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Koalitionsvertrag: “Was ist daran sozialdemokratisch?” | ABC-Z

Während CDU und CSU bereits ihre Ministerposten vergeben, muss die SPD-Basis per Mitgliedervotum dem Koalitionsvertrag erst noch zustimmen. Dass die rund 360.000 SPD-Mitglieder mehrheitlich mit Ja votieren werden, gilt als wahrscheinlich. Die Jusos haben allerdings im Vorfeld ihre Ablehnung des Koalitionsvertrags bekannt gegeben und sich für Neuverhandlungen ausgesprochen. SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil wiederum betont, dass es keine Alternative zur Koalition mit der Union gebe und eine stabile Regierung der demokratischen Mitte angesichts der aktuellen Krisen besonders wichtig sei.  

Wir wollten von Mitgliedern der SPD in unserer Leserschaft wissen, warum sie für oder gegen den Koalitionsvertrag stimmen. Über 200 Einsendungen haben uns erreicht. Knapp die Hälfte der SPD-Mitglieder, die sich bei uns gemeldet haben, schreiben, dass sie zustimmen wollen, die andere Hälfte gibt an, entweder ablehnen oder sich enthalten zu wollen. Die Umfrage ist nicht repräsentativ, dennoch ist auffällig: Völlig überzeugt vom Koalitionsvertrag ist kaum jemand – auch nicht von denen, die zustimmen. Für sie ist der ausschlaggebende Punkt, dass die SPD Verantwortung übernehmen und eine stabile Koalition bilden muss, um eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern.  

Einer der Hauptkritikpunkte derer, die gegen den Vertrag stimmen, ist die geplante Verschärfung in der Migrations- und Asylpolitik. Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag unter anderem darauf geeinigt, dass die Bundespolizei Asylsuchende an den Grenzen zurückweisen darf und Aufnahmeprogramme, wie etwa für gefährdete Afghanen, beendet werden sollen. Es sollen insgesamt mehr Menschen abgeschoben werden und Abschiebehäftlinge keinen Rechtsbeistand mehr bekommen. Für viele Sozialdemokraten, die uns geschrieben haben, sind diese Verschärfungen nicht mit den Grundwerten ihrer Partei vereinbar.  

Kritik richtet sich auch gegen die Führungsspitze um Lars Klingbeil. So schreibt uns ein Leser, dass die Parteiführung nach dem historisch schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl mehr Demut hätte zeigen müssen und sich nicht mit dem Fraktionsvorsitz hätte belohnen sollen. Vor allem jüngere Mitglieder fordern in ihren Einsendungen die Rückkehr zu einer progressiven und sozialdemokratischen Politik. Im Koalitionsvertrag sei eine SPD-Handschrift kaum wahrnehmbar, meinen die Kritiker, die sich bei uns gemeldet haben. 

Die ausgewählten 19 Einsendungen geben einen Einblick in die Entscheidungsfindung und die unterschiedlichen Positionen innerhalb der SPD-Basis. Klicken Sie auf ein Zitat, um die ganze Geschichte zu lesen. 

“Was sind wir bereit, für eine stabile Regierung zu opfern?”

Ich werde den Koalitionsvertrag ablehnen. Mich stört die Ideenlosigkeit: Zunächst einmal ist alles, was in diesem Koalitionsvertrag steht, unverbindlich. Wofür schreibt man das alles auf, wenn dann bei jeder einzelnen Maßnahme noch mal diskutiert werden muss, ob sie als ‘finanzierbar’ gilt oder nicht. Sollte dies nicht schon von Anfang an im Koalitionsvertrag berücksichtigt werden?

Systematische Probleme unseres Landes werden nicht angegangen. Rentenreform, Steuerreform, Gesundheitsreform oder Klimaschutz – zu keinem dieser Themen bietet der Koalitionsvertrag eine substanzielle Veränderung. Jede Steuersenkung, jede kleine Entlastung, welche die SPD hineinverhandelt hat, wird von steigenden Mieten und steigenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen aufgefressen werden.

