Die Merz-Wahl und die Rolle der Abweichler | ABC-Z

Berlin. Der CDU-Generalsekretär sieht in Friedrich Merz einen „großartigen Kanzler“. Gäste bei Markus Lanz analysieren die verpatzte Wahl.
Wer nun die Abweichler sind, das vermochte natürlich keiner zu sagen in der ZDF-Talkrunde von Markus Lanz am Dienstagabend nach der historisch einmalig verpatzten Wahl eines Bundeskanzlers im ersten Wahlgang, die einen zweiten Durchlauf notwendig machte. „Ich habe nicht damit gerechnet“, erklärte der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in der Sendung.
Natürlich gebe es enttäuschte Abgeordnete, aber eine Aussage über die Abweichler sei angesichts einer geheimen Wahl „Kaffeesatzleserei“ und er wisse es einfach nicht. „In der Unionsfraktion gab es aber lang anhaltenden, ehrlichen Applaus für Friedrich Merz“, berichtete Linnemann immerhin. Das Geschehene sei aber etwas, „was ich wirklich nicht jeden Tag brauche“, so Linnemann.
Deutschland könne sich ein Vakuum von Tagen nicht leisten
Deutschland könne sich ein Vakuum von Tagen nicht leisten könne. Europa warte auf Deutschland, am Mittwoch beginne eine „neue Zeit“ und am Mittwoch sitze Merz bereits im Flieger nach Paris, dieser Kanzler werde viele überraschen, er werde ein „großartiger Kanzler“ und es gelte jetzt nach vorne zu blicken. Bei soviel Loyalität konnte sich Lanz nicht eine Frage nach Linnemanns eigener Rolle verkneifen, die ja kein Ministeramt vorgesehen hat und ein Generalsekretär ist zwar wichtig, aber nicht das Zentrum der Macht.
Auch interessant
Linnemann entgegnete, er sei auch nur „ein Teil des Ganzen“, nämlich seiner Partei, die die Themen Migration und Wirtschaft nun voranbringen werde. Überaus loyal, und zwar zur SPD, äußerte sich auch die EU-Abgeordnete Katarina Barley. Sie ging ein auf einen Bericht des Journalisten Justus Bender, wonach schon im März mindestens acht SPD-Abgeordnete Zweifel an einer Wahl von Merz zum Kanzler geäußert hatten und wies den in seine Schranken.
Zwei Wahldurchgänge – Merz hatte keinen Plan B
Natürlich habe Merz Dinge getan, die den Sozialdemokraten nicht gefallen hätten, allen voran das Votum mit der AfD in der Migrationsfrage. Aber es gebe drei gute Gründe dafür, dass es „die SPD nicht gewesen ist“: Sie wolle jetzt keine Neuwahlen, keine Minderheitsregierung und keine Koalition der Union mit der AfD. „Das wollen meine Leute nicht. Sie stellen sich ihrer staatspolitischen Verantwortung. Es mag bei uns Abweichler gegeben haben, aber nicht in dieser Dimension.“
Immerhin 18 Abgeordnete hatten im ersten Wahlgang gegen Merz votiert. Die Journalistin Kristina Dunz (Redaktionsnetzwerk Deutschland) sah den Fehlstart der Koalition weitaus kritischer. Da sei Europa nochmal signalisiert worden nach dem Bruch der Ampel, „die Deutschen kriegen es nicht hin“, da seien erneut Zweifel gesät worden, anstatt Vertrauen zu bilden. Innenpolitisch sei sichtbar geworden, dass Merz noch nicht mal einen „Plan B“ für eine Wahlniederlage gehabt hatte – vom ersten Wahlgang bis zum zweiten vergingen fünf Stunden.
Abstimmung gegen Merz: Sollte ein Zeichen gesetzt werden
Und innenpolitisch seien sich jetzt auch die Abgeordneten bewusst geworden, welche Macht sie eigentlich haben. Einig war sich die Talkrunde, dass Merz immer Kritiker und Gegner gehabt hatte, aber die Zahl von 18 Abweichlern zeige doch, so Dunz, dass da nicht einzelne als Verzweiflungstat mit Nein gestimmt hätten, sondern dass da „ein Zeichen“ gesetzt werden sollte.
Auch interessant

Im Zusammenhang mit den Turbulenzen in der deutschen Politik stehen vermutlich auch die Kaltstellung der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken bei gleichzeitiger Führungsbehauptung ihres Kollegen Lars Klingbeil. Im Talk von Lanz hat Barley erneut eine Lanze für Esken gebrochen. Sie kenne sie persönlich seit ihren ersten Tagen im Bundestag und es sei „unter allen Niveaus“, wie mit ihr umgegangen werde. Aber auch Barley bemerkte, dass Macht Politikern immer nur auf Zeit verliehen werde.
Bröcker: AfD-Gutachten hätte Sache der neuen Regierung sein müssen
Michael Bröcker, Chefredakteur von Table.Media, wies darauf hin, dass alle SPD-Länderchefs auf Distanz zu Esken gegangen seien, auch Frauen wie Anke Rehlinger aus dem Saarland und Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern. Bröcker bezeichnete übrigens als „frech“ von der zuletzt noch von SPD und Grünen geführten Bundesregierung, dass sie noch in ihrer Amtszeit das Gutachten über die AfD als rechtsextremistische Partei veröffentlicht habe.

Jetzt hat er das Sagen im Kanzleramt: Friedrich Merz.
© dpa | Michael Kappeler
Das Gutachten, das keiner kenne, aber über das alle diskutierten, sei eine „wegweisende Kursänderung“ und hätte Sache der neuen Bundesregierung sein müssen. Da widersprach Barley, sie meinte, dass so ein Gutachten „so früh wie möglich“ an die Öffentlichkeit gehöre, nur bei einer Veröffentlichung kurz vor Wahlen hätte sie da Bedenken gehabt. Zur AfD bemerkte einer ihrer Kenner, Justus Bender, dass immer, wenn etwas „schlecht“ für Deutschland laufe, das gut für die AfD sei.
Merz-Schlappe: AfD-Frau Weidel spricht von gutem Tag für Deutschland
So hatte AfD-Bundestagsvorsitzende Alice Weidel nach der Merz-Wahlschlappe von einem „guten Tag“ für Deutschland gesprochen. Dass die AfD mal mit der Union koalieren will und sie dann wieder als Hauptgegner markiert – das passt laut Bender auch zur flexiblen und opportunistischen Haltung von Alice Weidel. Dass sich Parteien der Mitte aber auch mit den „Rändern“ auseinandersetzen, darauf wies Markus Lanz nochmals hin, indem er ein Foto des CDU-Politikers Jens Spahn zeigte, der im Bundestag mit der Linken-Politikerin Heidi Reichinnek offenbar über Verfahrenstragen diskutierte.
„Haben Sie eigentlich eine Handynummer von einem Linken-Politiker“, fragte Lanz dann den CDU-Generalsekretär Linnemann. Der antwortete: „Nein, keine einzige. Darum geht es doch auch gar nicht.“ Es gehe jetzt in den nächsten zehn oder 20 Jahren darum, das Vertrauen in die Politik wieder herzustellen. „Da musste die Schrecksekunde vielleicht sein.“