Giro d’Italia: Ohne Pogacar ist Roglic der Favorit – Sport | ABC-Z

Die Szene ist nicht so lange her, zwei Jahre, um genau zu sein, als der Rennradprofi Primoz Roglic Arm in Arm mit sieben Teamkollegen auf den Straßen von Rom unterwegs war. Seine Gefolgsleute trugen die gelb-schwarze Kluft des Teams Visma. Roglic indes war im Rosa Trikot des Gesamtbesten unterwegs auf dieser letzten Etappe des Giro d’Italia 2023, als er nur noch sturzfrei ins Ziel kommen musste, um die zweitwichtigste Radrundfahrt der Welt zu gewinnen. So kam es dann auch: Roglic brachte 14 Sekunden Vorsprung auf den Briten Geraint Thomas über die Ziellinie von Rom – und sicherte sich den ersten Giro-Gesamtsieg eines Slowenen.
Die Bilder vom Mai 2023 wirken zwei Jahre später fast wie aus einem anderen Radsportzeitalter. Vor allem, weil ein Landsmann von Roglic seither noch viel eindrücklicher Sportgeschichte geschrieben hat. Tadej Pogacar gelang vergangenes Jahr das Kunststück, erst den Giro und kurz darauf die Tour de France zu gewinnen, ehe Roglic dann bei der dritten und letzten Grand Tour des Radsportkalenders 2024 siegte und zum vierten Mal die spanische Vuelta gewann. Vieles war also in slowenischer Hand zuletzt im Spitzensport der Rennradfahrer, zumindest wenn es um die großen Siege ging. Eine zentrale Frage vor dem Start des Giro d’Italia stellt sich fast automatisch: Bleibt das so?
:Pogacar frisst schon wieder alle
Der Slowene gewinnt mit einem 35-Kilometer-Solo bei Lüttich-Bastogne-Lüttich seinen vierten Frühjahrsklassiker. Gut für die Konkurrenz: Er legt jetzt erst mal eine Pause ein. Schlecht für die Konkurrenz: Er reist dann ausgeruht zur Tour de France.
Der Radsportromantik wenig dienlich ist der Umstand, dass der eine Slowene auf den Start beim Giro verzichtet. Titelverteidiger Pogacar, 26, der nach den Frühjahrsklassikern seinen Trophäenschrank eventuell erweitern muss, verzichtet dieses Jahr auf die Verteidigung. Also freie Fahrt für seinen neun Jahre älteren Konkurrenten?
Seit seinem Wechsel ins deutsch-österreichische Team von Red Bull-Bora-Hansgrohe trägt Roglic Blau-Weiß statt Gelb-Schwarz. Und auch im Rosa Trikot des Giro-Gesamtführenden hat man den einstigen Skispringer seit der Siegerehrung von Rom nicht mehr gesehen. Vergangenes Jahr hatte er seinerseits den Giro ausgelassen, um sich auf die Tour de France zu konzentrieren, wo er nach einem heftigen Sturz verletzungsbedingt aussteigen musste. Längst genesen und in diesem Frühjahr als Sieger der Katalonien-Rundfahrt dekoriert, hat Roglic 2025 lediglich noch die Algarve-Rundfahrt absolviert, wo er Rang acht belegte. Den Sieg sicherte sich hier der zweimalige Tour-de-France-Gesamtgewinner Jonas Vingegaard aus Dänemark – der den Giro traditionell überspringt, um sich auf die Tour vorzubereiten. So ist in Italien in Abwesenheit der beiden Tour-Dominatoren der vergangenen Jahre ein Duell zwischen Roglic und einem bisher weniger prominenten Teamkollegen von Pogacar zu erwarten.
Der 22 Jahre alte Juan Ayuso aus Barcelona könnte Red Bull und Roglic das Leben schwer machen
Der Spanier Juan Ayuso hatte Roglic während der sieben Etappen in Katalonien bereits erkennbar Paroli geboten. 28 Sekunden lag der 22-Jährige aus Barcelona bei seinem Heimrennen im Ziel nach 1095 Kilometern hinter dem Slowenen. So knapp geht es bisweilen zu, wie der mehr als dreimal so lange Giro von vor zwei Jahren und andere Beispiele aus der Radsport-Historie zeigen. Ayuso lässt seit 2023 aufhorchen, als er sich bei der Vuelta das Weiße Trikot des besten Jungprofis sicherte, ehe er vergangenes Jahr die Baskenland-Rundfahrt und im März das sieben Etappen lange Rennen Tirreno-Adriatico gewann, das wie der Giro auf italienischem Terrain ausgetragen wird. Wenngleich das in diesem Jahr nicht restlos zutrifft.
Die Italien-Rundfahrt startet an diesem Freitag in Albanien, genauer in der Großstadt Durrës an der Adriaküste. Während der ersten drei Etappen durchqueren die Fahrer Albanien bis nach Vlora, eine Hafenstadt in Südalbanien an der Straße von Otranto, ehe der Tross nach Italien übersiedelt. Im Programm stehen 3400 Kilometer und 52 000 Höhenmeter, also fast 10 000 mehr als bei der letztjährigen Ausgabe. Den Dolomiten entkommt das Peloton in diesem Jahr, dafür stehen in der Schlusswoche drei Bergankünfte in den Alpen an – mit dem Kletterhöhepunkt am vorletzten Tag: der 20. Etappe nach Sestrière.

184 Fahrer aus 23 Teams sind am Start, auf dem Plan steht eine weitere Gaststation, für die sich speziell Roglic interessieren dürfte: Die 14. Etappe führt von Treviso nach Nova Gorica, einem Ort, der unmittelbar hinter der italienisch-slowenischen Grenze liegt. Also ein kleines Heimspiel für den Favoriten.
„Primoz ist in sehr guter Verfassung, und wir haben ein eingespieltes Team an seiner Seite, das uns auch taktische Optionen gibt“, sagt Red-Bull-Teamchef Ralph Denk vor dem Start. Ziel des Teams sei, so Denk, dass Roglic das Gesamtpodium erreicht, idealerweise den Platz ganz oben. Der Rennstall mit Hauptsitz in Raubling bei Rosenheim in Oberbayern hat dazu eine tatsächlich mehr als passable Helfertruppe berufen. Beim Giro gehen etwa der australischen Giro-Sieger von 2022, Jai Hindley, und der Giro-Gesamtzweite des Vorjahrs, Daniel Martínez aus Kolumbien, an den Start, beides ausgewiesene Bergfahrer mit dem Status Edelhelfer. Und für den Fall, dass Roglic sein unfreiwilliges Talent ereilt, schwer zu stürzen und aufgeben zu müssen, stünden zwei weitere potenzielle Podestfahrer bereit.
Aus deutscher Sicht dürfte beim diesjährigen Giro d’Italia sportlich die Frage zentral sein, ob dem einzigen deutschen Giro-Team mit dem Bad Aiblinger Ralph Denk als Boss das Projekt Gesamtsieg gelingt. Aus Deutschland sind zehn Profis am Start, angeführt von Landesmeister Marco Brenner aus Augsburg (Team Tudor Pro Cycling) und dem Vorjahres-Etappensieger Georg Steinhauser (EF Education-EasyPost), er ist der Neffe von Jan Ullrich. Red-Bull-Fahrer Florian Lipowitz, 24, zuletzt Gesamtsiebter bei der Vuelta, fehlt im Aufgebot – und wird womöglich für die Tour de France geschont.