Die Ansammlung von immer mehr Vermögen bei immer weniger Menschen geht ungehindert weiter, der Mittelstand blutet aus. Wissenschaftlich erwiesen ist dies Nährboden für radikale Parteien, insbesondere von rechts. Hier bin ich deutlich: Mit diesem Programm wird die AfD nicht kleiner, ihr Anteil bei den einkommens- und eigentumsschwachen Wählern wird weiter steigen.

Mich stört auch die unehrliche Kommunikation gegenüber uns Mitgliedern: Der Vertrag ist kein Erfolg. Man könnte das als Parteispitze durchaus anerkennen und ehrlich vermitteln, dass das, was man da verhandelt hat, nicht das Gelbe vom Ei ist. Stattdessen wird einem dieser Vertrag als großartig und hervorragend für unser Land verkauft.

Am Ende ist auch die ‘staatspolitische Verantwortung’ für mich kein Argument. Es ist nicht Aufgabe der SPD, die CDU vor einer Zusammenarbeit mit der AfD zu schützen. Eine CDU-AfD-Koalition wäre eine aktive Entscheidung der CDU, unabhängig von der SPD. Natürlich wäre eine stabile Regierung wünschenswert, aber was sind wir als Partei bereit, dafür zu opfern? Das ruhige Fahrwasser, in das wir wieder kommen wollen, vielleicht gibt es das einfach nicht mehr. Diese Welt ist nicht mehr ruhig.

“Durch eine Regierungsbeteiligung können wir das Schlimmste verhindern”

Alles in allem fällt es mir nicht leicht, mit meiner Zustimmung zum Koalitionsvertrag Friedrich Merz ins Kanzleramt zu verhelfen. Ich stimme jedoch zu, weil wir durch eine Regierungsbeteiligung zumindest die Chance haben, das Schlimmste zu verhindern. Bei den beiden Abstimmungen der Union mit der AfD ist allerdings viel Vertrauen kaputtgegangen. Für die SPD war dies aufgrund unserer Geschichte keine Kleinigkeit. Rolf Mützenich hat mit seinem ‘Tor zur Hölle’ nicht übertrieben.

Ein weiterer Aspekt ist, dass sich die Spitze der Union zunächst einer Reform der Schuldenbremse verweigert hat und die Ampel am langen Arm hat verhungern lassen. Bis zum Wahltag war die Union strikt gegen neue Schulden, um dann direkt am ersten Tag nach der Wahl – noch bevor irgendwelche Gespräche geführt wurden –, Milliarden für Sondervermögen und Schuldenbremse in Aussicht zu stellen.

Ich denke, wir müssen uns in dieser Legislaturperiode noch auf harte Debatten innerhalb der Koalition einstellen. Ich blicke auf die Koalition zwar skeptisch, doch sehe sie als Notwendigkeit an.

“Als sozialdemokratische Kraft muss man sich mehr zutrauen”

Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen im Bereich Flucht und Migration sind unvereinbar mit meinem Wertekompass. Deshalb stimme ich nicht zu. Die Beschlüsse in der Migrationspolitik beschneiden massiv die Rechte Geflüchteter und verschlechtern zudem die Alltagssituation von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationsgeschichte im Allgemeinen, da sich rassistische Strukturen verfestigen werden. Zudem gibt es zu wenige Ideen, wie man die wachsende Ungleichheit bekämpfen könnte. Diese auseinandergehende Schere ist für mich ein wichtiger Grund für das Erstarken extremistischer Bewegungen. Ich hoffe, dass bei einer Ablehnung des Koalitionsvertrags nachverhandelt wird. Die Lösungen für unsere Zukunft können nicht in Feindbildern und mehr Neoliberalismus liegen. Wir müssen eine Vision vermitteln, die uns als Gesellschaft näher zusammenbringt. Dazu gehören aus meiner Sicht: mehr Mitbestimmung von Arbeitnehmenden in Unternehmen, mehr soziokulturelle Begegnungsstätten, flächendeckender Infrastruktur-Ausbau, bezahlbares Wohnen und eine Rentenreform, die uns die Angst vor dem Pfandflaschensammeln im hohen Alter nimmt. Als sozialdemokratische Kraft muss man sich da mehr zutrauen.

