Warum es an Fachkräften für Kitas nicht mangeln müsste | ABC-Z

Gerade hat Offenbach in einer Untersuchung zur Kita-Versorgung schlecht abgeschnitten. Dabei ging es allerdings nur um die Verteilung der Tagesstätten innerhalb des Stadtgebietes und nicht um die größte Schwierigkeit, die sich den Betreibern zurzeit stellt: den Fachkräftemangel für die Betreuung von Kindern im Vorschul- und Grundschulalter.
Für Rolf Schmidt ist die Krise der Betreuung in Deutschland allerdings mit dem Wort Fachkräftemangel nicht präzise beschrieben. Denn es gebe im Grunde genügend Fachkräfte, sagt der Geschäftsführer des Erasmus-Bildungshauses in Offenbach. Der Soziologe beschäftigt sich seit Jahrzehnten in Theorie und Praxis vor allem mit der frühkindlichen Bildung und Entwicklung.
Der Kern des Problems seien überholte Regelungen und eine zähe Kultusbürokratie. So sei der Beruf des Erziehers nach wie vor als „Weiterbildung“ konzipiert. Die Ausbildung finde in Deutschland weder im dualen Ausbildungssystem statt noch an Hochschulen und Universitäten wie in den meisten anderen europäischen Ländern, führt Schmidt im Gespräch aus. Da die bis zu fünf Jahre dauernde Ausbildung zur Erzieherin als schulische Leistung eingeordnet ist und nicht regelhaft bezahlt wird, ist es für Interessierte unattraktiv oder gar unmöglich, diesen Beruf zu wählen, wie Schmidt sagt.
„Warum der Beruf in Deutschland eine Weiterbildung ist, weiß kein Mensch.“ Die Frage, auf welche Basisausbildung sich die Einordnung als Weiterbildung bezieht, kann Schmidt zufolge niemand inhaltlich plausibel beantworten. Das alles sei nur historisch zu erklären und letztlich Ausdruck von Machtverhältnissen. Denn klassische Frauenberufe seien stets gesondert betrachtet worden und wiesen immer die gleichen strukturellen Merkmale auf wie eine unbezahlte Ausbildung, lange Ausbildungszeiten und geringe Aufstiegsmöglichkeiten, sagt Schmidt.
Die zweite unter den gegenwärtigen Bedingungen größte Schwierigkeit ist die nicht geregelte Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Dieses Hindernis ist für das Erasmus-Bildungshaus in Offenbach deshalb besonders ärgerlich, weil dort die Kinder von der Krabbelstube bis zur Grundschule dreisprachig aufwachsen. Sie lernen Deutsch, Englisch und Spanisch.
„Das ist ein System des Irrsinns“
Als Beispiel schildert Schmidt den Fall einer Kinderpsychologin aus Kolumbien, die für die mehrsprachige Kinderbetreuung im Bildungshaus ideal gewesen wäre. Sie habe Berufserfahrung bis hin zur Arbeit mit Straßenkindern gehabt, aber sie gelte in Deutschland nicht als Fachkraft. Erst nach langwierigen zusätzlichen Qualifikationen in Deutschland sei eine Anstellung möglich.
Dasselbe gelte für einen Musiklehrer, eine Sportlehrerin, einen Theater- oder einen Umweltpädagogen mit deutschem Pass. Sie alle seien erst einmal nicht als Fachkräfte in der frühkindlichen Kinderbetreuung einzusetzen. „Das ist ein System des Irrsinns“, sagt Schmidt. Es ist seiner Auffassung nach auch deshalb fatal für die Kinder, weil der „Generalistenberuf“ Erzieher nicht ausreiche, um Kindern die besten Startchancen zu verschaffen. Er wolle dabei keineswegs die Fähigkeiten von Erzieherinnen und Erziehern gering schätzen. Es gehe vielmehr darum, die natürliche Aufnahmefähigkeit im frühkindlichen Alter mit allen Kräften zu nutzen.
Einführung einer dualen Ausbildung
Dazu passt, dass im Bildungs- und Erziehungsplan des Landes Hessen eine Fülle von Erziehungszielen aufgelistet ist wie Spracherwerb, soziale Fähigkeiten, Umgang mit Medien, Musik, Kunst, Naturwissenschaften, Umwelt und vieles mehr. Entsprechend fachlich qualifizierte Kräfte sollten dafür eigentlich willkommen sein.
In Kitas werden sie dennoch erst einmal nicht als Fachkräfte angesehen. Er habe diesen Missstand bei Expertenanhörungen in Landtagen bemängelt, bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Um das ausweislich der anhaltenden Krise offensichtlich nicht taugliche System der frühkindlichen Betreuung in Deutschland zu reformieren, fordert Schmidt die Einführung einer dualen Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz. Zudem hält er es für nötig, die Studiengänge zur frühkindlichen Bildung und Kinderpädagogik an Hochschulen „massiv auszubauen“.
Ebenso wichtig ist es seiner Ansicht nach, die gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen, dass Kinder in Kitas vielsprachig und von professionellen Kräften verschiedener Fachrichtungen begleitet und betreut werden dürfen. Schmidt hält es deshalb für notwendig, den Katalog von Qualifikationen auszuweiten, die eine Anerkennung als Fachkraft für Kitas zuließen. Was Fachkräfte für die frühkindliche Bildung aus dem Ausland angehe, sei es im Grunde ein Leichtes, eine Positivliste zu erstellen und auf dieser Basis eine schnelle Anstellung durch die verschiedenen Träger zu ermöglichen. Es reiche nicht, Geld in das System zu pumpen, ohne die bürokratischen und strukturellen Hindernisse zu beseitigen.
Ungeachtet der großen Schwierigkeiten lohnen sich alle Mühen im Interesse der Kinder, wie Schmidt hervorhebt. Gerade die Mehrsprachigkeit in der frühkindlichen Betreuung nutze das wissenschaftlich erwiesene Potential der Kleinen, sich im Spiel und im Umgang miteinander Sprachen ohne Mühe schnell anzueignen. Das sei keine Frage der Herkunft, Intelligenz oder besonderer Begabung, sondern ein Vermögen der Kleinen, das nach Kräften früh gehoben und gefördert werden müsse, weil es mit dem Heranwachsen nachlasse.