An diesen beiden Männern hängt sein Schicksal als Kanzler | ABC-Z

Berlin. Jens Spahn und Matthias Miersch sollen weitere Abstimmungspleiten des Kanzlers verhindern. Dafür müssen sie Vertrauen zueinander aufbauen.
Wie klein der Unterschied zwischen Regierungsalltag und Regierungskrise sein kann, lässt sich an einer Zahl ablesen: zwölf. So viele Stimmen haben Union und SPD im Bundestag über die „Kanzler-Mehrheit“ hinaus. Die Fraktionschefs Jens Spahn und Matthias Miersch müssen künftig dafür sorgen, dass der schwarz-roten Koalition nie mehr als diese zwölf Stimmen fehlen. Dafür müssen sich die beiden Männer nun erst einmal besser kennenlernen.
Die Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler am Dienstag war die erste gemeinsame Abstimmung der rot-schwarzen Koalition – und die ging prompt schief. Im ersten Wahlgang verpasste der CDU-Chef die Kanzler-Mehrheit, erst im zweiten Anlauf bekam Merz ausreichend viele Stimmen aus den Fraktionen von Union und SPD. Es war ein Fehlstart, ein Schock für die neue Koalition. Für Merz und auch Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) stellt sich damit die Frage, ob sie sich auf die Abgeordneten von CDU, CSU und SPD verlassen können.
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Im Parlamentsalltag ist es der Job der Fraktionsvorsitzenden, für alle Koalitionspartner tragfähige Kompromisse zu vereinbaren und so für sichere Abstimmungen im Bundestag zu sorgen. Gibt es Zweifel oder Unmut in den eigenen Reihen, müssen die Fraktionschefs ihre Abgeordneten überzeugen, ermahnen, auf Linie bringen. Dafür braucht es gute Beziehungen in alle Gruppen und Flügel einer Fraktion, Verhandlungsgeschick und Autorität. Für die Unionsfraktion soll das Jens Spahn erledigen, die sozialdemokratischen Abgeordneten führt Matthias Miersch.
Fraktionsvorsitzende: Miersch und Spahn müssen Vertrauen aufbauen
Wichtig ist aber auch: Die Fraktionsvorsitzenden müssen sich vertrauen. Der 44-jährige Nordrhein-Westfale Jens Spahn und der 56-jährige Niedersachse Matthias Miersch sind beide schon lange im Berliner Politikbetrieb. Zeitweise waren sie sogar auf den selben Themenfeldern unterwegs, so beackerten sie beide während der Ampel-Zeit die Energiepolitik.

Die Fraktionschefs von Union und SPD: Jens Spahn (links) und Matthias Miersch.
© AFP | dpa
Auf der persönlichen Ebene lernten sie sich aber erst während der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD besser kennen. Nach der Wahl von Miersch zum SPD-Fraktionschef an diesem Mittwoch gratulierte der erst zwei Tage vorher ins Amt gewählte Spahn seinem Gegenpart schnell persönlich. „Ich freue mich auf die gemeinsame, kollegiale Arbeit unserer Fraktionen“, erklärte Spahn zudem öffentlich. Man baut eine Beziehung auf.
Jens Spahn und Matthias Miersch: Politisch trennt die Fraktionschefs einiges
Politisch trennt die beiden jedoch einiges. Miersch gehört dem linken Flügel der SPD an. Seine Rolle als SPD-Generalsekretär interpretierte der Vertraute von Parteichef Klingbeil nicht als Raubein. Spahn dagegen zählt zu den Konservativen in der CDU und zu den Lauten.

Der Münsterländer hat seine lange Karriere unter anderem auf einem Gespür für Schlagzeilen aufgebaut. Immer wieder hat er geschickte Provokationen umgemünzt in Positionen. Unter Angela Merkel etablierte er sich als lautstarker Kritiker der damaligen Kanzlerin und ihres Kurses – so lange, bis Merkel ihn als Gesundheitsminister an den Kabinettstisch holte.
Jens Spahn pflegt Kontakte ins Trump-Lager
Nach der Niederlage der Union 2021 wurde aus dem ehemaligen Gesundheitsminister Spahn ein Energie- und Klimapolitiker, jedenfalls im Organigramm der Unionsfraktion, wo Spahn diesen Bereich als Vize-Vorsitzender verantwortete. Tatsächlich aber hat er sich selten auf diese Themen beschränkt, zu Migration war er kaum weniger zu hören als zu Wirtschaft und Energie.
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Es gibt einige im Bundestag – in seiner Partei, aber auch bei der SPD – die Spahn im Verdacht haben, die CDU in eine Partei nach Art der US-Republikaner verwandeln zu wollen: härter, schärfer, streitlustiger. Offener nach ganz rechts außen. Donald Trumps ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, ist ein persönlicher Freund Spahns. Im vergangenen US-Wahlkampf besuchte der Christdemokrat den Parteitag der Republikaner.
Miersch kritisierte Spahns Äußerungen zur AfD
Nicht wenige Sozialdemokraten sehen in Spahns Linie ein Spiel mit dem Feuer. Dass der CDU-Politiker kürzlich forderte, die AfD bei Abläufen im Parlament – etwa der Vergabe von Ausschussvorsitzenden – zu behandeln wie andere Oppositionsparteien auch, nährte dieses Misstrauen nur. Auch bei Miersch: „Mich machen die Äußerungen von Jens Spahn sehr nachdenklich“, kritisierte der SPD-Politiker in einem Interview. „Er weiß ganz genau, was er tut. Ich sehe sein Agieren sehr kritisch.“
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Nach der Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch durch den Verfassungsschutz ruderte Spahn zurück: Eine Empfehlung, AfD-Abgeordnete zu Ausschussvorsitzenden zu wählen, werde es von der Union nicht geben. Zum Umgang mit der AfD werde sich die Union mit der SPD „selbstverständlich eng abstimmen“. Was das heißt, müssen Spahn und Miersch nun verhandeln.
Schwarz-Rot soll ein Erfolg werden: „Wir sind Profis“
Allerdings muss sich nicht nur die SPD an eine Zusammenarbeit mit Spahn gewöhnen. Miersch warf im Wahlkampf der „Merz-CDU“ soziale Kälte und Klientelpolitik für die Reichen vor. Er ist ein Verfechter klassischer linker SPD-Positionen, von denen die Union aber nicht wissen will. In der CDU/CSU-Fraktion gibt es die Erwartung an Spahn, dem Koalitionspartner dies klar zu machen.
„Wir sind beide Profis“
Zwölf Stimmen. Der Raum für grundlegende Meinungsverschiedenheiten ist klein. Ob die Koalition ein Erfolg wird, hängt maßgeblich von Miersch und Spahn ab. Der Sozialdemokrat zeigt sich zuversichtlich: „Wir sind beide Profis“, sagt Miersch dieser Redaktion. „Auch bei unterschiedlichen Positionen geht es darum, das Land voranzubringen.“