Auch die Abschaffung des Achtstundentags ist gemessen an der sozialdemokratischen Historie ein untragbarer Fehler, der weitere Wählerstimmen kosten wird. Angesichts der großen sozialen Ungleichheit die Erbschaftssteuer nicht zu reformieren, ist problematisch. Weiterhin fehlen ernst zu nehmende Bemühungen um mehr Klimaschutz, soweit diese im Vertrag gegeben sind, stehen sie nur unter Finanzierungsvorbehalt. Auch in diesem Bereich gilt aus meiner Sicht: Da geht mehr!

CDU-Politiker wie Jens Spahn oder Carsten Linnemann haben wiederholt Interesse an einer Normalisierung der AfD gezeigt. Ich befürchte, dies könnte 2029 in einer Zusammenarbeit münden. Auch deswegen gilt es nun, die Gesellschaft mit Maßnahmen gegen die Ungleichheit und für einen funktionierenden Alltag wieder zusammenzubringen.

“Die SPD ist dabei, zu vergessen, was das S im Namen bedeutet”

Ich werde dem Koalitionsvertrag nicht zustimmen. Im Grunde gibt es keinen Teil des Vertrags, der mich besonders überzeugt. Es ist ein Herumtrampeln auf Bedürftigen, während Reiche bevorzugt werden. Zusätzlich wird der Umweltschutz zurückgefahren und der Überwachungsstaat immer weiter ausgebaut. Die CDU hat schon lange vergessen, was das C im Parteinamen bedeutet, die SPD ist dabei, das S zu vergessen.

Themen wie Umwelt, Migration, Sozialstaat und öffentliche Sicherheit werden meiner Meinung nach falsch angepackt. Ich finde keinen Teil, der mich besonders überzeugt. Ich befürchte, Merz wird die Regierung an die Wand fahren, die SPD weiter in den Abgrund reißen und in vier Jahren sitzt dann Alice Weidel im Kanzleramt.

“Die verschärfte Migrationspolitik wird uns noch auf die Füße fallen”

Ich habe mit Nein gestimmt. Eines der größten Probleme ist für mich die verschärfte Migrationspolitik. Die Herangehensweise hilft in keiner Weise, Deutschland zu schützen oder zukunftsfähig zu machen. Sie dient nur dazu, schnell etwas vorweisen zu können und AfD-Wähler zu gewinnen. Eine adäquate Lösung für ein komplexes Thema sind die Pläne nicht. Das wird uns noch auf die Füße fallen. Auch der Klimaschutz kommt mir zu kurz, obwohl ich es gut finde, dass die Atomkraft definitiv nicht zurückkommen wird.

Das Argument, dass eine Ablehnung des Koalitionsvertrags zum Erstarken der AfD beiträgt, taugt meiner Meinung nach nicht. Die AfD wird stärker, weil man keine Kopien wählt, wenn man auch das Original wählen kann. Die Bundes-SPD erscheint immer mehr wie ein zahnloser Löwe, der zwar Verantwortung übernehmen möchte, es aber nicht schafft, klar Grenzen zu ziehen. Das zeigt sich im Inhalt des Koalitionsvertrags, aber auch darin, wie unbedarft Friedrich Merz schon jetzt Teile des Vertrags infrage stellt. Merz hat bereits gezeigt, dass man sich auf seine Zusagen nicht verlassen kann. Das ist keine Basis für eine vertrauensvolle und zielgerichtete Zusammenarbeit, um Deutschland in den nächsten Jahren voranzubringen.

