Politik

NRW richtet Sterbestation für todkranke Häftlinge ein | ABC-Z

In Nordrhein-Westfalen soll es bald eine Sterbestation für todkranke Strafgefangene geben. Das Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg bei Dortmund richtet einen eigenständigen Fachbereich „Hospiz-/Palliativmedizin“ mit drei Betten für Gefangene ein, die in den letzten Tagen ihres Lebens rund um die Uhr adäquate medizinische, soziale und psychologische Ver­sorgung brauchen. Als Folge der all­gemeinen Alterung nehme auch unter den aktuell rund 14.000 Inhaftierten in NRW der Anteil älterer Gefangener und Sicherungsverwahrter zu, heißt es in einer Antwort des Landesjustiz­ministeriums auf eine Anfrage der SPD mit dem Titel „Altern und Sterben im Justizvollzug“. Daher sei zu erwarten, dass mehr Menschen im Gefängnis stürben als bisher. In den vergangenen zehn Jahren starben allein in Nordrhein-Westfalen 98 Strafgefangene oder Sicherungsverwahrte.

Gab es im bevölkerungsreichsten Bundesland laut Langzeitstatistik des Justiz­ministeriums noch im Jahr 2000 gar keine Inhaftierten, die älter als 60 Jahre waren, waren es zehn Jahre später 493 und 2020 dann 544. Aktuell sind in Nordrhein-Westfalen 640 Häftlinge älter als 60, 160 sogar 70 Jahre und älter. Wie in allen Bundesländern werden auch in Nordrhein-Westfalen Häftlinge grundsätzlich altersgemischt untergebracht.

190 Plätze für lebensältere Gefangene

Weil es aber immer wieder ältere Gefangene gibt, die von jüngeren an den Rand gedrängt oder gar bedroht werden, hat NRW schon 2007 in Detmold eine erste Altenabteilung mit 22 Haftplätzen eingerichtet. Mittlerweile gibt es in den Justizvollzugsanstalten Attendorn, Bielefeld-Senne, Castrop-Rauxel, Moers-Kapellen, Rheinbach und eben Detmold Abteilungen mit rund 190 Plätzen für sogenannte lebensältere Gefangene.

Gebrechen führen nicht automatisch zu Haftunfähigkeit, es kommt vielmehr auf eine Zusammenschau von körperlicher, gesundheitlicher und psychischer Verfassung an. Und natürlich darauf, dass eine Anstalt richtig ausgestattet ist – etwa mit verstellbaren Betten, Haltegriffen und altengerechten Bädern. In der JVA Hövelhof bei Paderborn und im Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg gibt es seit einigen Jahren deshalb spezielle Pflegeabteilungen.

Einer der bisher prominentesten hochbetagten Häftlinge in Nordrhein-Westfalen war Heinrich Boere. Der SS-Mann hatte mit Komplizen 1944 bei Vergeltungsaktionen im von Deutschland besetzten Holland Zivilisten ermordet. Erst im Jahr 2010 war er zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Im Dezember 2013 starb er mit 92 Jahren auf der Pflegestation in Fröndenberg.

Ein „würdevolles Sterben“ außerhalb des Justizvollzugs

Aus Paragraph 455 Strafprozess­ordnung ergibt sich, dass bei Gefangenen, deren Tod kurz bevorsteht, die Strafvollstreckung aufzuheben ist. Darauf werde „regelmäßig nachhaltig hingewirkt, um ein würdevolles Sterben außerhalb des Justizvollzugs zu erreichen“, heißt es vom Ministerium in Düsseldorf. „Dabei soll es den Gefangenen – sofern diese das selbst wünschen – ermöglicht werden, die letzten Wochen des Lebens in Freiheit, bestenfalls im Kreise ihrer Familie und Angehörigen, erleben zu dürfen.“ Hätten Gefangene keinen „sozialen Empfangs­raum“, dann bemühe sich der Justiz­voll­zug, für sie einen Platz in einem Pflege­heim oder einem Hospiz zu finden. Oft ist das nicht leicht, weil sich Pflegeheime schwertun, etwa hinfällige ehemalige Sexualstraftäter oder Mörder aufzunehmen.

Hinzu kommt: Manche Häftlinge wollen gar nicht mehr entlassen werden – so wie vor einigen Jahren ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter Mörder mit Krebs im Endstadium. Er durfte wie gewünscht bis zum Schluss im Pflegeknast in Hövelhof hinter Gittern bleiben. Der Tod des Mannes leitete im nordrhein-westfälischen Justizvollzug einen Paradigmenwechsel ein. Bis dahin wurden sterbende Inhaftierte als „Notfall“ in Krankenhäuser entlassen, und sei es nur ein paar Stunden vor dem Tod. Hauptsache, man hielt sich strikt an Paragraph 455.

Nicht alle Pflegehäftlinge sind älter als 60 Jahre

Häftlinge, die in die Altenabteilung einer JVA aufgenommen werden wollen, müssen älter als 60 sein. Doch auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel. Nicht nur, weil die „Erfahrung zeigt, dass aufgrund der Inhaftierung Altersprozesse schneller voranschreiten“, wie es im für den Justizvollzug maßgeblichen Handbuch „Alter und Devianz“ heißt. Erst 38 Jahre alt war ein im Rollstuhl sitzender, als gefährlich und dissozial geltender Pflegehäftling, der vor einigen Jahren nach Fröndenberg übernommen wurde, weil er in Hövelhof das Personal und Mitgefangene mit Morddrohungen überzogen hatte.

Derweil wurde damals in Hövelhof ein erst 29 Jahre alter Betrüger aufgenommen, der an Chorea Huntington litt. Die im Volksmund Veitstanz genannte unheilbare unerbittlich fortschreitende und letztlich tödliche Hirnerkrankung führt dazu, dass die Betroffenen ihre Muskeln nicht steuern können und sich unkoordiniert bewegen. Hätte es die Pflegeabteilung nicht gegeben, wäre der junge Betrüger von seiner gerechten Strafe verschont geblieben.

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