. Zwei Mal im Jahr Kroatien, Zweitwagen, Doppelgarage, was willst du mehr? Warum sollte sich da was dran ändern? Die Klimakatastrophe erleben wir ja alle gar nicht mehr. Aber was wir gerade erleben, ist eine marode Infrastruktur. Jeder, der mit der Bahn fährt, weiß darüber zu berichten. Und wir erleben, dass wirklich nichts mehr bezahlbar ist.
Gibt es eigentlich aktuelle Trends und Entwicklungen, die Sie noch auf die Palme bringen können?
Da muss ich wirklich überlegen. Das Gewettere gegen Wokeness und Gendern ist zu langweilig geworden, als dass man dabei noch mitmachen will. Vielleicht ist es das nächste „Unwort des Jahres“, das von einer ideologisch geleiteten Jury ausgewählt wird, die sich selbst erdreistet zu bestimmen, was das „Unwort des Jahres“ wird. Das schlimmste für mich wäre „Sondervermögen“. Aber das wird es wohl nie werden. Meine Prognose ist „Gratismut“ als nächstes „Unwort des Jahres“.
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Tatsächlich? Warum?
Weil es aktuell von vielen gebraucht wird. Noch wird es in der elaborierten Form von seriösen Kommentatoren genutzt. Aber es leckt allmählich runter in die AfD. Wenn es da angelangt ist, wird es das „Unwort des Jahres“. So ist es auch mit „biodeutsch“ geschehen. Das war erst ein ganz normales Wort, wie auch „Remigration“. Wir haben offenbar vergessen, dass es ein Fachwort aus der Soziologie ist für Arbeitsmigranten, die in ihre Heimat zurückkehren. Lange ein neutrales Wort für Türken, die hier gearbeitet haben und dann als Rentner in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Da war nichts Schlimmes dran, das hatte nichts mit der Deportation von Ausländern zu tun. Aber wenn so ein Wort erst mal absackt in den AfD-Schlamm, dann ist es verloren. Es ist eine schlimme Entwicklung, dass die AfD uns diktiert, was man sagen und was man nicht sagen darf.
Gibt es denn Themen, die für Sie kein Provokations- oder Erregungspotenzial haben?
Ja, aber die kommen in meinem Buch nicht vor, weil die Leser ja erregt und provoziert werden wollen. Der Nachrichtenwert muss stimmen. Es gibt laufend neue Fachwörter von irrsinnigen Trends, die ich nicht kenne und mir immer aufschreiben muss. Aber dann verliere ich die Zettel. „Holistic wellbeing“, also ganzheitliches Wohlbefinden, ist so ein neuer Trend. Und „mental load“, ein neuer Begriff, den ich noch nicht kannte. Gemeint ist der geistige Unterbau der Care-Arbeit, die Frauen leisten. Sie sind quasi mental ständig damit beschäftigt, alles im Kopf zu organisieren, was den Haushalt und das Wohlergehen ihrer Familie betrifft.
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Bei all den neuen Trends und Entwicklungen hat man das Gefühl, es wird alles immer kleinteiliger. Verlieren wir langsam den Überblick über unser Leben?
Mir geht es schon ein bisschen so. Man kann sich gar nicht mehr aus der Welt zurückziehen. Ich glaube, es wird bald Kurorte geben, wo am Ortseingang ein Schild mit dem Verweis „Hier kein Mobilfunkempfang“ steht. Man wird ja zu jeder Tages- und Nachtzeit von seiner WhatsApp-Gruppe belästigt oder von seinen Push-News vollgetextet. Wenn man das Pech hat, wohnt man auch noch in einer Großstadt. Dann ist die Reizüberflutung bei jedem Gang vor die Tür programmiert.
Bekanntlich mögen Sie das Landleben wesentlich lieber als das Leben in der Stadt. In Ihrem Buch gibt es denn auch zwei Kapitel über Köln und Berlin als nicht lebenswerte Städte. Wie intensiv haben Sie dafür vor Ort recherchiert?
Viel. Wenn ich hingegen etwas über Hamburg schreibe, ist das reines Vorurteil, weil ich so gut wie nie da bin und alle dort für blasiert halte. In Köln bin ich dank der „Heute Show“ relativ oft. Da kann man hingehen, wo man will: Es ist alles schrecklich. Allein schon diese ganzen romanischen Kirchen, die eingezwängt zwischen Teppichcentern stehen. Furchtbar. Da gibt es keine Weite und keine Plätze. Die Begradigung des 19. Jahrhunderts mit großen Straßen ist an Köln völlig vorbeigegangen. In Berlin ist das anders. Da bin ich auch sehr häufig und im Gegensatz zu Köln ganz gern, weil ich ja wieder wegfahren kann. Eine Woche in Berlin finde ich erholsam. Aber eine Woche in Köln wäre schlimm.
Woran liegt es?
Berlin ist insgesamt ein leicht überzuckerter Schrecken, der für den Besucher gar nicht wahrnehmbar ist. Was weiß ich denn, wie es auf dem Bürgeramt in Neukölln ist? Da bin ich ja nie. Außerdem versteht man den Berliner meistens besser als den Kölner.
Was macht denn für Sie das Leben auf dem Land besser als das Leben in der Stadt?
Das fängt bei ganz einfachen Dingen an. Die Luft ist besser, es gibt viel weniger Krach und in der Nacht ist es dunkel. Das sind die drei Essentials für mich. Ich finde es außerdem schon toll, dass ich aus der Tür komme und direkt mit dem Hund kilometerweit im Wald spazieren gehen kann. Die Natur gefällt mir schon sehr und alle Annehmlichkeiten der Stadt sind dank Internet mittlerweile auch auf dem Land verfügbar. Ich kann von zu Hause aus arbeiten und es kommen Kurierfahrer aus aller Welt.
Sie müssten also gar nicht mehr in die Stadt.
Nein, aber ich würde etwas vermissen, wenn ich nicht mehr dorthin führe. Man sollte nicht als grumpy old man in the middle of nowhere vergammeln. Das wäre ja auch blöd.
Als Satiriker sind Sie in vielen Medien unterwegs. Wo fühlen Sie sich denn am wohlsten: Im Studio, live auf der Bühne oder am Schreibtisch?
Die Bühne hat einen Nachteil: Es ist immer abends und ich bin eher der Feierabendtyp. Ab 18 Uhr fällt bei mir der Bleistift. Das ist meine Welt. Auf der Bühne bin ich eigentlich schon gar nicht mehr wach. Das liebste Medium ist mir das Radio. Es ist schnell, schmutzig und zur semantischen Information kommt noch die Stimme dazu. Das finde ich reizvoller als nur zu schreiben. Ich bin aber auch ein großer Anhänger der E-Mail als schneller Kommunikationsform. Andererseits ist das geschriebene Wort nie vor Missverständnissen gefeit.
Warum bespielen Sie die Sozialen Medien eigentlich nicht?
Das würde viel bringen. Es würden noch mehr Leute in meine Shows kommen und noch mehr Bücher kaufen. Aber es sind auch so schon genug. Warum sollte ich diesen Mist also machen und bei TikTok rumalbern?

Dietmar Wischmeyer: Vergeigt, verkackt, versemmelt. Erinnerungen an die Gegenwart. Rowohlt Berlin, 272 S., 18 Euro.
© . | Rowohlt Berlin
Auf Instagram haben Sie immerhin momentan 1089 Follower bei exakt null Beiträgen.
Das sagt doch alles über dieses Medium. (lacht)