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Wie in Dachau an die Befreiung des Konzentrationslagers vor 80 erinnert wird – Dachau | ABC-Z

Als die US-Armee das KZ Dachau am 29. April 1945 befreite, waren die meisten Häftlinge bereits bis auf die Knochen abgemagert. Für Tausende kam die Rettung zu spät, sie starben in den darauffolgenden Wochen an Entkräftung, an Krankheiten und den Folgen der Lagerhaft.  „Dachau – die Bedeutung dieses Namens ist aus der deutschen Geschichte nicht auszulöschen“, sagte der Holocaust-Überlebende und Publizist Eugen Kogon später. „Er steht für alle Konzentrationslager, die Nationalsozialisten in ihrem Herrschaftsbereich errichtet haben.“ Entsprechend groß wird in den kommenden Tagen die öffentliche Aufmerksamkeit sein, national wie international, wenn mit einer Vielzahl von Veranstaltungen an die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau vor 80 Jahren erinnert wird.

Mit größter Wahrscheinlichkeit wird es das letzte große Gedenken an diesem Ort sein, an dem noch einmal Befreier wie Befreite teilnehmen werden und ein letztes Mal persönlich Zeugnis ablegen können. Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, freut sich besonders darüber, dass dieses Jahr bis zu zehn Überlebende und zwei Befreier an der zentralen Gedenkfeier in der Gedenkstätte teilnehmen. „Sie erinnern und mahnen uns gerade in dieser herausfordernden Zeit, die Bedeutung dieses Jahrestages für unsere heutige Gesellschaft zu reflektieren und daraus Schlussfolgerungen für unser heutiges Handeln zu ziehen.“

Wird das, was Zeitgeschichte war, nun zur Geschichte, die man sich nur noch über Bücher, Filme und Ausstellungen aneignen kann? Das scheint nicht den Fall zu sein, denn zu den Feierlichkeiten kommen, wie die Gedenkstättenleiterin hervorhebt, auch viele Nachkommen einstiger Gefangener. „Sie werden sich in dem 1. Internationalen Forum der Nachkommen austauschen, vernetzen und für die Zukunft aufstellen“, so Hammermann. „Das hat auch für die Gedenkstätte eine große Bedeutung.“

Auch die Nachkommen ehemaliger Befreier des Konzentrationslagers zeigten ein großes Interesse an den Veranstaltungen. Die Gedenkstätte werde daher auch „ausreichend Raum für Begegnungen bereitstellen“. Zu Ehren der Befreier von der 45. Division der 7. US-Armee wird am Dienstag, 29. April, um 17 Uhr eine neue Gedenktafel im Durchgang des ehemaligen Jourhauses eingeweiht. Anwesend sein werden James Miller, Generalkonsul des US-Generalkonsulats München und Brigadegeneral Steven P. Carpenter, 7th Army Training Command, sowie Generalmajor Thomas H. Mancino, Adjutant General of Oklahoma.

Im Anschluss findet ab 18 Uhr im Kinosaal der KZ-Gedenkstätte Dachau die szenische Lesung „But it was true – we were free“ statt.  Zitate aus Briefen, Tagebucheinträgen, Interviews, Zeugenaussagen und Zeitungsartikeln von Befreiern, Überlebenden und anderen Zeitzeugen geben Einblick in die dramatischen Zustände rund um den 29. April 1945. Dazu tragen Schülerinnen und Schüler der Bavarian International School aus Haimhausen die Texte vor. Beide Veranstaltungen finden in englischer Sprache statt und werden – darauf weisen die Veranstalter hin – auch nicht übersetzt.

Eine Fotoausstellung soll den Holocaust auch jungen Leuten zugänglich machen

Flankierend zu den Befreiungsfeiern wird die internationale Wanderausstellung „Humans of the Holocaust“ gezeigt, die vor zwei Jahren schon einmal in Dachau zu sehen war. Eröffnet wird sie am Dienstag, 29. April, um 14 Uhr am Beruflichen Schulzentrum Dachau. Mit dabei sind Landrat Stefan Löwl sowie die Zeitzeugen Ernst Grube und Abba Naor. Die Ausstellung des israelischen Fotografen Erez Kaganovitz porträtiert Überlebende der Shoah und ihre Nachfahren in Bildern und persönlichen Texten. Laut Landratsamt schafft die Ausstellung so einen „Zugang zur Geschichte, der insbesondere jungen Menschen neue Perspektiven eröffnet und nachhaltig wirkt“.

Von 12 bis 16 Uhr haben Besucher der KZ-Gedenkstätte am Samstag, 3. Mai, die Möglichkeit, im „Zelt der Begegnung“ auf der Wiese zwischen Besucherparkplatz und KZ-Gedenkstätte zusammenzukommen. Um 15.15 Uhr folgt das Gedenken des Comité International de Dachau mit einer Kranzniederlegung am Internationalen Mahnmal. Geschaffen wurde es nach einem Entwurf des von den Nazis verfolgten jüdischen Bildhauers Nando Glid. Die aus der historischen Verantwortung erwachsene Verpflichtung an die Nachgeborenen sind in eiserne Lettern gegossen: Es ist das Versprechen „Nie wieder“. Bei der Gedenkfeier des bayerischen Landtags zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz hatte Landtagspräsidentin Ilse Aigner im Januar im Dachauer Schloss bitter resümiert: „Seien wir ehrlich: Wir haben das Versprechen ‚Nie wieder!‘ gebrochen.“ Rechtsextremismus und Antisemitismus sind in Deutschland stark wie lange nicht mehr. Dieser Schatten fällt auf die Gedenkfeierlichkeiten.

