Christian Dürr: Nichts für Feiglinge | ABC-Z

Womöglich ahnt Christian Dürr, dass die FDP ein Problem
hat, das größer ist als die Ampel, als Christian Lindner oder Wolfgang Kubicki,
als Marie-Agnes Strack-Zimmermann, oder, oder, oder. Und vielleicht wird der
frisch gewählte Parteichef Dürr scheitern, und das nicht, weil er der Falsche
wäre, oder unfähig, sondern weil die Aufgabe, die ihm die Delegierten auf dem
Parteitag am Freitagabend aufbürden – die FDP zurück in den Bundestag führen – am
Rand des politisch Möglichen liegt. Oder jenseits davon. Weil: Wie soll man
stark werden, wenn das, was einen stark gemacht hat, gleichsam beides ist:
Kraftfutter und Kryptonit?
Um viertel vor acht sagt Dürr in einer Berliner Tagungshalle prophetische Worte: “Heute
geht die Arbeit los.” Er ist jetzt Parteivorsitzender. Die über 600 Delegierten
haben ihm gerade mit 83 Prozent Zustimmung ein Ergebnis gegeben, das man so
schön “ehrlich” nennt. Doch er hat damit deutlich weniger Rückhalt, als die liberale Leitfigur des vergangenen
Jahrzehnts, Christian Lindner, früher bekam.
Der ist nach der Pleite bei der Bundestagswahl endgültig Geschichte
und wird von seiner Partei am Mittag noch mal gefeiert und
verabschiedet. Es folgt: eine stundenlange, teils zähe, häufig emotionale Aussprache. Auf dem ersten
Parteitag in der außerparlamentarischen Opposition hatte sich natürlich einiges
an Redebedürfnis aufgestaut an der Basis.
Liberale sind überall nur zu Gast
Udo Di Fabio, ehemals Richter am Bundesverfassungsgericht, hält
ein Grußwort, obschon nicht Parteimitglied. Er macht den Liberalen Mut, sie
würden gebraucht. Warnt aber auch vor dem “Pulverdampf des Kulturkampfs” in
einer Gesellschaft, die sich “verfeindlicht”.
Parteivize Johannes Vogel stellt die letztlich
schmerzlichste Frage, die über allen im Saal schwebt: Warum zerreißt es die FDP
zuletzt immer, sobald sie regiert? Der Sozialliberale Konstantin Kuhle ruft: Die FDP “darf keine
Protestpartei der Mitte sein, (…) die jedes Mal zusammenbricht, wenn sie mit der Realität
in Kontakt kommt”. Der scheidende Generalsekretär, Marco Buschmann, warnt unter
dem tosenden Applaus des Parteitags davor, die FDP zu einer AfD light zu
machen. Während Thüringer Landeschef Thomas Kemmerich warnt vor dem jüngsten Stimmenabfluss Richtung AfD – und die Ursache dafür in vermeintlich fehlender Radikalität der Liberalen ausmacht.
Die Antwort muss man nicht teilen, aber die Frage gehört ganz oben auf die Agenda: Was läuft falsch, wenn eine liberale Partei eine knappe Million Wählerinnen
und Wähler verliert an die AfD, eine explizit antiliberale Partei? Die Antwort
könnte schmerzen.
So geht das munter hin und her. Während die einen die
Meinungsfreiheit in Gefahr sehen, halten andere Nachredner das für Nonsens. Die
einen mosern über die Ampel, die anderen klagen über die Ampelmotzer. Während
die Dritten wiederum vor einer Spaltung warnen. Es ist phasenweise so, als
säßen hier zwei Parteien unter einem Dach.
Aber war das nicht mal der Funke, der die FDP interessant und einmalig gemacht hat? Etwas Stolz schwingt
schließlich mit, wenn Liberale sich Heimatlose nennen, überall Fremde,
nirgends wirklich daheim, im Geist Steppenwolf, mal eher links, manchmal
rechts, aber stets nur zu Gast. Das ist mehr als Prosa, es wird auch von Daten gedeckt,
die FDP-Wähler sind ein verstreutes Völkchen.
Wer sich zuvörderst der Freiheit verschreibt, kennt nun mal
kein mächtiges Lagerfeuer von Stamm, Konfession, Vaterland oder Klasse, an dem man
sich verlässlich wärmen könnte; gern zitiert man in der FDP die Gräfin: “Der legitime Platz des Liberalen ist zwischen allen Stühlen.”
Was Dürr mitbringt, was Lindner fehlt
Aber jetzt sind die Stühle weg, nicht nur im übertragenen Sinne,
sondern ganz real. Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte hat die FDP keinen Sitz
mehr im Bundestag. Und die Partei ist nicht mehr nur ihre Heimat los, weil sie
die so richtig ja nie hatte, nein, sie wirkt lost, scheint ihren Kompass
verloren zu haben.