“Dass die SPD drei der fünf Grundgesetzministerien stellt, ist ein großer Verhandlungserfolg”

Ich werde dem Koalitionsvertrag zustimmen. Wie in jeder Koalition müssen beide Partner ein paar Kröten schlucken. Insgesamt bin ich aber inhaltlich mit den meisten Punkten zufrieden und auch bei der Verteilung der Ministerien. Dass die SPD drei der fünf Grundgesetzministerien Finanzen, Justiz, Verteidigung und das Ministerium mit dem größten Etat im Bundeshaushalt Soziales stellt, ist ein großer Verhandlungserfolg unserer Parteispitze.

Inhaltlich denke ich, dass sich auch viele Sozialdemokraten und SPD-Wähler eine, wenn nicht pauschal härtere, so doch zielgerichtetere Migrationspolitik wünschen. Hier hat die Ampel schon einiges erreicht und die Effekte der neuen EU-Asylregeln sind noch gar nicht bekannt. Ich finde es allerdings schwierig, dass der Familiennachzug für einige Geflüchtete ausgesetzt wird – man weiß doch, dass eine Familie gerade jungen Männern Halt gibt. Diese Maßnahme ist ein Tribut an den rechten Zeitgeist, aber wenig sinnvoll.

Friedrich Merz wird meines Erachtens ein Übergangskanzler sein – genau wie Olaf Scholz. Übermäßiges Vertrauen in die CDU und ihn als Person habe ich nicht, doch Schwarz-Rot ist schlichtweg die letzte Möglichkeit auf eine funktionierende Koalition im Bundestag. Jede Alternative wäre schlechter oder unsicherer. Wie wir im Norden sagen: Nutzt ja nix!

“Die SPD muss sich auf ihre ursprünglichen Werte besinnen”

Ich habe lange Zeit mit mir gerungen, ob ich zustimmen oder ablehnen werde. Die Aussagen gewisser CDU-Funktionäre haben mir dann Gewissheit gegeben: Ich werde ablehnen, weil ich finde, dass wir Sozis uns einfach mal treu bleiben müssen. Wir können nicht der Sündenbock der Nation oder der Konservativen sein. Wieder ist es die SPD, die ‘Verantwortung’ übernimmt, damit die Konservativen rechte Politik machen können. Ich werde keine Partei unterstützen, die Jahrzehnte an Fortschritt verpennt hat. Beim Koalitionsvertrag frage ich mich: Was ist daran sozialdemokratisch?

Wir als SPD zeigen nach jeder Wahl, wie schwach wir sind und wie wir für ein paar Ministerien unsere Grundwerte verraten. Die Sozialdemokratie wird dadurch unwiderruflich geschwächt, beschädigt und schlussendlich zerstört. In spätestens vier Jahren werden wir die Folgen sehen. Ich glaube, es war ein Fehler, Pistorius als Kandidaten abzusägen. Dass diejenigen, die die Wahl verloren haben, jetzt hohe Regierungsposten bekommen, ist ein schlechtes Zeichen. Klingbeil hätte ich so eine Machtgeilheit nicht zugetraut. Wenn wir so weitermachen, landet die SPD noch unter zehn Prozent.

Die SPD muss sich neu aufstellen und endlich wieder auf die ursprünglichen Werte der Sozialdemokratie besinnen. Wir brauchen das Rückgrat, auch mal wieder richtig linke, progressive und sozialdemokratische Positionen zu vertreten und umzusetzen. Es braucht einen linken Gegenpol zur Union.

“Wir dürfen uns vor der Verantwortung nicht wegducken”

Ich habe dem Vertrag zugestimmt, aber nicht aus voller Überzeugung. Neu zu verhandeln, halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für falsch. Die politische und gesellschaftliche Situation sowohl in Deutschland als auch global erfordert eine handlungsfähige Regierung – und das möglichst schnell. Lange Verhandlungen würden meiner Meinung nach die Politikverdrossenheit der Bevölkerung weiter anheizen und nur den rechtsradikalen Parteien in die Hände spielen.

Ich kann dem Koalitionsvertrag einiges Gutes abgewinnen. Gerade in puncto Verteidigung ist dies wichtig und von internationaler Bedeutung. Die USA werfen ihre über Jahrzehnte aufgebaute Soft Power einfach über Nacht in den Müll und schaden sich selbst damit ungemein. Dass Deutschland diesen Weg nicht einschlägt, finde ich positiv.

