Friedrich Merz erfindet er sich neu – doch an einer wichtigen Sache fehlt es ihm | ABC-Z

Berlin. In seiner ersten Regierungserklärung legt Kanzler Merz die Kampfeslust des Oppositionsführers ab. Merz findet einen neuen Sound.
Um 13.21 Uhr schreitet Friedrich Merz ans Rednerpult im Bundestag. Merz kennt diesen Ort unter der Reichstagskuppel mit Blick auf die Abgeordneten gut. Von hier hat er schon so manchen wütenden Satz ins Plenum geschmettert. Er hat die SPD-Abgeordneten vor Wut aufheulen lassen oder gemeinsame Abstimmungen der Union zur Migrationspolitik mit der AfD verteidigt. Den damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz schalt Merz in einer Bundestagsdebatte einmal als „Klempner der Macht“ und warf dem SPD-Politiker vor: „Sie können es nicht!“
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Diesen Friedrich Merz gibt es nicht mehr. Nun ist Merz Bundeskanzler, nicht mehr Oppositionsführer. Er gibt an diesem Tag seine erste Regierungserklärung ab. Und versucht, sich dabei neu zu erfinden: Staatsmann statt Raubein. Merz setzt auf Versöhnung statt auf Attacke.
Neue Töne von CDU-Politiker Merz: Bundeskanzler dankt Vorgänger Scholz
„Sie, Herr Kollege Scholz, und Ihre Regierung haben Deutschland durch Zeiten außergewöhnlicher Krisen geführt“, wendet sich der Kanzler an seinen Vorgänger. Seine Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sei wegweisend und historisch gewesen. „Dafür gilt Ihnen auch heute und von dieser Stelle aus noch einmal unser Dank, mein persönlicher Dank.“
Merz lobt den reibungslosen und friedlichen Regierungswechsel. „Ich möchte allen danken, die daran beteiligt waren“, betont der CDU-Chef. An dieser Stelle dürfen sich die Grünen angesprochen fühlen. Und vielleicht sogar ein bisschen die Linke, die mit ihrer Zustimmung zu einem zweiten Wahlgang schließlich dazu beigetragen hatte, dass Merz nach der verpatzten ersten Runde im zweiten Anlauf doch noch gewählt werden konnte. Bereits aufgekommene Unstimmigkeiten zwischen Union und SPD, etwa zur Rente, lässt Merz unerwähnt.
Kanzler Merz sieht große Aufgaben vor seiner Regierung

Bundeskanzler Friedrich Merz bei seiner ersten Regierungserklärung im Plenum des Bundestags.
© Michael Kappeler/dpa | Michael Kappeler
Es ist ein neuer Sound, den Merz in seiner ersten Regierungserklärung verbreitet. Angriffe auf die Opposition sind bei der Premiere nicht im Manuskript enthalten. Auf Zwischenrufe geht Merz nicht ein.
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Merz spricht über „Verantwortung für Deutschland“ und die großen Herausforderungen, vor denen das Land international, europäisch, national stehe. „Wir erleben eine Welt in Bewegung, ja geradezu in Aufruhr.“ Der 69-Jährige redet seine eigene Aufgabe und die Erwartungen an seine Regierung von Union und SPD nicht klein: „Die Entscheidungen, die wir zu treffen haben, werden die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland zumindest für einige Jahre prägen, sie werden prägend sein für das Leben unserer Kinder und unserer Enkelkinder.“
Ukraine: Merz verspricht Hilfe, ohne Kriegspartei zu werden
Der Kanzler nennt den Krieg in der Ukraine und die Bedrohung des Friedens in Europa durch Russland. Seine Stirn legt sich dabei in tiefe Falten. Merz verspricht den Partnern in Europa, dass Deutschland unter seiner Führung für den Kontinent einstehen werde: „Europa erwartet etwas von uns. Die neue Bundesregierung nimmt diese Verantwortung an.“ Der Ukraine sagt Merz seine Hilfe und Unterstützung „ohne Wenn und Aber“ zu – ohne, dass Deutschland dadurch zur Kriegspartei werde.
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Die USA sieht Merz dabei an der Seite Europas. Dass US-Präsident Donald Trump eine am Wochenende demonstrierte Einigkeit gegenüber Russlands Staatschef Wladimir Putin wenig später schon wieder konterkarierte, lässt Merz allerdings unerwähnt. Es war seine erste persönliche Begegnung mit Trumps notorischer Unberechenbarkeit. Ohne den US-Präsidenten zu erwähnen, bekräftigt Merz den Willen, mehr Verantwortung in der Nato zu übernehmen und die Bundeswehr „zur stärksten Armee Europas“ zu ertüchtigen: „Stärke schreckt Aggression ab. Schwäche hingegen lädt zur Aggression ein.“
Merz hat die Angewohnheit, bei Reden seinen langen Körper etwas zu weit nach unten zu beugen, um einen Blick auf sein Manuskript zu werfen. Beobachter blicken dann auf seine licht gewordene Haarpracht. Schaut Merz auf, ist sein Blick meist sorgenvoll. Der Kanzler spricht in seiner fast einstündigen Rede ruhig und konzentriert.
Kanzler Merz räumt Probleme der Wirtschaft ein: „Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel“
Schließlich kommt Merz zu dem Teil seiner Ansprache, in dem diese offenbar zu einer „Ruck-Rede“ werden soll. Für den ganz großen Wurf mangelt es dem in der Opposition so temperamentvollen Merz jedoch an Emotionalität, seine Hände ruhen meist auf dem Rednerpult. Der Kanzler räumt die anhaltenden Probleme der deutschen Wirtschaft ein: „Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.“ Merz geißelt überbordende Bürokratie, marode Infrastruktur, teure Energie und zu hohe Abgaben. Dagegen werde seine Regierung etwas tun.
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Gleichzeitig lobt Merz das wirtschaftliche Fundament, den starken Mittelstand, hochqualifiziertes Personal und appelliert an die Zuversicht: „Wir können aus eigener Kraft heraus wieder zu einer Wachstumslokomotive werden, auf die die Welt mit Bewunderung schaut.“ Malte Merz als Oppositionsführer noch den Teufel an die Wand, wenn es um den Zustand des Landes ging, gibt er nun den Motivator. Anstatt, wie noch am Vorabend auf dem CDU-Wirtschaftstag, auf „Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance“ zu schimpfen, preist er nun den „Fleiß von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“.
Aus dem Oppositions-Merz soll der Mutmach-Merz werden
Merz wendet sich an verschiedene Berufsgruppen wie Polizisten oder Landwirte, spricht die jungen Menschen an und ruft die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, gemeinsam das Land besser zu machen. „Nicht mehr und nicht weniger als eine gemeinsame Kraftanstrengung“, fordert der Kanzler dafür. „Wir können alle Herausforderungen, ganz gleich wie groß sie auch sein mögen, aus eigener Kraft heraus bewältigen.“ Aus dem Oppositions-Merz soll im Kanzleramt der Mutmach-Merz werden.