Geopolitik

SPD-Mitgliedervotum: Friede, Freude und Friktionen | ABC-Z

Matthias Miersch strahlt. 84,6 Prozent der SPD-Mitglieder
haben dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Das ist gerade für die SPD, die
Wert auf Partizipation und die Option für Widerspruch legt, auf den
ersten Blick ein sehr gutes Ergebnis. “Sie sehen einen sehr zufriedenen
Generalsekretär der SPD”, sagt Miersch. Seine Partei bekäme damit “große
Rückendeckung” für ihr Eintreten in die neue Bundesregierung. Dass der Anteil
derjenigen, die diesmal mit abgestimmt haben, mit 56 Prozent deutlich niedriger
liegt als beim Mitgliederentscheid nach der Bundestagswahl 2017, wischt Miersch
mit dem Hinweis beiseite, es hätten diesmal immerhin mehr Mitglieder mitgemacht
als bei der Abstimmung über den Parteivorsitz 2019.

So zufrieden ist dieser Generalsekretär, so folgsam die
Mitglieder an diesem Mittwoch – sechs Tage vor der Kanzlerwahl und dem
offiziellen Start der neuen Bundesregierung. Fast wirkt es so, als hätte die
SPD nicht gerade das schlechteste Wahlergebnis in ihrer Geschichte eingefahren.
Zwar haben die Sozialdemokraten gemessen an ihren 16 Prozent bei der Bundestagswahl in den
Koalitionsverhandlungen tatsächlich extrem gut verhandelt: Sie besetzt
künftig nicht nur sieben Ministerien, mehr als in der Ampelregierung unter
ihrer Führung. Diese Ministerien verwalten auch zusammen mehr als die Hälfte
des Bundeshaushalts und damit mehr als die Ressorts von CDU und CSU gemeinsam.

Hinter der großen Einigkeit, die der Mitgliederentscheid
signalisiert, verbirgt sich allerdings auch jede Menge Zoff, ungelöste
Machtfragen – und die Tatsache, dass die Sozialdemokraten noch keinerlei
Antworten gefunden haben auf ihr quälendes Grundproblem: wie die SPD aus
ihrer Nische wieder herausfinden und es zu einer Partei von früherem Format
zurückfinden soll.

Das Projekt “Generationswechsel”

Dass der Übergang zur nächsten Regierung trotz all dieser
Probleme so geräuschlos ablief, hat vor allem einer zu verantworten: Parteichef
Lars Klingbeil. Er, der den gescheiterten Wahlkampf nach eigenen Aussagen
maßgeblich verantwortet hat, hatte sich unmittelbar nach der Wahl zusätzlich
den Posten des Fraktionschefs gesichert und damit seinen Machtanspruch untermauert.
Um nach dem Mitgliedervotum erneut durchzuziehen: Unmittelbar nach Bekanntgabe
des Ergebnisses verkündet das SPD-Präsidium, Klingbeil solle Vizekanzler und Finanzminister
werden.

Damit sichert sich Klingbeil die Verantwortung für das
Personaltableau der SPD, das die Parteispitze am kommenden Montag verkünden
will. Wie schon den Griff nach dem Parteivorsitz hat Klingbeil auch diesen
neuen Schachzug gut vorbereitet. Schon in seinem ersten Statement am Wahlabend
verkündete Klingbeil, es brauche nun einen “Generationswechsel”. Und machte
damit klar: Er würde diesen Generationswechsel organisieren. Er, und nicht etwa
die Co-Vorsitzende Saskia Esken, die auf der Bühne neben ihm stand und
vermutlich nicht recht wusste, wie ihr geschah.

Bei den nun anstehenden Entscheidungen könnte ausgerechnet Esken
allerdings noch zum Problem für Klingbeil werden. Denn trotz anhaltender Kritik
an ihrer Person sendet die 63-Jährige bislang keine Signale, sich zurückziehen zu wollen – im Gegenteil. Auch bei
zwei Konferenzen zum Mitgliedervotum zeigte sich Esken bestens vorbereitet, und
das auch in der Disziplin, für die sie am meisten kritisiert wird: der
öffentlichen Rede. Zum Auftakt des Mitgliedervotums in Hannover am 15. April war
sie es, die die Verhandlungserfolge der SPD präziser auf den Punkt brachte als
Klingbeil – der seinerseits schwammig von “Weltoffenheit” und “Verantwortung”
sprach. Und auch im hessischen Baunatal, der zweiten Veranstaltung mit der
Parteispitze am vergangenen Wochenende, mischte sich Esken nach ihrer Rede
immer wieder mit Nachdruck und Detailkenntnis in die Diskussion ein.

Auch wenn sie wenig öffentliche Unterstützer hat: Aus Eskens
Umfeld heißt es noch immer, wenn sie wolle, habe sie als Parteivorsitzende
Zugriff auf ein Ministerium. Für Klingbeil ist ihre Personalie inzwischen ein
wirklich großes Problem. Drängt er sie raus, stellt sich vielen die Frage,
warum eigentlich nur sie Verantwortung für das Wahlergebnis übernehmen soll und
nicht er selbst, der sich doch in besseren Zeiten selbst als das Mastermind
hinter dem Wahlkampf inszenierte. Bekommt Esken wiederum einen Ministerposten,
erhält nicht nur Klingbeils Machtanspruch, sondern auch sein Projekt
Generationswechsel den ersten Knacks.

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