auf den Spuren der Americanos | ABC-Z

Umgeben von grünen Hügeln der Gavarres, verborgen zwischen den letzten Ausläufern des Küstengebirges, liegt der kleine Ort Begur. Die mächtige Festung, die im 11. Jahrhundert auf dem höchsten Punkt errichtet wurde, um die Einwohner vor feindlichen Angriffen zu schützen, ist heute nur noch eine Ruine, aber der Blick von dort oben reicht über die Häuser und Buchten bis zu den Illes Medes.
Eigentlich wollte ich durch die hübsche Altstadt bummeln und mir die Häuser der „Indians“ oder „Americanos“ ansehen, der Männer, die im 19. Jahrhundert ausgewandert waren und später als wohlhabende Unternehmer in die Heimat zurückkehrten. Frauen wanderten in der Regel nicht aus, doch dazu später mehr. Leider spielt das Wetter nicht mit, es schüttet wie aus Eimern. Die Natur freut sich über den Regen und ich besuche stattdessen das kleine Interpretationszentrum, das die Geschichte der Indians zeigt, denn in vielen Dörfern nahe der Küste spielten sich ähnliche Schicksale ab. Der Eintritt ist kostenlos und es gibt Audioguides in mehreren Sprachen.
Sobald ich den Raum betrete, erklingt eine Melodie, La Gavina Voladora, eine Havanera, so nennt man die Seemannslieder, die die Seeleute aus der Karibik mit nach Hause brachten. Meist handeln sie von Liebe, von Heimweh oder Fernweh und beschreiben eine ungestillte Sehnsucht. Immer klingen sie ein wenig melancholisch und sehnsuchtsvoll. In Begur zählte man über 500 Einwohner, die sich zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert auf den Weg nach Übersee gemacht hatten. Die meisten flohen vor drohender Armut, einer Folge der schweren Wirtschaftskrise, die nach dem Ausbruch der Reblaus weite Teile Europas getroffen hatten. In Begur hatten die Menschen vorwiegend vom Korallentauchen und dem Weinanbau gelebt. Mit dem Absterben der Weinstöcke wurden so viele Männer arbeitslos, dass sie mehr oder weniger gezwungen waren, ihr Brot anderswo zu verdienen.
Casa Vicenç Ferrer Bataller
Der junge Vicenç ging mit nur 17 Jahren nach Übersee, arbeitete in der Tabakindustrie und in verschiedenen kleinen Läden in Santiago de Cuba. Zurück in Begur stieg er in die Korkindustrie ein. 1887 ließ er das ursprünglich einfache Wohnhaus um die moderne Galerie erweitern.
Wem es gelang, Geld und Papiere für die Überfahrt zu besorgen, war bereit, die nächsten paar Jahre hart zu arbeiten, in möglichst kurzer Zeit viel Geld zu verdienen und anschließend zurückzukehren. Doch allzu oft ging dieser Plan nicht auf. Unter denen, die sich auf den gefährlichen Weg über den Ozean machten, waren auch einige Abenteuerlustige und Wagemutige, die darauf hofften in der Karibik ihr Glück zu machen.
Nach den ersten Erklärungen, warum die Menschen auswanderten, geht es in einen kleinen Raum, in dem uns ein virtueller Kapitän an Bord seines Schiffes begrüßt. Er erklärt die Route, die uns von Barcelona zunächst nach Cádiz führt, wo Papiere gestempelt und Steuern gezahlt werden müssen, ehe wir den Atlantik überqueren. Außer den Passagieren gibt es verschiedene Kisten mit Fracht an Bord. Darin befindet sich Wein, Keramik, Hülsenfrüchte oder Gewürze. Die geräumigen und bequemen Kabinen sind den Passagieren der ersten Klasse vorbehalten, die einfachen Kabinen sind für die zweite Klasse vorgesehen. Wer nicht genügend Geld hatte, um eine Kabine zu reservieren, darf als Passagier der dritten Klasse an einem windgeschützten Ort an Deck schlafen. Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, wie gefährlich solch eine Reise sein konnte. Viele derer, die in Barcelona losfuhren, wurden unterwegs krank oder starben. Längst nicht alle Auswanderer kamen auch in der Karibik an. Wer die Fahrt über den großen Ozean überlebte, hatte lediglich die erste große Hürde geschafft.
Während das virtuelle Meer in dem kleinen Kinosaal des Museums noch in meinen Ohren tost, betrachte ich die nächste Station, die von der Ankunft und dem Leben in den spanischen Kolonien erzählt. Mehrere Landkarten erklären aus welchen Küstendörfern die Auswanderer kamen und wohin sie gingen. Fern der Heimat führte der Weg meist zu Verwandten oder Bekannten, die schon länger in einer der Kolonien lebten und es „geschafft“ hatten, ein kleines Geschäft oder ein Unternehmen aufzubauen. Die Landsleute halfen sich gegenseitig. Wer es bereits zu Wohlstand gebracht hatte, konnte die weniger Glücklichen mit warmen Mahlzeiten, medizinischer Versorgung oder einer Rückfahrkarte unterstützten. Oft waren die größtenteils noch sehr jungen Neuankömmlinge gern gesehene Hilfskräfte, die für wenig Geld bei einem Onkel oder Verwandten arbeiten mussten.
