Kultur

Die blutigste, royale Seifenoper: Heinrich VIII. und Anne Boleyn | ABC-Z

MÜNCHEN Sein letzter Liebesbeweis: Um ihr das von britischen Henkern oft dilettantisch ausgeführte Gemetzel mit Axt, Holzblock und mehreren verzweifelten Hieben zu ersparen, investierte Heinrich VIII. immerhin 100 Sonnenkronen (25.000 Euro nach heutigem Stand) in einen Fachmann, einen Scharfrichter aus Calais.

Ein Hals wie gemacht für den Henker 

Davon hatte auch das Opfer Anne Boleyn erfahren. “Ich habe gehört, der Henker sei sehr gut, und ich habe ja einen dünnen Hals”, sagte sie zu Sir William Kingston, dem Constable des Londoner Towers, in dem sie saß und lachte dabei herzhaft. Vielleicht hatte sie damit gerechnet, dass Heinrich – wie schon so oft bei anderen Verurteilten – im letzten Augenblick Gnade walten lassen würde. Diese Hoffnung war allerdings vergeblich.

Die “französische” Hinrichtung, knieend, ohne Holzblock aber mit einem zweihändigen Schwert gelang am 19. Mai 1536 mit einem Schlag und beendete das kurze Leben von Heinrichs Gattin Anne Boleyn, der “Königin für tausend Tage”. Seiner zweiten Gattin wohlgemerkt. Die Schicksale seiner am Ende sechs Ehefrauen merken sich britische Schulkinder seit Generationen mit einem Vers: “Divorced, beheaded, died/divorced, beheaded, survived.”

Anne Boleyn ( Genevieve Bujold, und König Heinrich VIII. (Richard Burton) in Königin für tausend Tage von Charles Jarrot 1969.
© imago/United Archives
Anne Boleyn ( Genevieve Bujold, und König Heinrich VIII. (Richard Burton) in Königin für tausend Tage von Charles Jarrot 1969.

von imago/United Archives

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Und obwohl Heinrichs erste Gattin, Katharina von Aragon immerhin die Tante von seinem großen Widersacher, dem Habsburger Karl V. war, ist vor allem Anne Boleyn im Bewusstsein der Menschen geblieben. Es gibt Opern über sie, Musicals, Dramen, unzählige Filme und Serien und ganze Bibliotheken voller Biografien. Denn nur sie lockte Heinrich VIII. länger aus der emotionalen Reserve, für sie riskierte er Kriege und brach als ursprünglich glühender Anhänger des Papstes mit der römisch-katholischen Kirche.

Die ihr in einem Prozess vorgeworfenen Verbrechen – Inzest, vielfältiger Ehebruch und Hochverrat – waren mühsam vom verschlagenen königlichen Sekretär Thomas Cromwell konstruiert worden. Ihr wahres “Verbrechen” lag darin, dem König keinen Sohn geschenkt zu haben.

Die verschmähte Tochter wurde die mythische Königin 

Dass die gemeinsame Tochter Elisabeth ab 1558 als Elisabeth I. England fast ein halbes Jahrhundert in eine Blütephase führen würde und später ein ganzes Zeitalter nach ihr benannt wurde, ist gewissermaßen die Ironie der blutigen Geschichte eines auf männliche Nachkommen fixierten Monarchen.

In “Die Schwester der Königin” (2003) spielt Natalie Portman Anne Boleyn, Eric Bana ist Heinrich VIII.
© imago images/Everett Collection
In “Die Schwester der Königin” (2003) spielt Natalie Portman Anne Boleyn, Eric Bana ist Heinrich VIII.

von imago images/Everett Collection

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Um zu erklären, wie ein völlig verliebter König, der keine Stunde von Anne getrennt sein wollte, innerhalb von neun Jahren zu einem Mann wird, der in aller Seelenruhe ihr Todesurteil unterschreibt, holt das renommierte Historiker-Ehepaar John Guy und Julia Fox in “Jagd auf den Falken – Anne Boleyn und Heinrich VIII.” ganz weit aus. Aber auf den 600 Seiten dieses neuen Standardwerkes wird das Handeln der Personen überaus plastisch, die Katastrophe ist in der kalten Logik Cromwells unvermeidlich.

