Zweiter Wahlgang: Und wenn auch der zweite Wahlgang scheitert? | ABC-Z

Friedrich Merz soll in einem zweiten Wahlgang zum Bundeskanzler gewählt werden. Der Termin steht bisher nicht. Die AfD könnte die Mehrheitsbeschafferin werden.
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Friedrich Merz ist im ersten Wahlgang nicht zum Bundeskanzler gewählt worden. Diese Entscheidung ist nicht endgültig: Im Grundgesetz ist geregelt, dass der Vorgeschlagene binnen 14 Tagen erneut antreten kann. Wann das passiert, ist bisher unklar – die Fraktionen beraten sich. Ein Überblick
Was lief im ersten Wahlgang schief?
Nach Artikel 63 des Grundgesetzes muss ein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen im Bundestag erhalten, um Bundeskanzler zu werden. Merz erhielt 310 Stimmen und verfehlte damit die 316 Stimmen, die für eine absolute Mehrheit im 630-köpfigen Parlament erforderlich sind.
Sein konservativer CDU/CSU-Block und die Sozialdemokraten, sein gewünschter Koalitionspartner, kämen zusammen auf 328 Stimmen. Mit anderen Worten: 18 Abgeordnete der von ihm angestrebten Regierungsmehrheit stimmten nicht für ihn.
Vor Merz hatte in der Nachkriegsgeschichte noch kein Kanzler auf Anhieb die Zustimmung des Parlaments verfehlt.
Wann findet der zweite Wahlgang statt?
Derzeit verhandeln die Fraktionen über die genaue Terminierung. Um einen zweiten Wahlgang noch an diesem Dienstag oder Mittwoch zu ermöglichen, müsste man sich fraktionsübergreifend auf eine Fristverkürzung einigen. Grüne und Linke haben bereits erklärt, dass sie dem zustimmen wollen. Erforderlich ist eine Zweidrittelmehrheit. Auch ein zweiter Wahlgang am Freitag war im Gespräch, zu diesem Zeitpunkt könnten sich aber viele Abgeordnete schon wieder außerhalb Berlins befinden.
Klar ist unterdessen, dass Friedrich Merz für den zweiten Wahlgang antreten wird. “Wir werden als Koalition, Union und SPD, Friedrich Merz erneut für den zweiten Wahlgang vorschlagen”, sagte der neue Fraktionschef Jens Spahn. “Wir werden gemeinsam geschlossen in den zweiten Wahlgang gehen.” Merz habe in der Fraktion stehenden Applaus erhalten.
Was passiert, wenn auch der zweite Wahlgang scheitert?
Die Anzahl der Wahlgänge binnen der im Grundgesetz vorgesehenen Zwei-Wochen-Frist ist prinzipiell unbeschränkt. Erst nach deren Ablauf werden die Anforderungen gesenkt: Friedrich Merz bräuchte dann nur noch die einfache Mehrheit. Erreicht ein Kandidat in diesem letzten Durchgang nur die relative Mehrheit, entscheidet der Bundespräsident: Er kann den Kandidaten dennoch ernennen oder den Bundestag auflösen und Neuwahlen ansetzen.
Könnte ein alternativer Kanzlerkandidat vorgeschlagen werden?
Im Prinzip könnten jederzeit alternative Kandidaten vorgeschlagen werden, aber aufgrund der Verteilung im Parlament sind die Konservativen und die SPD der einzige Zweierblock, der ohne die rechtsextreme AfD über eine Mehrheit verfügt. Die Nominierung eines anderen Kandidaten oder einer anderen Kandidatin als Merz würde wahrscheinlich umfangreiche Nachverhandlungen erfordern. Möglicherweise müsste eine dritte Partei wie die Grünen einbezogen werden, die ihrerseits Zugeständnisse fordern würde.
Welche Rolle spielt jetzt die AfD?
Auf die Stimmen der AfD könnte es jetzt als Mehrheitsbeschafferin ankommen, ein großes Problem angesichts des Unvereinbarkeits-Beschlusses – und genau das nutzt die Partei zur Inszenierung. Die AfD-Fraktion sagte dem Tagesspiegel, sie stehe einem zweiten Wahlgang am heutigen Dienstag oder Mittwoch nicht im Wege. “Die AfD-Fraktion würde einem zweiten Wahlgang aus staatspolitischer Verantwortung auch heute zustimmen. Einem Wahlgang am Mittwoch würden wir ebenfalls zustimmen”, sagte der Sprecher von AfD-Chefin Alice Weidel, Daniel Tapp. Der Meinungsforscher Manfred Güllner sieht die Partei sogar als Gewinner der vorerst gescheiterten Kanzlerwahl. “Das Vertrauen in die politischen Institutionen wird weiter beschädigt”, sagte der Chef des Forsa-Instituts der Nachrichtenagentur Reuters. “Die AfD ist der Gewinner des Debakels.”
Ist die Bundespolitik nach der gescheiterten Wahl noch handlungsfähig?
Bis ein neuer Kanzler gewählt und ernannt wurde, bleibt Olaf Scholz im Amt. Allerdings ist die geschäftsführende Bundesregierung dazu angehalten, keine politischen Grundsatzentscheidungen mehr zu treffen. Dies folgt dem sogenannten Versteinerungsgebot, einem ungeschriebenen Prinzip, das politische Zurückhaltung während der Übergangszeit fordert. In dieser Phase dürfen keine neuen Minister oder Ministerinnen ernannt werden. Die Ministerien arbeiten weiterhin, jedoch mit eingeschränkter Handlungsfähigkeit. Neue Projekte oder Reformen werden nicht begonnen, und laufende Vorhaben werden nur fortgeführt, wenn sie bereits beschlossen sind. Dies betrifft auch die Planung und Aufwendung von Haushaltsmitteln.
Wie sollte Merz’ erster Tag als Kanzler ursprünglich ablaufen?
Mehr als zwei Jahrzehnte hat Friedrich Merz auf seine Kanzlerschaft hingearbeitet, drei Anläufe für den CDU-Parteivorsitz unternommen. Heute ist sein politischer Lebenstraum vorerst gescheitert. Nach einem erfolgreichen ersten Wahlgang hätte Merz im Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ernennungsurkunde erhalten sollen. Die Vereidigung als Bundeskanzler im Bundestag war für die Mittagszeit vorgesehen. Dann sollte zunächst das neue Kabinett im Schloss Bellevue ernannt und anschließend im Bundestag vereidigt werden. Danach hätte Olaf Scholz im Kanzleramt die Geschäfte an Merz übergeben. Die erste Sitzung des neuen Kabinetts unter der Leitung von Merz war für 18 Uhr geplant, im Anschluss hätte es ein gemeinsames Abendessen des neuen Kabinetts im Kanzleramt gegeben. Merz hatte erste Auslandsreisen geplant, unter anderem nach Polen und Frankreich. Alle Termine und Reisen wurden nun abgesagt.
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