Ein Meilenstein für die Wasserstoffpipeline | ABC-Z

Das Gasnetz des Leipziger Fernleitungsbetreibers Ontras ist 7700 Kilometer lang. Bundesweit steht das Tochterunternehmen der Leipziger Verbundnetz Gas Aktiengesellschaft ( VNG ), die vom Stuttgarter Energiekonzern EnBW kontrolliert wird, damit auf Platz zwei. Über das eigene Netzgebiet hinaus zieht der größte Fernleitungsbetreiber in Ostdeutschland derzeit vor allem mit dem rund 25 Kilometer langen Leitungsabschnitt vom Energiepark Bad Lauchstädt zum Chemiepark Leuna Aufmerksamkeit auf sich. Denn vor wenigen Tagen hat Ontras hier das erste Teilstück des geplanten Wasserstoffkernnetzes in Ostdeutschland in Betrieb genommen.
„Es ist die erste Leitung, die betriebsbereit und mit behördlicher Genehmigung auch für den Betrieb zugelassen ist“, sagt Gunar Schmidt, der in der Geschäftsführung von Ontras für Betrieb und Sicherheit des Netzes verantwortlich ist. Was aber noch viel wichtiger ist: Die Leitung soll deutschlandweit schon bald die erste sein, in der grüner Wasserstoff vom Erzeuger über einen Abschnitt des Wasserstoffkernnetzes bis zum Endkunden strömt.
„Wir haben vor Ort bald die komplette Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff“, sagt Cornelia Müller-Pagel, die bei der VNG die Abteilung Grüne Gase und das Projekt Energiepark Bad Lauchstädt leitet. In dem Reallabor der Energiewende 20 Kilometer südlich von Halle will VNG im Konsortium mit Partnern wie dem Energiekonzern Uniper , der Windkraftplanungsgesellschaft Terrawatt und der Tochtergesellschaft Ontras die Wertschöpfungskette der grünen Wasserstoffwirtschaft abbilden.
„Funktioniert nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich“
Acht Windräder mit einer installierten Leistung von gut 50 Megawatt sind schon in Betrieb. Ein Elektrolyseur des Dresdner Maschinenbauunternehmens Sunfire mit einer installierten Elektrolysekapazität von 30 Megawatt befindet sich im Aufbau und soll noch in diesem Jahr grünen Wasserstoff produzieren. Mit der Inbetriebnahme der Wasserstoffpipeline nach Leuna durch Ontras ist jetzt der Transportweg für das grüne Gas bis zur Raffinerie des Ankerkunden Total Energies fertig, und die erste Projektphase ist abgeschlossen. „Diese funktioniert nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich“, sagt Müller-Pagel.
Später soll im Energiepark Bad Lauchstädt noch ein unterirdischer Speicher für Wasserstoff hinzukommen, der etwa die Kubatur des Kölner Doms haben wird. Noch sei die Investitionsentscheidung für den Speicher nicht gefallen, auch hier stehe das Konsortium aber in den Startlöchern, sagt Müller-Pagel. Insgesamt wollen die Konsortialpartner gut 210 Millionen Euro in den Energiepark Bad Lauchstädt investieren, der vom Bundeswirtschaftsministerium mit 36 Millionen Euro gefördert wird.
„Wenn es hier nicht klappt, dann klappt es nirgendwo“
Wenn der Plan aufgeht, soll das Projekt zum Kern einer grünen Wasserstoffwirtschaft im mitteldeutschen Chemiedreieck werden und Modellcharakter für ganz Deutschland haben. „Wenn es hier nicht klappt, dann klappt es nirgendwo, denn hier haben wir alle nötigen Voraussetzungen“, sagt Müller-Pagel. Zu den wichtigsten Standortfaktoren in der Region zählt neben der Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie auch die bereits vorhandene Leitungsinfrastruktur, zu der die zweitlängste Wasserstoffpipeline in Deutschland zählt.
Die Werksleitung verbindet schon seit den Siebzigerjahren die Chemiestandorte Bitterfeld, Schkopau und Leuna. Heute wird sie vom Industriegasespezialist Linde betrieben. Aus der gleichen Zeit stammt die Erdgasleitung, die Ontras in den vergangenen Monaten für die flüchtigen Wasserstoffmoleküle ertüchtigt und jetzt in Betrieb genommen hat. In der ehemaligen DDR wurde durch die Pipeline sogenanntes Stadtgas transportiert, ein Gasgemisch mit hohem Wasserstoffanteil.
„Der Chemiestandort Leuna ist das Zentrum der Wasserstofferzeugung im mitteldeutschen Chemiedreieck“, sagt Christof Günther, Geschäftsführer von Infraleuna , der den größten Chemiestandort in Ostdeutschland betreibt. Die Erzeugung auf Basis von Erdgas dominiere, die Erzeugung von Wasserstoff in Elektrolyseuren habe aber an Bedeutung gewonnen. Die größte dieser Anlagen im Chemiepark Leuna betreibt Linde mit einer Elektrolysekapazität von 25 Megawatt. Sie produziert etwa 3500 Normkubikmeter Wasserstoff pro Stunde. Zum Vergleich: Die konventionellen Anlagen in Leuna produzieren ungefähr das Zwanzigfache und verbrauchen dabei so viel Erdgas wie die ganze Stadt Leipzig.
Interesse von Industriekunden groß
Aktuell laufen in Leuna Gespräche mit einem Investor für einen Elektrolyseur mit einer Kapazität von 100 Megawatt, der eine Forschungsanlage des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Chemiepark mit Wasserstoff versorgen würde, sagt Günther. Die Inbetriebnahme des Elektrolyseurs in Bad Lauchstädt werde die Erzeugungsleistung für Wasserstoff am Chemiestandort um etwa drei Prozent erhöhen.
