Kultur

Ausstellung über Mutterschaft: Madonnen und Milchflaschen | ABC-Z

Vor zehn Jahren sorgte die israelische Soziologin Orna Donath mit der Veröffentlichung ihrer Studie „Regretting Motherhood“ für Furore. Dass es nicht wenige Mütter gibt, die ihre Mutterschaft tief bereuen, löste eine Debatte aus. Erst kürzlich erschienen die autobiografischen Aufzeichnungen der New Yorker Essayistin und Kunsthistorikerin Sarah Hoover „The Motherload: Episodes from the Brink of Motherhood“, in denen sie mit bissigem Humor Depressionen und Gleichgültigkeit nach der Geburt ihres ersten Kindes verarbeitet. Der Mythos der glücklichen Mutter bröckelt.

Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist das Thema Mutterschaft in der Kunstwelt angesagt: Die Kunsthalle Mannheim zeigte 2021/22 die sehr komplexe Ausstellung „Mutter! Ursprung des Lebens“, und vor einem halben Jahr präsentierte die Bonner Galerie Gisela Clement mit „Mother“ eine Gruppenausstellung mit zeitgenössischen Antworten auf die radikalen Erfahrungen des Mutterseins und die widersprüchlichen gesellschaftlichen und politischen Ansprüche an Mütter.

Nun zieht der Düsseldorfer Kunstpalast nach, der bei populären Themen gern dabei ist. Und seit der als exemplarisch geltenden Neuordnung seiner Sammlung ist dort das Prinzip erhellender Gegenüberstellungen zum bevorzugten Narrativ erhoben worden: Man stellt neue Bezüge her, indem Genres und Kategorien kühn gemixt werden. Kunst tritt in den Dialog mit Kunsthandwerk oder sogar Werbung. Das Konzept folgt dem Reiz überraschender Gemeinsamkeiten, aber es gilt auch: Was nicht passt, wird passend gemacht.

Auch die Ausstellung mit dem unschlagbar eingängigen Titel „Mama – Von Maria bis Merkel“ schlägt große Bögen und arbeitet sich mit Siebenmeilenstiefeln durch gewichtige ­Themenblöcke wie „Die gute Mutter“, „(K)Ein Kind bekommen“, „Familienkonstellationen“ oder „Care-Arbeit“.

Der Mythos der glücklichen Mutter bröckelt

Am Eingang des Parcours steht ein Ausschnitt aus einem Peter-Alexander-Film von 1968, in dem der niederländische Kinderstar Heintje den Schlager „Mama“ kräht, der in Wahrheit ein Welthit mit faschistischer Vergangenheit war. Es folgt ein Raum zum Thema „Die gute Mutter“ mit Marienfiguren vom 14. bis 18. Jahrhundert, die an einer Wand steil übereinander platziert sind. Bis heute dürfte Maria die prominenteste Mutter des westlichen Kulturraums sein und zugleich ein Sinnbild idealtypischer mütterlicher Hingabe. Bei genauerem Hinsehen freilich schauen auch die heiligen Mütter der Vergangenheit teils skeptisch oder sogar distanziert drein.

Im gleichen Kapitel ist ein Porträt der Mutter des Künstlers Aldo Gian­notti zu sehen, die an den Füßen aufgehängt von der Decke baumelt. In den Händen hält sie ein Schild mit drei Buchstaben: „MOM“ liest sich auf dem Kopf stehend„WOW“. Ebenfalls als ideale Mutter gilt in der Ausstellung die kinderlose Angela Merkel, unter anderem zeigt sie das Spiegel-Cover „Mutter Angela“ mit Mutter-Teresa-Schleier im „Wir schaffen das“-Jahr 2015.

Prosaischer das nächste Ausstellungskapitel „Rat oder Regel“, das Handbücher für Mütter aus dem frühen 19. Jahrhundert, die Bestseller für die „deutsche Mutter“ aus der Nazizeit bis hin zu Ratgebern der Gegenwart für „späte Mütter“ aufblättert, aber auch bizarre Werbefotografien aus den 1940er Jahren zeigt.

Kinderlosigkeit und Pillenspender

Von mütterlicher Überforderung erzählt die Fotoarbeit „Brotschneiden“ von Judith Samen, die auf dem Tisch lustlos mit einem Brotmesser hantiert, während sie im anderen Arm ein Baby balanciert. Im Kapitel „(K)Ein Kind bekommen“ trifft eine barocke „Verkündigung“ im dichten Blumenkranz aus dem Rubens-Umfeld auf einen nüchternen Mutterpass der Gegenwart und die Fotoserie „Annonciation“ der finnischen Künstlerin Elina Brotherus, die ihre eigene ungewollte Kinderlosigkeit und verzweifelten Versuche dokumentiert, mithilfe von Reproduktionsmedizin endlich schwanger zu werden.

Für den Schwangerschaftsabbruch dagegen singt 1978 Nina Hagen mit ihrem Hit „Unbeschreiblich weiblich“, zu sehen sind außerdem ein runder Plastikspender für Verhütungspillen – damals „Antibabypillen“ genannt – von 1964 und ein archaisch-karg anmutender Gebärstuhl aus dem 18. Jahrhundert.

Subtiler ist das ambivalente Kapitel „Nähe“ ausgestaltet; präsentiert werden unter anderem das vital gezeichnete Blatt „Familie“ von Käthe Kollwitz, aber auch das auf den ersten Blick Hingebung darstellende Mutter-Kind-Bild in der Natur von Gabriel Cornelius von Max, das unter dem Titel „Die Kindesmörderin“ ein Thema aufgreift, das so alt ist wie die Mutterschaft und deren Schattenseiten.

Die Düsseldorfer Schau geht bewusst in die Breite statt in die Tiefe, ihre inhaltlichen Zumutungen bleiben familientauglich, und auch der Servicegedanke wird nicht vergessen, denn im Beiprogramm werden Yoga­kurse und eine Hebammensprechstunde angeboten. Den Audioguide las Marie-Luise Marjan ein, die jahrzehntelang als die „Mutter Beimer“ der „Lindenstraße“ in das kollektive TV-Gedächtnis einging.

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