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Cannes: Deutsche Regisseurin Mascha Schilinski überrascht mit „In die Sonne schauen“ | ABC-Z

Dass ein Film aus Deutschland in Cannes den Wettbewerb eröffnet, ist eher ungewöhnlich. Ohnehin schaffen es hiesige Filmemacher nur selten in die Spitzenauswahl des Festivals. Bevorzugt werden dann gestandene Regisseure geladen wie Fatih Akin („Aus dem Nichts“, 2017) und Wim Wenders („Perfect Days“, 2023). Regisseurinnen sind in Cannes dabei traditionell in der Minderheit, die letzte deutsche Regisseurin mit Chancen auf eine Goldene Palme war 2016 Maren Ade mit „Toni Erdmann“.

Jetzt hatte die gebürtige Berliner Regisseurin Mascha Schilinski mit „In die Sonne schauen“ die erste Wettbewerbspremiere an der Croisette. Es ist erst ihr zweiter Spielfilm nach „Die Tochter“, der 2017 auf der Berlinale in der inzwischen eingestellten Nebenreihe „Perspektive deutsches Kino“ lief.

„In die Sonne schauen“, der in Cannes unter dem internationalen Titel „Sound of Falling“ gezeigt wurde, hat eine eigene, recht anspruchsvolle Handschrift, der es weniger um Unterhaltung als um einen konzentrierten Dialog mit dem Publikum geht.

Von Platt bis Hochdeutsch

Auf vier Zeitebenen, vom frühen 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart, erzählt Schilinski vom Leben einer Familie auf einem Bauernhof in der Altmark. Sie rückt stets eine weibliche Figur ins Zentrum des Geschehens, lässt einige von ihnen aus dem Off über den rauen, von vielen Entbehrungen geprägten Alltag berichten. Dabei wechselt die Sprache durch die Zeit hindurch von trockenem Platt zu Hochdeutsch, einige Figuren sprechen auch überhaupt nicht, doch stets ist der Ton eine entscheidende Ebene für Schilinskis Geschichte.

Die oft dräuenden Brumm-, Knack- oder Säuselgeräusche schlagen Verbindungen zwischen den Generationen, unter denen Schilinski fast übergangslos hin- und herwechselt. Einzelne Erfahrungen werden dabei „vererbt“, tauchen wie in einem Traum als Motiv zu einem späteren Zeitpunkt in einem anderen Zusammenhang wieder auf.

Gestorben wird häufig in diesem Film, Frauen erleben Gewalt oder Unterdrückung, das Licht dazu ist meist gedämpft oder gebrochen, manche Bilder sind leicht verschwommen gefilmt. Schilinski verlangt dem Publikum einiges ab, belohnt dessen Bereitschaft aber mit einer unwirklich driftenden Inszenierung, in der selbst die ländliche Enge eine eigene Poesie entwickelt und sogar Magie ihren Platz hat. Ein wunderbarer Auftakt.

Hochphase des Terrors in der UdSSR

Einen ästhetischen Kontrast bietet der ukrainische Regisseur Sergei Loznitsa mit seinem ebenfalls im Wettbewerb laufenden Spielfilm „Zwei Staatsanwälte“ nach dem gleichnamigen Roman von Georgi Demidow. Geradlinig erzählt, begleitet Loznitsa in streng abgezirkelten kalten Bildern den jungen Staatsanwalt Alexander Kornev (Alexander Kusnezow) im Jahr 1937 während der Hochphase des stalinistischen Terrors bei seinen Ermittlungen zu einem Gefängnisinsassen. Dessen Hilferuf aus der Zelle hatte ihn heimlich erreicht.

Loznitsa führt die Willkür der Terrorherrschaft als absurden Bürokratieapparat vor, lässt den aufrechten Kornev stundenlang im Gefängnis darauf warten, zu dem Gefangenen vorgelassen zu werden. Danach geleiten ihn die Aufseher durch endlose Gefängnistrakte, von einer Gittertür zur nächsten, vorbei an massigen Wärtern, die ihn kaum vorbeilassen wollen.

Das Ende der Geschichte für Kornev ist bald absehbar, doch die unerbittliche Ausweglosigkeit des paranoiden Verfolgungssystems des Stalinismus, die Loznitsa vorführt, ist zugleich eindringliches Plädoyer für den Erhalt von Demokratie und funktionierender Justiz.

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