Sport

Hamburger SV: Ha Ha HSV, Digger! | ABC-Z

In unserer Kolumne “Grünfläche
schreiben
abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich und als
Einwechselspieler Fabian Scheler über die Fußballwelt und die Welt des
Fußballs. Dieser Artikel ist Teil von
ZEIT am Wochenende,
Ausgabe 18/2025.

Vor vielen Jahren saß ich mit einem guten Freund in unserer
Fußballkneipe und sah mir eine längst vergessene Bundesligakonferenz an. Der Abend
auf einer Studentenparty hing uns nach, umso überraschter war ich, als mein
Kumpel ansatzlos zu einem leidenschaftlichen Monolog zur Zukunft des Hamburger
SV ansetzte. Er referierte über irgendwelche Stadionkredite der WM 2006, die
der HSV als erster würde abbezahlt haben, was die finanzielle Situation derart
verbessern würde, dass man zwangsläufig oben angreifen werde. “Ganz im Ernst,
Digger”, schloss er seinen Sermon voller Überzeugung, “es ist nur noch eine
Frage der Zeit, bis der HSV Meister wird.”

Ja, gut, äh. In den vergangenen Jahren musste ich an diesen
namenlosen Nachmittag immer mal wieder denken, weil er mir ein gutes Beispiel
dafür scheint, wie unvorhersehbar Fußball ist. So weit hergeholt schien das
damals ja nicht. Der HSV bewegte sich im Dunstkreis der Tabellenspitze, spielte
regelmäßig international, auf der Payroll standen Spieler wie Rafael van der
Vaart und Ivica Olić. Es war die Zeit, in der selbst Uli Hoeneß aus München
warnte, der HSV könne als einziger deutscher Club den Bayern wirklich
gefährlich werden.

Bald zwanzig Jahre später weiß ich: Weder die Prognose
meines Kumpels noch die von Hoeneß ist eingetreten. Immerhin gereicht meinem
Freund und mir – eher mir – der Spruch von damals zum Running Gag. Im
Nachhinein hätte er es wohl eher mit Paul Gascoigne gehalten: “Ich mache nie
Voraussagen und werde das auch niemals tun.”

Kluger Paul Gascoigne. Die Entwicklung des Hamburger SV, wie
sie nun ist, war damals wirklich nicht vorherzusehen. Aktuell kämpft der Club
zum siebten Mal um den Aufstieg in die Bundesliga, und schreibe ich von
Kämpfen, ist damit wirklich ein Kampf gemeint, vor allem mit sich selbst. Denn
das hat mittlerweile Tradition: Der Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern
und der HSV seine Nerven. Keine noch so aussichtsreiche Tabellensituation, die
der Club in den vergangenen Jahren nicht mit dem Hintern wieder eingerissen
hätte. Krachende Heimpleiten gegen Sandhausen, spektakulär vergeigte Fernduelle
mit Heidenheim, dem HSV ist nichts erspart geblieben. “Der Endspurt ist der
letzte schwere Schritt – und das ist kein leichter Schritt”, drückte es HSV-Stürmer
Robert Glatzel nach dem 1:2 gegen den KSC wunderbar aus. Wie wahr.

Was mich zur Frage führt: Lässt sich überhaupt vermeiden,
was zu passieren droht? Nämlich der erneute vierte Tabellenplatz des Hamburger SV in drei Wochen? Oder hat sich das Hamburger Nervenflattern so zur Gewissheit
verknöchert, dass es mittlerweile Teil des Clubs und damit völlig
unausweichlich ist?

Als junger Journalist fragte ich mal Eintracht Frankfurts
Marc Stendera, ob Vereine so etwas wie eine DNA haben. “Sie stellen Fragen … “,
antwortete Stendera und beließ es dabei. Und natürlich war das eine dämliche
Frage an einen damals 18-Jährigen. Dennoch fand ich sie berechtigt. Haben
Fußballclubs nicht ihre ganz eigenen Charakterzüge? Die chronisch chaotischen
Schalker? Die am Ende immer triumphierenden Bayern? Die nachhaltigen
Freiburger, bei denen stets ein Volker-Finke-Wiedergänger den Lehrer Doktor
Specht gibt? Bayer 04 Vizekusen?

Wahrscheinlich nicht. Anlass der Frage damals war der Ruf Eintracht Frankfurts, stets alles im entscheidenden Moment zu verspielen, sich nicht zu
nehmen, was man ja schon in Händen hält. Und was heißt schon Ruf, das war Jahre
und Jahrzehnte Teil des Selbstverständnisses in Frankfurt. Bis es das dann eben
nicht mehr war, die Eintracht den Pokal und sogar den Europapokal gewann. Vom
Versagen im entscheidenden Moment spricht heute niemand mehr. Wahrscheinlich,
und das ist die gute Nachricht für den HSV, hat ein Fußballverein also keine
unabänderliche DNA, eher schlechte Angewohnheiten, die es sich abzugewöhnen
gilt. Der HSV, der sich sagen muss: Mann, werd doch endlich mal erwachsen.

Aber wie? Bei Eintracht Frankfurt kamen damals Fredi Bobic
und Niko Kovač und stellten den Laden einmal auf den Kopf. In Leverkusen buddelte
man einen kommenden Weltklassetrainer aus. In Freiburg arbeitete man einfach
ruhig und besonnen vor sich hin und kann nun zweistellige Millionentransfers
tätigen.

Und der HSV? Manchmal ist es auch einfach nur Zufall. Der
Niedergang des HSV begann genau genommen ja mit einer Papierkugel, die im Uefa-Cup-Halbfinale
gegen Werder Bremen aufs Feld geworfen wurde und einen Eckball verursachte, der
zum Aus führte. Wer sagt denn, dass nun im letzten Spiel in Fürth nicht auch
eine Papierkugel aufs Feld fliegt, diesmal auf der richtigen Seite von Platz
und Schicksal?

Vielleicht, vielleicht nicht – das ist ja so etwas wie der
Kern dieses Sports. Ich würde es dem HSV auf jeden Fall gönnen, endlich
aufzusteigen. Und glaube auch daran, auch wenn ich es eher mit Gascoigne halten
sollte.

Jener Tag in der Fußballkneipe ist heute übrigens zeitlich
in etwa genauso weit entfernt wie der Tag damals von den goldenen Achtzigern
des HSV. Der Fußball verläuft in langsamen Wellen, hebt und senkt mal dieses
und mal jenes Boot, es dauert, aber dann wird alles wieder gut, auch wenn das
im Hier und Jetzt ein schwacher Trost für alle Hamburger sein dürfte. Jedenfalls
wäre es spannend zu sehen, wie sich der Club in der Ersten Liga neu erfindet,
hat er endlich das Trauma Zweite Liga überwunden. Es wäre die Möglichkeit, sich
neue Charaktereigenschaften zuzulegen, gute diesmal.

Ob’s dann zur Meisterschaft reicht? Ganz im Ernst, Digger. Aufs
große Ganze gesehen ist auch das nur noch eine Frage der Zeit.

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