Was mich aber am Koalitionsvertrag stört, ist die Migrationspolitik, bei der sich die Union mit unsinnigen und auch undurchführbaren Forderungen fast komplett durchgesetzt hat. Außerdem finde ich, dass meine Generation im Koalitionsvertrag eigentlich komplett übergangen wird. Obwohl seit vielen Jahren klar ist, dass die Rentenversicherung reformiert werden muss, drückt sich auch diese Regierung wieder davor. Stattdessen scheint weiterhin der einzige Plan zu sein: Die junge Generation soll immer mehr zahlen und dafür im Alter immer weniger Rente bekommen. Der Generationenvertrag scheint bereits jetzt kaum noch zu gelten.

Am liebsten wäre mir eine rot-grüne Koalition gewesen. Dass das nicht möglich war, liegt aber natürlich insbesondere an der SPD selbst. Es gibt auch gute Leute in der Union, insgesamt halte ich sie aber für nicht überwiegend vertrauenswürdig – insbesondere das Personal aus der CSU. Merz’ Auftritte im Wahlkampf waren auch nicht sehr vertrauensfördernd, andererseits können wir froh sein, vor allem mit Blick auf die USA, einen mehr oder weniger besonnenen Menschen zum Kanzler zu haben.

“Die Kraft zum Kompromiss muss jede Partei mitbringen”

Ich werde dem Koalitionsvertrag zustimmen. Hätte es eine Mehrheit für Schwarz-Grün gegeben, hätte ich die SPD nach der Wahlniederlage gerne in der Opposition gesehen. Man muss so ehrlich sein: Wir wurden abgewählt. Aber in der aktuellen Konstellation gibt es keine andere Möglichkeit für eine stabile Regierung als Schwarz-Rot.

Inhaltlich steht viel Gutes im Vertrag. Gerade wirtschaftspolitisch mit Sonderabschreibungen oder dem Industriestrompreis finden sich Forderungen, die ich mir schon von der Ampel gewünscht hätte. Auch außenpolitisch ist viel Kontinuität zu erkennen. Dass bei anderen Themen eher eine CDU-Handschrift zu finden ist, liegt in der Natur der Sache. Die Kraft zum Kompromiss muss jede Partei mitbringen.

Ich habe Vertrauen in die Union. Auf lokaler Ebene gibt es dort viele vernünftige Leute. Es wäre schlimm, wenn die beiden Volksparteien links und rechts der Mitte nicht miteinander auskommen, trotz inhaltlicher Differenzen. Die gemeinsame Abstimmung mit der AfD war eine Grenzüberschreitung, und der unehrliche Wahlkampf von Merz zeigt, dass er charakterlich nicht wirklich für dieses Amt geeignet ist. Ich werde ihm als Kanzler eine faire Chance geben, es würde mich aber nicht überraschen, wenn die Union ihn in der Legislatur austauschen möchte.

“Es gibt kaum einen Willen zu echten Reformen”

Mir fehlt im Koalitionsvertrag eine klare Linie beim Thema Klimaschutz. Auch die Entlastung von Normalverdienenden ist quasi nicht vorhanden. Das wäre aber aufgrund der hohen Abgaben aktuell angebracht. Überhaupt stört mich, dass es kaum Willen zu echten Reformen gibt. Der Vertrag enthält hier zu wenig konkrete Maßnahmen. Ich halte die Ambitionen, den Staat zu modernisieren, für zu zaghaft. Die Aufnahme neuer Schulden finde ich richtig, aber die Gelder müssen sinnvoll eingesetzt werden.

Beim Thema Schulden hat Friedrich Merz im Wahlkampf bewusst gelogen und politische Gegner diffamiert, obwohl sie recht hatten. Die Notwendigkeit neuer Schulden allein auf Trump zu schieben, ist deutlich zu kurz gedacht, der kann doch nichts für die marode Infrastruktur in Deutschland. Solche halbherzigen Erklärungen schaffen zu Beginn der Regierungszeit kaum Vertrauen.