Um 16.30 Uhr, ebenfalls am Samstag, 3. Mai, lädt die Initiative „Jahrestag der Befreiung“ zur Gedenkstunde an den ehemaligen SS-Schießplatz in Hebertshausen ein. Die Lager-SS hatte hier zwischen 1941 und 1942 mindestens 4000 sowjetische Kriegsgefangene exekutiert, ein Verbrechen, das in der deutschen Öffentlichkeit lange nur wenig Beachtung fand. Inzwischen ist es Teil des gemeinsamen Erinnerns geworden. Neben Ernst Grube, dem Präsidenten der Lagergemeinschaft Dachau, sprechen Franzi Sessler, Urenkelin von Alfred und Lina Haag von der Lagergemeinschaft Dachau und eine Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Rechtsextreme missbrauchen die Geschichte der Befreiung für ihre eigenen Narrative

Dazu gibt es am 3. Mai auch noch Themenrundgänge auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte: Claudia Candidori-Girard beleuchtet von 10.30 Uhr an die letzten 40 Tage rund um die Befreiung des Konzentrationslagers und lässt dabei vor allem Zeitzeugen zu Wort kommen. Kerstin Schwenke, Leiterin der Bildungsabteilung der KZ-Gedenkstätte, und Rundgangsleiter Michael Haas führen um 14 Uhr auf Deutsch und Englisch über das Gelände. Darin geht es auch um die Erschießungen von SS-Männern durch US-Soldaten, die offenbar unter dem Eindruck der grauenhaften Zustände im Lage geschahen. Rechtsextremisten schlachten die vereinzelten widerrechtlichen Tötungen als vermeintliche Massenexekution unter dem Begriff „Dachau-Massaker“ aus. Auch das sind Anfechtungen, denen die deutsche Erinnerungskultur sich mehr und mehr ausgesetzt sieht.

Hochoffiziell wird es am Sonntag, 4. Mai, wenn die zentrale Gedenkfeier stattfindet. Führende Repräsentanten des Staates kommen zu den Feierlichkeiten in die KZ-Gedenkstätte Dachau, darunter die neugewählte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, und Ilse Aigner, stellvertretende Ministerpräsidentin und Präsidentin des Bayerischen Landtags. Vor dem ehemaligen Krematorium spricht um 10.45 Uhr Mario Candotto, ein Überlebender des KZ Dachau, und als Vertreter der Stadt Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann. Am ehemaligen Appellplatz werden Bud Gahs, ein Befreier des KZ Dachau, sowie Jean Lafaurie, Abba Naor und Leslie Rosenthal als Überlebende des Konzentrationslagers anschließend ihre Gedenkbotschaften übermitteln. Die Gedenkfeier wird ab 11.45 Uhr auch live im Bayerischen Fernsehen übertragen.

Mehr als 40 000 Polen waren im KZ inhaftiert

Die Erzdiözese München und Freising erinnert schon eine Woche früher an die Befreiung des Konzentrationslagers, nämlich bereits an diesem Samstag, 26. April; sie tut die gemeinsam mit der Deutschen Bischofskonferenz und der Polnischen Bischofskonferenz. Erwartet werden fast 1400 Pilger aus Polen und den polnischsprachigen Gemeinden in Deutschland, darunter auch Bischöfe und andere Geistliche. Um 14 Uhr findet in der Todesangst-Christi-Kapelle auf dem Gelände der Gedenkstätte eine Eucharistiefeier statt, geleitet vom stellvertretenden Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenz, Józef Kupny. Ein ursprünglich am Nachmittag geplantes Friedensgebet wird in gekürzter Form in den Gottesdienst integriert. Im Anschluss sprechen der Vorsitzende der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten und Erzbischof des US-amerikanischen Militärordinariats, Timothy P. Broglio, sowie die Leiterin der KZ-Gedenkstätte, Gabriele Hammermann.

Dass die Polen so zahlreich Anteil an den Feierlichkeiten nehmen, hat einen Grund. Mit mehr als 40 000 Inhaftierten, davon allein 1800 Priester, bildeten sie die größte nationale Gruppe von Gefangenen im Konzentrationslager Dachau. Etwa ein Fünftel von ihnen starb, darunter Hunderte Geistliche. Dass die Zahl der Opfer unter den Geistlichen so hoch war, lag auch daran, dass die Nationalsozialisten gegen den polnischen Klerus mit besonderer Brutalität vorgingen; sie galten ihnen als Vertreter der Führungsschicht ihres Landes. Ab Ende 1940 wurden auch internierte Geistliche aus anderen Lagern nach Dachau deportiert.

Um allen Interessierten eine Teilnahme zu ermöglichen, werden die zentralen Gedenkfeiern auf einer Leinwand auf dem ehemaligen Appellplatz übertragen. Wegen der Sicherheitskontrollen an den Eingängen sollte man genügend Zeit einplanen. Praktische Informationen und weitere Details zu den Befreiungsfeierlichkeiten gibt es auf der Website www.kz-gedenkstaette-dachau.de. Für den allgemeinen Besucherverkehr bleibt die KZ-Gedenkstätte Dachau an diesem Tag geschlossen.

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