Geopolitik

Saskia Esken: Die Selfmadefrau | ZEIT ONLINE | ABC-Z

Am Ende blieb Saskia Esken keine Wahl. Am
Sonntagabend erklärte sie ihren Rückzug von der Parteispitze – bevor es noch
mehr SPD-Politiker aus der zweiten und irgendwann womöglich auch aus der ersten
Reihe fordern würden. Wäre sie beim Parteitag im Juni noch einmal als
Vorsitzende angetreten, ihre Wiederwahl wäre nicht sicher gewesen. So wenig
Unterstützung hatte sie zuletzt in der Partei, nach sechs Jahren im Amt.

“Sie kann es einfach nicht”, sei “nur noch
peinlich”– in dieser Tonlage sprachen Abgeordnete, sogar Mitglieder des
Parteivorstands seit Monaten über Saskia Esken. Zwar nannte selbst der
Co-Vorsitzende Lars Klingbeil diesen Umgang mit Esken noch vor einer Woche
“beschämend”, doch hatte er selbst die Debatte zuvor monatelang laufen lassen.
Und äußerte sich erst, als Eskens Schicksal im Grunde besiegelt war. Sie bekam
keinen Platz im Kabinett
. Der Rückzug von der Parteispitze war danach nur noch
eine Frage der Zeit.

Ja, Saskia Eskens öffentlicher Auftritt war
nicht der stärkste. Und eine große Netzwerkerin war diese Vorsitzende auch
nicht, jedenfalls nicht in eigener Sache. In der SPD hat sie sich in den sechs
Jahren keine nennenswerte Hausmacht aufgebaut. Dennoch sagt der Umgang mit ihr
mehr über die verkrusteten Strukturen der Partei als über die Schwächen einer
Vorsitzenden, die daneben auch ganz entscheidende Stärken hatte. Allen voran
die Fähigkeit, die man dieser im Persönlichen so zurückhaltenden Frau zu
Unrecht am wenigsten zuschreibt: Einheit zu stiften.

Ihr als linker Frau gelang es, die Partei 2021
hinter dem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz zu versammeln und über die Dauer der
desaströs zerstrittenen Ampelregierung halbwegs geschlossen zu halten. Durch
ihre jahrelangen guten Verbindungen zu den Jusos, und ebenso durch viel mühsame
Basisarbeit, durch unzählige Termine in Ortsvereinen, für die sie von den
machtbewussten Männern in ihrer Umgebung vor allem belächelt wurde.

Für ihre außergewöhnliche Lebensgeschichte erhält sie Anerkennung

Auf dieser Grundlage, dieser trotz der katastrophalen
Wahlniederlage so erstaunlich einmütigen Partei konnte auch Lars Klingbeil aufbauen,
als er am Wahlabend nach der Macht griff und – unabgesprochen mit der 63-jährigen Esken – von der Bühne im Willy-Brandt-Haus den “Generationswechsel”
ausrief. Für Saskia Esken war in diesem Projekt von Anfang an kein Platz
vorgesehen
.

Und Esken wiederum, die deshalb allen Grund
zur Bitterkeit hätte, verliert selbst im Moment ihres Abschieds kein schlechtes
Wort über ihr Umfeld an der Parteispitze. Sie habe “die Unterstützung an meiner
Seite immer gehabt”, sagte sie, und das müsse “nicht alles an der Öffentlichkeit
stattfinden”. Hier geht eine, die Einheit eben durch diese zentrale Fähigkeit hergestellt
hat, die ihren männlichen Kollegen nicht selten abgeht: die Partei tatsächlich
vor die Person zu stellen.

Esken selbst hat immer wieder betont, es gehe
ihr eben um die Sache. Dieser uneitle Politikstil ist bewundernswert und gleichzeitig
ein wesentlicher Grund ihres Scheiterns. Denn nur für die Sache, nicht aber für
sich selbst einzustehen, lässt in Partei und Öffentlichkeit die Frage offen, ob
nicht jemand anderes für dieselbe Sache vielleicht erfolgreicher kämpfen
könnte. Für eine SPD mit dem Gewicht einer Volkspartei zum Beispiel.

Dabei hätte Saskia Esken auch für sich selbst
gute Argumente, aber die
trägt sie weder der Öffentlichkeit vor
noch ihren parteiinternen Kritikern.
Angefangen mit ihrem Werdegang: Nach der Wahl war in der SPD viel von
Diversität die Rede, auch bei Lars Klingbeil. In Sachen Perspektivenvielfalt aber
hat Saskia Esken als einzelne Person mehr zu bieten als die meisten in ihrer
Fraktion. Sie war Straßenmusikerin, Paketzustellerin, Schreibkraft. IT-Expertin
und dreifache Mutter. Hausfrau und Parteivorsitzende. Doch bekommt sie für
diese außergewöhnliche Geschichte kaum Anerkennung – auch weil sie sie so
selten erzählt.

Eine Frau, die keine Angst vor Widerspruch hat

Daneben gehört Esken in der Bildungs- wie in
der Digitalpolitik, zwei zentralen Zukunftsthemen, zu den versiertesten
Fachpolitikerinnen. Sie ist ein Nerd im besten Sinne, mit einem Faible für
Detailwissen bis zur Kauzigkeit. Doch anders als einem Karl Lauterbach oder
auch einem Olaf Scholz verschafft ihr auch diese Eigenschaft keine Vorteile. Was
bei den Männern als Ausweis ihrer intellektuellen Überlegenheit zählt, wird bei
Esken nicht einmal groß wahrgenommen.

Freilich, auch Lauterbach und erst recht Olaf Scholz mussten einiges an Hass aushalten. Doch bei aller Kritik spricht man in
der Regel keinem der beiden grundsätzlich die Fähigkeit ab, gute politische
Arbeit zu machen. Saskia Esken schon. Ihren
Kritikern reichten von Beginn an oberflächliche Anspielungen
, um sie zu
diskreditieren: die Kleidung. Die Stimme. Die griesgrämige Miene. “Ich höre
einfach nie etwas Positives über ihre Auftritte”, sagt heute ein Abgeordneter.
Als müsste man sich mit dem, was sie sagt, gar nicht mehr auseinandersetzen.

Wer deshalb anlässlich Eskens Rückzug nun auf
die Idee kommt, die SPD könnte ein Problem mit Frauenfeindlichkeit haben, dem
kann Lars Klingbeil seine Kabinettsriege entgegenhalten, die sogar aus mehr
Frauen als Männern besteht
. Auch Esken selbst sagt am Abend ihres Rückzugs, sie
wolle damit “jungen Frauen Platz machen”. Und stellt damit erneut ihre Person
hinter die Partei.

Für Lars Klingbeil ist sein Projekt
“Generationswechsel” damit vollendet. Bis auf Boris Pistorius, den
Kanzlerkandidaten der Herzen, den er integrieren musste, hat Klingbeil nun
wesentliche Schaltstellen mit
Getreuen besetzt
, in den SPD-Ministerien wie in der Fraktion.

Welche inhaltliche Neuausrichtung daraus
folgen soll, ist bislang allerdings offen. Auf die entschiedenen linken Akzente
einer Parteivorsitzenden Saskia Esken wird die SPD dabei jedenfalls verzichten.
Ebenso auf eine Frau, die keine Angst vor Widerspruch hat. Dieser Geist könnte
der SPD noch fehlen.

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