SZ-Kolumne „Auf Station“: Wenn Wassertrinken schädlich ist – Ebersberg | ABC-Z

Der Mensch besteht mehr als zur Hälfte aus Wasser – dem Körper regelmäßig Wasser zuzuführen, ist lebensnotwendig. Das hört man ja gerne mal, „Trinken Sie ausreichend!“, „Am besten Wasser oder Tee!“, sowas. Das stimmt alles. Und trotzdem gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift. Denn es ist möglich, zu viel zu trinken und davon schließlich krank zu werden.
In jüngster Zeit hatten wir gleich drei Patienten auf der Intensivstation, die das über Jahre hinweg getan haben. Unwissentlich. Hyponatriämie nennt sich das dann. Der Körper kann das ganze Wasser überhaupt nicht mehr verwerten, er macht dann sozusagen alle Schleusen auf und lässt es durchlaufen. Das Problem ist, dass dadurch wichtige Nährstoffe, allem voran Natrium und Kalium, ausgeschwemmt werden – ein Mangel entsteht. Schwindel, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit und Erbrechen können Folgen sein. Die Symptome sind vergleichbar mit dem Gegenteil einer Hyponatriämie, also wenn man zu wenig trinkt und der Körper dehydriert. Wenn dann beispielsweise ein herkömmlicher Erkältungsvirus obendrauf kommt, kann das eben im Krankenhaus landen.
:Warum ist die Patientin so sauer?
Pola Gülberg und ihre Kollegen sind ratlos: Der Säure-Base-Haushalt einer Patientin ist völlig aus dem Gleichgewicht, nur warum? Als die Frau schließlich von ihrer Ernährung der vergangenen Tage erzählt, macht sich in der Pflegerin ein Verdacht breit.
Einer von unseren drei Fällen war eine Frau, sie trank seit gut zwei Jahren um die fünf Liter Wasser, jeden Tag. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, fing dieses exzessive Trinken mit ihrem Wunsch an, Gewicht zu verlieren. Wer abnehmen will, dem wird schließlich geraten, richtig viel zu trinken, damit eine Art von Sättigungsgefühl eintritt und man nicht so viel isst. Aber fünf Liter, jeden Tag, das wäre selbst für einen Hochleistungssportler, der viel schwitzt, schon arg viel. Die Frau war in einem äußerst verwirrten Zustand, dämmerte immer wieder weg und erkannte ihre Familie nicht mehr – das hätte bis zu Krampfanfällen und dem kompletten Verlust des Bewusstseins führen können.
Ein anderer Patient zog das viele Trinken seit 20 Jahren durch, wie er mir erzählte. Ein Heilpraktiker habe ihm damals gesagt, dass er zwischen zwei und fünf Liter pro Tag trinken soll. Daran hat er sich gehalten, selbst nachts trank er mindestens einen Liter. Seine Laborwerte der vergangenen Jahre waren schon auffällig, vor allem seine Natrium- und Kaliumwerte waren zu niedrig. Nur war niemand drauf gekommen, dass das im Zusammenhang mit zu viel Flüssigkeitszufuhr stehen könnte.

Der Mann tat mir richtig leid. Ich habe ihm angemerkt, wie enttäuscht er war – all die Jahre dachte er, er tue seinem Körper etwas Gutes. Und jetzt musste er feststellen, dass das Gegenteil der Fall war. Langsam haben wir seinen Körper an weniger Flüssigkeit gewöhnt, sodass sich die Werte wieder einrenkten. Einfach hoch dosiert Natrium zuführen funktioniert nicht, denn wenn das Gehirn zu schnell zu viel Natrium bekommt, kann es zu einem Hirnödem kommen.
Was ist denn nun die richtige Menge an Trinken? Pauschal lässt sich das nicht sagen. Eine 1,90 Meter große Person, die täglich viel Sport treibt, braucht natürlich mehr, als die 1,50 Meter große Person, die statt zu sporteln lieber auf der Couch fernschaut. Auf jeden Fall ist eine körpergewichtsabhängige Menge sinnvoll zur Orientierung, hier lautet der Richtwert: ungefähr 35 Milliliter pro Kilo Körpergewicht.
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind online unter sz.de/aufstation zu finden.