Kultur

Die AZ direkt aus Cannes: Spannende Eröffnung des Festivals mit einem deutschen Film | ABC-Z

Cannes – Sie tritt aus der Kulisse, die das nächtliche Cannes zeigt, auf die Bühne des Grand Theatre Lumière – in einem super-eleganten cremefarbenen Hosenanzug, dessen Oberteil ein Abendkleid mit Schal ist, der den Kopf ganz locker wie ein Hidschab bedeckt. Gleichzeitig wirkt Juliette Binoche dadurch wie eine modern-lässige Madonnenfigur: anbetungswürdig. Und alles hat Stil und Botschaft. Natürlich haben sich alle der über 2300 Eröffnungsgalagäste erhoben, als der – durchaus komödiantisch begabte – Conférencier und französischer Filmstar, Laurent Lafitte, die Jurypräsidentin begrüßt. Und dann sagt Binoche bewegende Worte – natürlich über die Wichtigkeit des Films – aber eben auch über ihre Erschütterung über den Tod der 25-jährigen Fotojournalistin Fatma Hassona durch einen Raketenangriff in Gaza. Sie ist die Protagonistin eines Dokumentarfilms der in Cannes gezeigt wird. Und immer findet sie die richtigen Worte: würdevolle ohne Pathos, politische ohne Ideologie.

Das hatte man schon wenige Stunden zuvor bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Jury erleben können: Denn was fragt man eine Jurypräsidentin, noch ehe der Wettbewerb überhaupt begonnen hat? Da noch im pastellgelben Zweiteiler mit 80er-Jahre überschnittenen Schultern saß Juliette Binoche inmitten ihrer Mitjuroren wie Alba Rohrwacher, Jeremy Strong, Hong Sangsoo oder dem US-Star Halle Berry. Und nachdem jeder seine Floskeln von “Ehre, in Cannes zu sein” und “Herausforderung, Meisterwerke zu beurteilen” abgegeben hatte, wählten die Journalisten aus aller Welt den Weg der Konfrontation mit den Miseren der Welt: MeToo, Depardieu, Trump und eben Gaza.

Verurteilung des “unantastbaren, heiligen Monsters” Depardieu: Ein Zeichen dieses gesellschaftlichen Fortschritts

Ob Cannes mit seinen sieben Regisseurinnen im Wettbewerb jetzt in seiner feministischen Entwicklung schon am Ende angekommen sei? “Ein Festival ist immer ein Spiegel des politischen und sozialen Fortschritts und da eben immer leicht voraus oder hinterher. Und MeToo und die Wellen des Feminismus haben eben Zeit gebraucht, um Wirkung zu zeigen”, sagte Binoche und positionierte sich damit klar, aber eben völlig unverbissen. Und auf Gérard Depardieu angesprochen: Seine Verurteilung an diesem Morgen sei eben ein Zeichen dieses gesellschaftlichen Fortschritts. Aber ob sie denn zufrieden sei, dass jetzt das “unantastbare, heilige Monster” wegen sexueller Straftaten verurteilt sei? “Heilig ist, was jemand auf der Bühne oder im Film schafft. Ansonsten ist man ein Mensch”, distanziert sich Binoche von dem Begriff, der hier auf Englisch fällt: “Sacred Monster”: “Ein Mensch ist kein Monster, Depardieu ist ein Mann – und nur als dieser wurde er zu einem juristischen Fall, angeklagt und verurteilt.”

Trump, die Filmzölle und die Fragen nach einem weiblichen James Bond

Dann wird es internationaler: Ob Trumps Zölle auf Filme die europäische Filmwelt gefährde? “Wir verstehen, dass er sein Land schützen will. Er will Amerika und seinen Hintern retten. Und jetzt muss Europa eben eine starke Gemeinschaft bilden.” Dann die Filmfrage, ob James Bond weiblich werden sollte? Da war die Binoche klar und sibyllinisch zugleich: “Ich denke, er sollte keine Frau sein. Es gab den Moment, wo das richtig und möglich schien. Aber der ist vorbei.” Und dann ging es noch um den strengen Dresscode in Cannes, der auf dem Roten Teppich hohe Absätze bei Frauen verlangte, aber jetzt abgeschafft wurde: Erleichterung!