Ich wünsche der Koalition alles Gute, allein schon, um eine Kanzlerin Weidel zu verhindern. Dazu müssen Herr Merz sowie die gesamte CDU aber heute damit anfangen, Politik für die Mehrheit der Menschen in Deutschland zu machen. Ich bin da skeptisch.

“Wir haben keine Zeit für Neuverhandlungen”

Ich werde dem Koalitionsvertrag zustimmen – nicht, weil ich mit jedem Punkt einverstanden bin, sondern weil es einfach keine Alternative gibt. Einerseits ist es unwahrscheinlich, dass die CDU nach einem gescheiterten SPD-Mitgliedervotum wieder zurück an den Verhandlungstisch kommen würde, andererseits haben wir einfach nicht die Zeit für Neuverhandlungen. Europa muss Donald Trumps Angriffen stark gegenübertreten und dafür braucht es einen deutschen Kanzler, hinter dem eine Mehrheit im Parlament steht. Jetzt gegen eine stabile Regierung zu stimmen, halte ich für verantwortungslos.

Die Union war in der Vergangenheit ein zuverlässiger Koalitionspartner und wird es auch wieder sein. Natürlich würde ich einen anderen Kanzler bevorzugen, aber ich kann mit Merz leben.

“Eine Unterstützung für Merz kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren”

Ich werde mich enthalten, weil Merz ein unerfahrener und unfähiger Politiker ist, der sein Temperament nicht im Griff hat und Ideen aus den 90ern anhängt. Die Unterstützung dieser Person kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Zudem wird die SPD nach dieser Koalition wahrscheinlich noch einmal halbiert.

Einige Aspekte im Koalitionsvertrag finde ich gut, wie die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit oder die Sanierung der Infrastruktur. Auch ein Ministerium für Digitalisierung ist gut, wenn es durchsetzungsstark wird und sich nicht im Amtsschimmel verheddert.

Dennoch kann ich Merz und der CDU nicht vertrauen. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass sie der neoliberalen Voodoo-Ökonomie abgeschworen hätten und die Menschen im Blick hätten. Sie leben und denken noch stärker in der Vergangenheit als die alte Tante SPD.

“Die größte Herausforderung unserer Zeit wird weiterhin vernachlässigt”

Ich bin aktuell noch nicht entschieden. Union und SPD sprechen von Richtungswechsel und Kursänderung. In vielen Bereichen nehme ich allerdings eher ein Weiter-so wahr. Es wird an die Vernunft appelliert und dass die Krisen der Zeit keine Optionen lassen. Die Klimakrise als die größte Herausforderung unserer Zeit wird dabei aber weiterhin vernachlässigt.

Nicht nur in der Klimapolitik muss mehr gemacht werden, es fehlt auch an neuen und tragfähigen Konzepten für die Rente und auch für die Gesundheits- und Pflegeversicherung. Mehr Sanktionen im Bereich Bürgergeld halte ich für den falschen Weg. Auch die geplante Migrationspolitik ist falsch: Das Problem liegt doch nicht bei den Menschen, die zu uns kommen, sondern darin, wie wir mit ihnen umgehen. Wir brauchen Zuwanderung.

Für sinnvoll halte ich es, den freiwilligen Wehrdienst auszubauen sowie die Digitalisierung voranzutreiben. Ob es dafür ein eigenes Ministerium braucht, bezweifle ich, aber die Stärkung des Themas ist mehr als überfällig.

Die Angst vor einem weiteren Erstarken der AfD ist mit dieser “Weiter-so-Politik” berechtigt. Die Chance, dem zu begegnen, läge in echten Reformen. Auf Grundlage dessen, was wir im Wahlkampf dieses Jahres erlebt haben, und nach dem, wie sich auch aktuell führende Unionspolitiker zum Umgang mit der AfD äußern, bin ich sehr skeptisch.