Ein Thema, das nur ungern erwähnt, aber in dem kleinen Museum nicht verschwiegen wird, ist der Sklavenhandel. Rund 12 Millionen Menschen wurden von den Küsten Afrikas gegen ihren Willen nach Amerika transportiert und dort als Sklaven verkauft. Auch Katalanen waren in den Menschenhandel verwickelt. Historiker fanden Belege dafür, dass einige der reichsten Katalanen zu Beginn des letzten Jahrhunderts ihr Vermögen nicht allein mit dem Handel von Zuckerrohr, Kaffee und Tabak verdient hatten. Während das Britische Weltreich den Sklavenhandel 1833 gänzlich verbot, florierte in spanischen Kolonien das Geschäft noch bis 1886 völlig legal.
Im Museum gibt es mehrere interaktive Spiele, bei denen man sich im Stil der Belle Epoque verkleiden oder an Duftsäulen Produkte wie Kaffee, Schokolade, Tabak oder Magnolien erschnuppern kann. Außer den aus Amerika stammenden Tomaten, Kartoffeln oder Paprika, an die wir uns in Europa längst gewöhnt haben, kamen mit den Heimkehrern im vorletzten Jahrhundert auch neue Wörter wie barbacoa, tauró oder hamaca in die alte Heimat.
Nicht alle, denn es gelungen war in der Neuen Welt ein Unternehmen aufzubauen, kehrten nach Europa zurück. Viele von ihnen, wie Don Facundo Bacardí Massó, der Gründer des Rum-Imperiums, blieben auf Kuba, um sich dort um ihre Geschäfte zu kümmern. Diejenigen die mit großen Reichtümern nach Barcelona oder in die kleinen Fischerdörfer zurückkehrten, nannte man indians, americanos oder cancamos. Passend zu ihrem neuen Status ließen sie ein angemessenes Wohnhaus errichten. Diese schicken Paläste im gerade angesagten modernistischen Stil, mit Palmen und dem Schick der Karibik, stellten gerade in den kleinen Fischerdörfern einen krassen Gegensatz zu der Architektur der ärmlichen Fischerhütten dar, die das Aussehen der Küste bis dahin bestimmt hatte. Ob aus Wohltätigkeit oder schlechtem Gewissen, viele Americanos stifteten aus ihren Vermögen auch Schulen, Parks und Kirchen für ihre Heimatdörfer.
Ein letzter Saal des Museums ist den Frauen gewidmet. Obwohl nur 8,5% der Auswanderer Frauen waren, fast alle Gemahlinnen oder Töchter von Americanos, will das Museum an diesen oft vernachlässigten Teil der Geschichte erinnern.
Nicht alle Männer, die in den neuen Kolonien ihr Glück zu suchten, war jung und unverheiratet. Auch Familienväter gingen und ließen ihre Frauen zurück, die es nicht leicht hatten, mit einer Schar Kinder den Lebensunterhalt zu verdienen. Sie mussten arbeiten, manchmal auch Geld leihen, und hoffen, der Mann schicke bald etwas aus der Ferne. Doch viele Männer kamen nie wieder zurück. Zu gefährlich war die Überfahrt, zu hart das Leben in den neuen Kolonien. Die wenigen, die als Americanos zurückkehrten, waren meist sehr alt. Um das Vermögen in der Familie zu halten, heirateten sie nicht selten eine Cousine, Nichte oder enge Verwandte. Oft kam es vor, dass die weit über 50 Jahre alten Rückkehrer in der Heimat eine ganz junge Braut, oft nicht einmal 15 Jahre alt, heirateten. Die Familien der Mädchen befürworteten solche Verbindungen. Bedeutete so eine Heirat doch, dass die Familie ausgesorgt hatte. Liebesheiraten gab es damals nicht, was zählte war die finanzielle Absicherung. An der Wand des Museums drückt ein einfacher Satz die Situation passend aus: Wer einen reiche, alten Mann heiratet, wird wahrscheinlich eine junge, reiche Witwe.
Sicher war das Leben für die Mädchen nicht leicht. Selbst wenn sie mit Anfang zwanzig verwitweten und viel Geld erbten, waren sie nicht frei. Sowohl die Familie des Verstorbenen als auch die Familie der jungen Witwe sorgten durch Heiratsverträge dafür, dass die Mädchen nicht wieder heirateten. Um das Vermögen nicht zu verlieren, gab es eine Klausel, nach der sie ihren Besitz verlören, würden sie wieder heiraten. Viele Frauen der Americanos kümmerten sich nicht nur um wohltätige Stiftungen, sondern führten auch die Geschäfte fort – wenn auch oft im Hintergrund oder nur bis ein männliches Familienmitglied die Leitung übernahm. Ein extrem spannendes Thema.
Zum Schluss gibt ein Film einen Einblick in einige der Häuser Begurs, die von Americanos gebaut wurden. Leider sind die meisten in privatem Besitz und nur von außen zu sehen, aber bei einem Rundgang durch das Dorf, kann man sich einen Eindruck von der einstigen Pracht dieser Villen machen, zu denen unter anderem auch das Rathaus, Can Sora, Casa del Senyor Puig, Casa Ramon Silvestre oder die Casa Pere Roger gehören.
Casa Can Sorra
1870 von der Familie Cama Martí gebaut, sticht dieses Gebäude aus den einfachen Wohnhäusern, die es umgeben heraus. Die Familie hatte es in Havanna zu Wohlstand gebracht. An der Fassade des Innenhofs sind an die Karibik erinnernde Fresken erhalten.
Informationen – auf den Spuren der Americanos
Centre d’Interpretació dels Indians de Catalunya-Begur
Bücherei und Kulturzentrum Begur
Carrer de Bonaventura Carreras 11
17255 Begur, Girona
Eintritt kostenlos
centre-d’interpretacio-indians
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Hinweis: Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Pressereise.