“Kein amerikanisches Problem mehr” DiCaprio und De Niro auf der Bühne von Cannes 

Jetzt, wo sie nur vier Stunden später ikonisch nicht mehr im Presseraum, sondern in den Bühnenscheinwerfern vor der Riesenleinwand von 20 mal zehn Metern steht, sieht man im Publikum ergriffene Gesichter. Und dann steigert sich der Abend noch: Leonardo DiCaprio ist der Überraschungsgast, der erklärt, warum Robert De Niro viel mehr ist als ein großer Schauspieler, sondern ein ikonischer Archetyp des Schauspielens überhaupt, der auch in Momenten des Nichts-Sagens mehr darstellen könne als es Worte könnten. Und wenn er jetzt auf die Bühne käme, wäre ein halbes Lächeln von ihm für ihn, Leo, soviel wert wie Standing Ovations.

Leonardo DiCaprio (l) verfolgt die Rede von Robert De Niro im Festivalpalast.
Leonardo DiCaprio (l) verfolgt die Rede von Robert De Niro im Festivalpalast.
© Joel C Ryan/Invision/AP/dpa
Leonardo DiCaprio (l) verfolgt die Rede von Robert De Niro im Festivalpalast.

von Joel C Ryan/Invision/AP/dpa

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Kunst als Bedrohung für Autokraten

Dann kommt er, der riesige Saal steht applaudierend, und De Niro muss schniefen. Er zieht seine Mundwinkel kurz hoch zu einem halben Lächeln, um in seiner Dankesrede eindringlich zu werden:  “Der Kampf um die Demokratie, die wir immer für gesetzt gehalten haben, hat begonnen. Das ist kein amerikanisches Problem mehr, sondern ein globales.” Und was hat das mit Film zu tun? “Kunst ist dabei immer eine Bedrohung für Autokraten und Faschisten.” Die sei bedroht. Jetzt müsse jeder kämpfen, gewaltfrei, aber mit Leidenschaft.” Und dann ruft er dem Publikum auf Französisch ihre Leitmaximen zu: “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!” und diese Eröffnungszeremonie wird live in 382 Kinos in Frankreich übertragen.

Nach diesen Stürmen der Emotionen und politischen Aufforderungen tritt dann befreiend noch ein Superstar aus der Kulisse: Quentin Tarantino. Er brüllt clownesk ins Mikrophon: “Die 78. Filmfestspiele von Cannes sind eröffnet!”, knallt das Mikro auf den Boden und geht dann – wie Monsieur Hulot – linkisch zackig ab. Film ab!

Der wiederum, “Partir un Jour”, ist dann ein Debütfilm von Amélie Bonnin und eine überraschend unglamouröse, romantische Komödie mit offenem Ende, in der zwischendurch musical-artig gesungen wird, ganz natürlich laienhaft, wobei große Lebensfragen verhandelt werden: Was bedeuten einem die Eltern, was Heimat? Kann man seine Teenagerliebe in der Provinz wieder aufleben lassen, wenn man in Paris ein Edellokal betreibt? Sind Lebensziele – hier drei Michelin-Sterne – wichtiger als Partnerschaft und ein Kind?

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Die ernsthafte Normalität ohne soziale Katastrophenstimmung und deprimierendes Milieu bei gleichzeitiger Leichtigkeit des Erzählens, war dann aber auch wieder eine Stärke des französischen Films – außerhalb des Wettbewerbs, in dem noch vier französische Beiträge warten.

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Da ist es natürlich spannend, dass der Wettbewerb der 22 Filme selbst heute mit einem deutschen Film eröffnet: ein Porträt von Frauen, die über hundert Jahre hinweg, alle auf demselben Bauernhof groß geworden sind: “In die Sonne schauen” von Mascha Schilinski.

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