“Ich halte die Migrationspolitik für offen rassistisch”

Ich werde wohl einfach gar nicht abstimmen. Ich halte viele Inhalte des Koalitionsvertrages zum Beispiel zu Klima, Energiewende, Verkehrs- und Agrarpolitik, Bürgergeld für rückschrittlich und die vereinbarte Migrationspolitik für offen rassistisch. Es ist in meinen Augen ein Koalitionsvertrag für Boomer, dem ich als moderne linke Frau eigentlich nicht zustimmen kann. Ich wurde vor zwölf Jahren Mitglied der SPD, weil ich annahm, die SPD sei eine moderne, linke Partei für alle. Auch hat mich die berühmte Rede von Otto Wels berührt.

Ich fürchte nun, dass diese Koalition die letzte ohne AfD-Beteiligung sein wird. Und zwar auch, weil die SPD es nicht schafft, dem rechten Gerede der CDU – das in Stil, Ton und Inhalt von den Parolen und dem Kulturkampf der AfD kaum noch zu unterscheiden ist – etwas entgegenzusetzen. Das enttäuscht mich wahnsinnig. Die Vorstellung, dass ausgerechnet Friedrich Merz Kanzler wird, ist immer noch unerträglich. Ich traue ihm jederzeit zu, wieder mit der AfD abzustimmen, wenn das mit der SPD nichts wird. Ich traue mich aber auch nicht, gegen diesen Koalitionsvertrag zu stimmen, da ich befürchte, dass ein Nein der SPD-Basis eine Staatskrise auslösen und die SPD weiter schwächen wird. Die Partei wird aber noch gebraucht, sofern von ihr nach Friedrich Merz noch etwas übrigbleibt.

“Als Frau und Klimawissenschaftlerin kann ich Merz nicht trauen”

Ich bin noch unentschlossen. Ich möchte um jeden Preis verhindern, dass der rechte Flügel um Spahn und Linnemann viel Macht bekommt. Mir ist aber auch klar, dass es – sollte es zu Neuwahlen kommen –, für die SPD nicht besser ausschaut. Ich finde zwar nicht, dass wir im Moment unbedingt eine Regierungsbeteiligung brauchen, aber was ist die Alternative? Schwarz-Blau definitiv nicht.

In der Union werden die Bedürfnisse von Migranten und Frauen grundsätzlich ignoriert. Ich empfinde es als menschenrechtsverletzend, wie die CDU in großen Teilen über Migranten spricht, wie zuletzt bei den gefährdeten Einreisenden aus Afghanistan. Auch das Klima wird von CDU und CSU nicht ernst genug genommen. Wenn noch mal ein Politiker ‘Technologieoffenheit’ sagt und damit synthetische Antriebsstoffe meint, möchte ich ihn schütteln. Als Frau und Klimawissenschaftlerin kann ich Merz und der Union einfach nicht trauen.

“Ich halte Friedrich Merz für gefährlich für die Demokratie in Deutschland”

Der Koalitionsvertrag gibt zu wenige Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit. Wichtige Themen wie Rente oder wirkliche Sozialreformen finden nicht statt und werden noch weiter verschleppt. Beim Klima werden sogar Rückschritte gemacht. Außerdem halte ich Friedrich Merz und weite Teile des Führungskaders der Union, wie Jens Spahn oder Carsten Linnemann, für nicht vertrauenswürdig und mit ihrer Taktiererei aus Machtwillen für gefährlich für die Demokratie in Deutschland. Die Türen zur AfD werden immer mehr geöffnet.

Ich sehe in der möglichen Koalition nur einen Übergang hin zu einer immer größer werdenden Zusammenarbeit mit der AfD durch CDU und CSU. Deshalb habe ich nicht zugestimmt.

“Ich stimme nur zu, weil es keine wirkliche Alternative gibt”

Ich stimme zu, aber mit Bauchschmerzen. Im Koalitionsvertrag findet man zu wenig für den Klimaschutz und zu viel zum Thema Migration. Ich bin selbst Deutsche mit Migrationshintergrund und finde, dass auf Kosten und zum Nachteil von Migranten Politik gemacht wird. Dank der AfD sind fast alle Parteien nach rechts gerückt. Ich stimme nur zu, weil es keine wirkliche Alternative gibt.