Guy und Fox thematisieren häufig den Forschungsstand, trennen penibel Legenden und Fakten. Das macht die Lektüre bisweilen weniger süffig als etwa die jüngst erschienene Doppelbiografie “Anne Boleyn & Elizabeth I.” von Tracy Borman, aber man fühlt sich bei den beiden Historikern immer auf sicherem Boden.

“Eine unglaublich obszöne Frau”

Vor allem die prägenden Jahre von Anne und ihrer Schwester Mary an europäischen Höfen haben Guy und Fox detailliert erforscht. Als Hofdame von Erzherzogin Margarete, Statthalterin der Niederlande, und später am Hofe der französischen Königin Claude erhält die Tochter einer ehrgeizigen, aufstrebenden Familie ganz neue Anregungen. “Für sie war das eine Offenbarung: Sie erhaschte einen einzigartigen Blick darauf, wie Frauen sich ihren Weg durch das Dickicht des Hofes und der internationalen Angelegenheiten bahnen konnten”, schreiben Guy und Fox. Und sie lernt nicht nur die Ideen der französischen, evangelischen Reformer kennen, sondern einen freieren Umgang zwischen den Geschlechtern, der am englischen Hof undenkbar war. Das sollte ihr später zum Verhängnis werden, denn es machte sie angreifbar für Gerüchte.

Anne Boleyn (Vaness Redgrave) und König Heinrich VIII. (Robert Shaw) in “Ein Mann zu jeder Jahreszeit” von Fred Zinnemann (1966). Foto:
© imago images / United Archives
Anne Boleyn (Vaness Redgrave) und König Heinrich VIII. (Robert Shaw) in “Ein Mann zu jeder Jahreszeit” von Fred Zinnemann (1966). Foto:

von imago images / United Archives

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Als sich Heinrich VIII. zwischenzeitlich mit Karl V. gegen Frankreich verbündete, endete Annes Zeit am französischen Hof sie kehrte zurück nach England und geriet bald ins Blickfeld des Königs. Der aber begann zunächst ein Verhältnis mit Ihrer Schwester Mary, das deren Ehemann als auch der Vater aus eigenen Karrieregründen guthießen.

Das reißerische Zitat, Mary sei “una grandissima ribalda, et infame sopra tutte” (“eine unglaublich obszöne Frau und ruchloser als alle anderen”), das der päpstliche Nuntius in Frankreich als Aussage von Königs Franz verbreitete, ordnen Guy und Fox allerdings politisch ein. Es entstamme aus einer Schmutzkampagne aus dem Jahr 1536, ziele auf Anne und sei nicht als Zitat des Königs bewiesen.

Auch Cromwell musste zum Henker 

Bald aber begann die Obsession des unsteten Heinrich VIII. mit Anne, die sich ihm allerdings verweigerte. Das machte ihn nur noch entschlossener, was auch bald der Gesandte Karls V., Eustace Chapuys, berichtete. Die “Konkubine”, wie er schrieb, habe den König in der Hand. Und sie ließ ihn – das große Ziel vor Augen – am ausgestreckten Arm verhungern. Nur die Scheidung von Katharina von Aragon und das Zerwürfnis mit dem Papst konnte ihn retten und den Weg für Anne auf den Thron und in sein Bett frei machen.

Doch alles was er an Anne bewunderte, ihr starker, eigener Wille auch politisch mitzugestalten, schlug schon bald nach der Hochzeit 1533 ins Gegenteil um. Am 7. September 1533 kam Elisabeth auf die Welt, schon ein Jahr später notierte Eustace Chapuy das Interesse des Königs an Annes Rivalin Jane Seymour. Eine Fehlgeburt der Königin untergrub ihre Stellung weiter und schließlich begann Thomas Cromwell, Gerüchte und Material zu sammeln, um seine Feindin Anne Boleyn zu vernichten, die nun als Freundin Frankreichs auch politisch wieder ins Abseits geriet.  Der König nahm keine Schuld auf sich.

Aber auch Cromwell musste die wechselhaften Launen Heinrich VIII. bitter bezahlen: Er wurde vier Jahre nach Anne Boleyn am 28. Juli 1540 hingerichtet. Am selben Tag heiratete Heinrich VIII. seine fünfte Gattin Catherine Howard. Keine 20 Monate später verlor auch diese ihren Kopf – gemeinsam mit Jane Boleyn, Annes Schwägerin.

John Guy und Julia Fox: “Jagd auf den Falken – Anne Boleyn und Heinrich VIII.” (C.H. Beck, 604 Seiten, 34 Euro)

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