Das Interesse von potentiellen Industriekunden an grünem Wasserstoff sei nicht nur im Chemiepark groß, sagt Sebastian Pflüger von der VNG Handel & Vertrieb, die ebenfalls zum Konsortium im Energiepark Bad Lauchstädt gehört. Die Unsicherheiten rund um das Geschäftsmodell mit grünem Wasserstoff sind für die meisten Interessenten derzeit aber offenbar noch größer. „Ein Großteil unserer Kunden stellt uns die drei gleichen Fragen: Wann kommt der grüne Wasserstoff, zu welchem Preis kommt er und wie weit sind wir vom Kernnetz entfernt?“, sagt Pflüger, der mit der VNG Handel & Vertrieb in Zusammenarbeit mit Uniper den Aufbau des Elektrolyseurs in Bad Lauchstädt verantwortet. Noch gebe es nicht auf alle Fragen zufriedenstellende Antworten, sagt er.
Mit Total Energies konnte VNG trotzdem schon Ende 2023 den damals ersten Liefervertrag seiner Art in Europa für grünen Wasserstoff abschließen. Der französische Energiekonzern will die Kohlendioxidemissionen seiner Raffinerien bis 2030 deutlich reduzieren. Dabei setzt Total auch auf grünen Wasserstoff, etwa für die Entschwefelung von Mineralölprodukten. Die geplante Jahresproduktion in Bad Lauchstädt von zunächst rund 2700 Tonnen grünem Wasserstoff hat sich Total deshalb komplett gesichert.
Vereinbarung mit RWE
Erst vor wenigen Wochen hat der Konzern außerdem eine Vereinbarung mit dem Energiekonzern RWE geschlossen, der von 2030 an jährlich 30.000 Tonnen grünen Wasserstoff vom Standort Lingen mit geplanten 300 Megawatt Elektrolysekapazität nach Leuna transportieren will. Eine Verbindung der beiden Standorte über das Wasserstoffkernnetz muss dafür noch geschaffen werden. Insgesamt hat Total Lieferverträge für bis zu 500.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr für seine Raffinerien ausgeschrieben.
Soll grüner Wasserstoff aus Deutschland in Zukunft auch für Industriekunden außerhalb der Raffineriebranche attraktiv werden, müssen die Kosten runter. Cornelia Müller-Pagel, die Projektleiterin des Energieparks Bad Lauchstädt, hofft dabei auch auf Pragmatismus in Brüssel. „Bitte überreguliert keinen Markt, den es noch gar nicht gibt, und gebt uns Luft zum Atmen, dann werden wir die Energiewende auch wirtschaftlich sinnvoll umsetzen können“, sagt sie in Richtung der EU. Die im Rahmen des EU-Rechtsakts zur Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen definierten Voraussetzungen für die Zertifizierung von erneuerbaren Kraftstoffen nichtbiologischen Ursprungs führten etwa dazu, dass in Bad Lauchstädt von 2030 an rund ein Drittel weniger Volllaststunden für die Produktion von grünem Wasserstoff zur Verfügung stehen werden, sagt Müller-Pagel.
329 Millionen Euro für Infrastrukturprojekte
VNG-Chef Ulf Heitmüller forderte zur Vorstellung der Jahreszahlen des Gasversorgers Anfang April verlässliche Rahmenbedingungen. „Damit wir unsere ambitionierten Ziele hin zu Biogas und Wasserstoff umsetzen können, brauchen wir politische Rahmenbedingungen, die stabil und rechtssicher sind und langfristige Investitionsentscheidungen ermöglichen“, sagte er. Insgesamt will das Unternehmen, das im vergangenen Jahr einen Umsatz von gut 16 Milliarden Euro erzielte und daraus einen operativen Gewinn von 321 Millionen Euro zog, bis 2035 etwa fünf Milliarden Euro investieren. Im vergangenen Jahr flossen nach Unternehmensangaben insgesamt 329 Millionen Euro in Infrastrukturprojekte rund um das Geschäft mit Biogas und Wasserstoff.
Zur Finanzierung setzt VNG auch auf neue Partner. Anfang April ist der Infrastrukturinvestor CVC DIF bei der VNG-Tochtergesellschaft Balance eingestiegen, die zu den führenden Betreibern von Biogasanlagen in Deutschland zählt. Stimmen die zuständigen Kartellbehörden der Transaktion zu, hält die Infrastruktursparte des Finanzinvestors CVC künftig 49 Prozent an Balance. Zu den finanziellen Details des Deals machten die neuen Partner keine Angaben. Es handele sich für VNG um die erste Transaktion mit einem Infrastrukturinvestor, teilte das Unternehmen auf Anfrage mit. „Weitere Transaktionen dieser Art sind aktuell nicht geplant“, sagt eine Unternehmenssprecherin.
Auch der Finanzierungsbedarf für das Wasserstoffkernnetz ist hoch. Deutschlandweit werden die erforderlichen Investitionen für das gut 9000 Kilometer lange Netz auf rund 19 Milliarden Euro beziffert. Die VNG-Tochtergesellschaft Ontras will bis zu 1100 Kilometer einbringen. Für 600 Kilometer hat das Unternehmen schon eine Investitionsentscheidung getroffen, um das mitteldeutsche Chemiedreieck mit den Großräumen Leipzig und Berlin bis hin zur Ostsee zu verbinden. 500 Kilometer davon sollen mit umgewidmeten Erdgasleitungen wie zwischen Bad Lauchstädt und dem Chemiepark Leuna bestritten werden.