Immerhin finde ich gut, dass der Mindestlohn steigen soll und dass Sexualstraftäter härter bestraft werden sollen.

Friedrich Merz ist unerfahren und er kommuniziert eher ungeschickt. Auch seine Aussagen gegenüber Migranten finde ich höchst problematisch. So sollte ein zukünftiger Kanzler nicht sprechen. Nichtsdestotrotz hoffe ich, dass die Koalition im Gegensatz zu der vorherigen hält.

“Zur sozialen Ungerechtigkeit findet sich kaum ein Wort”

Aus meiner Sicht sind die zwei größten Bedrohungen unseres Landes und unserer Gesellschaft die äußere Bedrohung durch Russland und die innere Bedrohung durch soziale Ungerechtigkeit, insbesondere die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen. Für Ersteres gibt es im Koalitionsvertrag gute Ansätze, zu Zweiterem findet sich kaum ein Wort. Da ich aber die soziale Ungerechtigkeit für einen Hauptgrund für die Spaltungen in unserer Gesellschaft halte, tendiere ich dazu, nicht zuzustimmen. Des Weiteren habe ich Schwierigkeiten damit, dass der Familiennachzug ausgesetzt werden soll und das freiwillige Hilfsprogramm für Flüchtende aus Afghanistan eingestellt werden soll. Und auch bei der Rente und der Frage, wie sie für kommende Generationen finanziert werden soll, habe ich erhebliche Bedenken.

Mit allen anderen Punkten, die ich kritisch sehe, kann ich gerade noch so leben – wobei ich eigentlich gar nichts besonders gut finde. Dieser Vertrag hat keine Visionen und ich habe große Befürchtungen, dass die SPD wenig von dem, was sie verhandelt hat, auch erreichen kann.

“Die Koalition ist nicht schön, aber sie ist notwendig”

Ich werde dem Koalitionsvertrag aus Mangel an Alternativen zustimmen. Es ist besser, Sozialdemokraten in der Regierung zu haben, als sie nicht in der Regierung zu haben.

Es freut mich, dass es keine Reaktivierung der Kernenergie in Deutschland und keine komplette Rückkehr zu Hartz IV geben wird. Probleme habe ich mit den Verschärfungen im Bereich Migration und dass große Zukunftsfragen wie die Rente und die Pflege in Arbeitsgruppen ausgelagert werden. Ich sehe da eine große Gefahr der Verschleppung. Auch das fehlende Bekenntnis zum Verbrenner-Aus ab 2035 stört mich.

Merz will Kanzler werden und auch ein paar Jahre bleiben, demzufolge kann er sich gegenüber der SPD keine Vertrauensbrüche leisten. Die Koalition ist zwar nicht schön, aber sie ist notwendig.

Als kontroverse Personalie wird in den Zuschriften immer wieder Friedrich Merz
genannt. Und das auch bei denen, die dem Koalitionsvertrag zustimmen.
So schreibt Martin, ein 24-jähriges SPD-Mitglied aus Baden-Württemberg:
“Ich habe Vertrauen in die Union, doch die gemeinsame Abstimmung mit der
AfD war eine Grenzüberschreitung und der unehrliche Wahlkampf von Merz
zeigt, dass er charakterlich nicht wirklich für dieses Amt geeignet
ist.” Ähnlich unbeliebt ist bei den SPD-Mitgliedern
unter unseren Leserinnen und Lesern Jens Spahn, dessen angestoßene Debatte
um eine Normalisierung im Umgang mit der AfD öfter thematisiert wird.
Es gibt jedoch auch Stimmen, die die gute Zusammenarbeit mit der Union
in vorherigen Koalitionen betonen. Besonders in Anbetracht des Chaos der
Ampelregierung sei das auch schon viel wert, so lautet der Tenor aus
diesem Lager.

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