ARD testet, „Tagesschau“ auf halbe Stunde zu verlängern | ABC-Z

Wer von Nachrichten nicht genug bekommen kann, obwohl es vor allem schlechte Nachrichten mehr als genug gibt (das journalistische Prinzip „bad news are good news“ ist unumstößlich), der schaut nicht die „Tagesschau“ in der ARD. Der gehört nicht zu den knapp 9,6 Millionen Menschen, die abends um acht das Erste, ein drittes Programm, 3sat, Phoenix oder „tagesschau24“ einschalten, um die Sendung zu sehen.
Dosiert und knapp
Die „Tagesschau“ vermittelt das Geschehen des Tages nämlich dosiert und knapp. Über Themenauswahl und Schwerpunktsetzung lässt sich jedes Mal streiten, über die Länge nicht. 15 Minuten reichen. Für die Nachrichtenmüden, von denen es (etwa im Digital News Report des Reuters Institute) heißt, sie würden immer mehr, ist das die Höchstdosis. Danach geht es weiter im linearen Hauptprogramm, am besten mit Unterhaltung.
Gleichwohl testet die ARD zurzeit intern aus, ob es bei der Nachrichtenviertelstunde bleiben soll. Montags könnte es künftig eine halbe Stunde sein. Es gebe „Pflichtthemen, wenn in der Ukraine was passiert, wenn in Berlin im Bundestag etwas passiert“, sagt der WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn im Gespräch mit dem Deutschlandfunk, „aber zur Wirklichkeit des Alltags gehört ja auch, was ich in der Pflege erlebe, was ich in der Bahn erlebe“. Es gehe darum, die Nachrichtenprogramme „für den Alltag stärker“ zu öffnen, um die „Chance, die Klammer zu schaffen vom Alltag, den ich erlebe, wo übrigens auch ganz viele Dinge funktionieren oder lösbar sind, und den großen Problemen der Welt“.
Und das soll also künftig in die „Tagesschau“? Der vernichtende russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der gelungene Feuerwehreinsatz, um die Katze von Nachbars Baum zu holen, und als Abbinder der Sack Reis, der seit Jahr und Tag in China aus dem Gleichgewicht gerät? Der Vorteil sei, meint Schönenborn, dass es mehr Informationen gebe und „dass ich mich als Durchschnittszuschauer stärker wiederfinden kann“; der Nachteil, „dass ich mehr Zeit investieren muss. Und diese Abwägung müssen wir treffen.“
Können 9,6 Millionen Interessierte irren?
An der Stelle sagen wir als nachrichtenbelasteter Durchschnittszuschauer: 9,6 Millionen Interessierte sind mit der bisherigen Abwägung zufrieden. Wer partout mehr ARD-Nachrichten haben will, schaltet Phoenix, den „Tagesschau“-Kanal oder die „Tagesthemen“ ein. Und wer sich im Programm „wiederfinden“ will, wird garantiert irgendwo anders fündig und muss nicht zwischen die Schlagzeilen. Eine halbe Stunde Nachrichten ab acht im Ersten, die letzten Minuten womöglich mit „bunten“ Themen bestückt oder von der Moderation weggelabert – und der Abend wäre gelaufen.
Folgen hätte die in der ARD durchaus umstrittene „Tagesschau“ XXL, die von der Programmchefin Christine Strobl angeblich befürwortet wird, auch für diejenigen, die die Sendung nicht sehen. Auf den Einschaltzeitpunkt um acht beziehungsweise viertel nach acht am Abend hat sich nämlich ob Gewohnheit und Quotenmacht der Sendung das gesamte lineare deutsche Fernsehen eingestellt.
Würde die „Tagesschau“ länger, kämen nicht nur die dritten ARD-Programme, die die Sendung übernehmen, in Verdrückung. Andere Sender gerieten ebenfalls ins Schwitzen. 20.15 Uhr ist der deutsche Triggerpunkt der „Prime Time“, also besten, zuschauerstärksten Sendezeit, die bis 23 Uhr dauert. Es ist der „point of no return“, an dem sich die Quotenschlacht am Abend entscheidet. Wer meinte, dagegen angehen zu können, der holte sich bislang eine blutige Nase, wie vor Jahren der Privatsender Sat.1, dessen damaliger Chef Fred Kogel die Losung „volle Stunde, volles Programm“ ausgab und mit dem Versuch, die „Tagesschau“ auszubooten, kläglich scheiterte.
Man muss kein Traditionalist sein, um die 15-Minuten-News für passend zu halten. Sie sind ein Alleinstellungsmerkmal der ARD. Sie werden dafür geschätzt, dass sie anders aussehen als „heute“ im ZDF oder „RTL aktuell“. Wenn Pflege oder Bahn oder Reissäcke in der „Tagesschau“ unbedingt Thema sein sollen, müsste die Zeit auch dafür reichen. Fiele halt die eine oder andere (überflüssige) Äußerung aus dem Berliner Politbetrieb weg. Dann könnte die Sendung sogar noch kürzer werden, als sie es jetzt ist.