Dürr zitiert in seiner Bewerbungsrede Theodor Heuss, den ehemaligen Bundespräsidenten: “Der Liberalismus
lebt aus der Spannung zwischen der Freiheit des Individuums und seiner Verantwortung
für die Gemeinschaft.” Dürrs Bitte, fast ein bisschen flehentlich: “Mit der
Aufspaltung des Liberalismus in zwei Lager ist nichts gewonnen.” Weshalb Dürr
auch vermeidet, an dieser Stelle vom Parteitag aus eine Richtungsbestimmung vorzunehmen, eine klare Agenda vorzugeben.
Vielmehr
enthält seine Rede viel gelbes Allerlei: Kritik an der Union, an Merz und seinen
gebrochenen Wahlversprechen und eine Warnung vor einem “öffentlich-rechtlichen
Faktencheck für Tatsachenbehauptung in sozialen Medien”. Dürr will die Migrationspolitik
“mal ökonomisch” sehen, mehr Menschen in Arbeit einwandern lassen als in
Sozialleistungen. Und er schlägt vor, Geringverdiener aus der gesetzlichen
Rente heraus zu lösen. Legten die stattdessen ihre Beiträge am Markt an, wären
sie nach 45 Beitragsjahren “fast Millionär”.
Auf dem Parteitag gibt es für seine gut 45-minütige Bewerbung höflichen
Applaus, für volle Begeisterung fehlen noch ein paar Dezibel. Das ist nicht so
trivial, weil irgendeine Glut muss die FDP ja durch das APO-Tal tragen. Und so hat
doch zuletzt die Linke gezeigt, dass selbst Totgesagte wiederauferstehen können,
sobald sie einfach den Vibe drehen von verdrießt auf fröhlich – gerade auch bei den sogenannten einfachen Mitgliedern.
Wie also geht es denen, die nicht zur Funktionselite der FDP auf dem Parteitag gehören?
Mahnmal des Mir-doch-wurscht-Liberalismus
Montag dieser Woche – der Ort könnte sinnbildlicher
kaum sein –, eine Bauruine im Berliner Südwesten: Über 30 Etagen erhebt sich das
Skelett des Steglitzer Kreisels in den Abendhimmel. Ein Hochhaus aus den
1970ern. Im Sockel empfängt nach wie vor ein Hotel seine Gäste, macht, fast ein
bisschen trotzig, einfach weiter business as usual. Zwischen Raucher- und
Kaminzimmer hat die FDP Steglitz-Zehlendorf den designierten Parteichef in den
Ballsaal eingeladen.
Aus dem ehemaligen Verwaltungsgebäude oben drüber sollten
mal Eigentumswohnungen wachsen, nun steht der Turm seit zehn Jahren leer –
statt Vision und Aufbruch brennen hier Privatisierung und Immobilienzockerei als
Nebenfolgen eines Mir-doch-wurscht-Liberalismus ein Mahnmal in die Berliner
Skyline.
Davon ungerührt, ebenso wie von der jüngsten Wahlschlappe, scheint
der Optimismus im Saal ungebrochen. Die Stuhlreihen sind gut gefüllt, etwa 200
Liberale haben Platz genommen, für ein Requiem auf die Partei ist es eindeutig
zu früh. Irgendwie scheint das Gefühl verbreitet: Es hat ja auch nach 2013
schon mal zum Comeback gereicht, wird schon noch mal klappen. Bei kalten
Häppchen und Schorle kreisen in Steglitz wie auf dem Parteitag die Fragen der FDP-Basis
um das letztlich große unbeantwortete Thema: Was heißt es heute noch, liberal
zu sein?
Es geht um Steuern und Mindestlohn, die Aktienrente, die
Mietpreisbremse und das Aufstiegsversprechen, um die Schuldenbremse, die AfD,
die Einwanderungsfrage.
Dürr benutzt Vokabeln wie Learning, sagt Sätze wie:
“Da müssen wir bullet proof sein.” Seine Vision für die FDP: Sie müsse
die zentrale Reformpartei sein. Wandel muss seiner Meinung nach aus der politischen Mitte
organisiert werden können, sonst drohten Stillstand, Reformstau, Frust und
letztlich eine Drift in die politischen Extreme.
Dürr fehlt, was Lindner hatte, das wird auch auf dem Parteitag klar: rhetorische Brillanz, die diebische Lust an der Provokation. Aber er bringt etwas, das Lindner fehlte. Dürr ist einer, der kann sein Pils aus der Flasche trinken, der mit einer Kippe in der Hand immer aufgelegt ist für eine kleine Schnurre. Etwas Wärme wird sicher kein verkehrter Begleiter für die Aufgabe, die vor ihm liegt. Oder wie Dürr selbst sagt: Das ist jetzt nichts für Feiglinge. Er dürfte recht behalten.