Olga Meerson im Schloßmuseum Murnau | ABC-Z

Man kommt diesem Blick nicht aus. Das ganze Bild zieht einen magisch an, und es ist nur zu verständlich, dass Olga Meerson dieses Porträt immer um sich hatte. Vielleicht wollte die Malerin ja genau so sein? Selbstbewusst, mondän und doch auch nachdenklich, den himbeerrot geschminkten Mund zu einem kaum wahrnehmbaren Lächeln geformt. Da ist alles drin, ein Anflug von Koketterie sogar und Abenteuerlust, aber vor allem der Wunsch, beachtet zu werden. Wieder gesehen zu werden, muss man sagen – fast 100 Jahre nach ihrem Tod hat man sich im Schloßmuseum Murnau dafür mächtig ins Zeug gelegt.
© NIKOLAUS STEGLICH
von NIKOLAUS STEGLICH
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Und nun ist man verblüfft von einer fabelhaften Künstlerin aus dem Umkreis des “Blauen Reiters”, verblüfft von einer Frau, die ihren Kollegen manchmal voraus war, die den strengen Wassily Kandinsky und selbst den professoralen Henri Matisse beeindrucken konnte und die ein untrügliches Gespür für Farben besaß. Egal, ob sie nun in Südfrankreich Fischerboote auf die Leinwand brachte oder ein Stillleben mit frech vor sich hin schimmelnden Zitronen – das Gros übrigens aus England, wo Meersons überschaubare Hinterlassenschaft von den Nachkommen aufbewahrt wird.
Der Freitod 1930 mit 47 Jahren mochte dazu beitragen, dass sich niemand so recht mit dem Werk der russischen Urgroßmutter beschäftigen wollte. Sowieso hatte der Kampf der Nationalsozialisten gegen die Moderne reihenweise Künstler aus dem kollektiven Gedächtnis fallen lassen. Erst recht eine Jüdin aus Moskau. Dabei hatte alles so hoffnungsvoll begonnen.

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Mit zehn studiert sie an der Akademie, später bei Kandinsky
Olga wurde 1882 in eine kulturaffine Kaufmannsfamilie geboren, die ihr Talent förderte – ein früh gezeichnetes Selbstporträt spricht Bände. Ohne Vertun kam die Jüngste auf die Kunstakademie, freilich mit gefälschten Dokumenten, denn bei der Aufnahme dürfte sie erst zehn Jahre alt gewesen sein. Deshalb kursieren verschiedene Geburtsdaten.
Sicher ist allerdings, dass Olga Meerson für ihre weitere Ausbildung nach München gezogen ist und neben der Damen-Akademie auch Kandinskys Phalanx-Schule besucht hat, zeitgleich mit Gabriele Münter. Man zeichnet sich gegenseitig ins Skizzenbuch, macht Malausflüge nach Kochel und Kallmünz.
Olga taucht ein in die Schwabinger Bohème und die russisch-ukrainischen Künstlerzirkel um Marianne Werefkin und Elisabeth Epstein. Auch die Pringsheims laden die junge Malerin in ihre Villa ein, man begegnet sich freundschaftlich, und von Katia entsteht 1905, im Jahr der Hochzeit mit Thomas Mann, ein hinreißendes kleines Miniaturporträt auf Elfenbein.

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Meerson interessiert sich für die aktuellen Strömungen, knüpft Kontakte und will weiterkommen. Deshalb zieht es sie wie Epstein nach Paris, und wieder sind es die Experimentierfreudigen und die Umstürzler, die sie ansteuert. Im Herbstsalon 1905 etwa faszinieren sie die heftig umstrittenen Fauvisten, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihr Anführer Henri Matisse Mademoiselle Meerson als Schülerin akzeptiert.
Das neue Umfeld tut gut, und der wilde Umgang mit der Palette, auch das nervöse Stricheln wirken sich auf ihre Malerei aus. Dabei entwickelt sie ihren durchaus eigenen Stil. Das lässt sich beim Blick durch ein Fenster im okzitanischen Collioure schön vergleichen: Matisse lässt 1905 kühle Rosa- und Grüntöne aufeinandertreffen, das Efeu am Fensterrahmen und die Boote hören nicht auf zu flirren, während Meerson fünf Jahre später zu einer beruhigteren, aber farblich nicht weniger ambitionierten Version findet. Sie kombiniert das Zinnoberrot der Brüstung sowie das Blau von Himmel und Meer mit dem Türkis der Innenwände, setzt braune und gelbe Akzente, schließt unten mit einem karminroten Teppich ab – und schafft dennoch ein Bild der Ruhe und der Konzentration.
Meerson ist längst schon die Lieblingsschülerin, hat Anschluss an die Familie, die in den zunehmenden seelischen Krisen Halt gibt, und malt den Maître auf seinem Ateliersofa liegend. Das gewährt man nur Vertrauten, und diese Nähe wird schließlich zum Problem. Denn Olga bringt Matisse mehr als Bewunderung entgegen, und es kommt Anfang 1912 zum Abbruch sämtlicher Beziehungen.

© Ernst Jank
von Ernst Jank
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In der Biografie der Olga Meerson gibt es einige solcher abrupten Schnitte, Zäsuren, die mit stationären Behandlungen verbunden sind und ihr die Präsenz in öffentlichen Ausstellungen versagen. Dennoch rafft sich diese Frau immer wieder auf – und schlittert oft genug gleich ins nächste Dilemma.
Dass sich Heinz Pringsheim Hals über Kopf in Olga verliebt und die beiden dann im November auch noch heimlich in Moskau heiraten, führt zum Zerwürfnis mit Schwiegermutter Hedwig Pringsheim, die der Künstlerin früher so zugetan war. Das enterbte Paar ist auf sich gestellt, dann wird die kleine Tamara geboren, und mit der Kriegserklärung an Frankreich erhält Heinz Pringsheim auch schon den Einberufungsbefehl.
Die Depressionen holen Olga immer wieder ein
Wäre dieses Leben mit all den psychischen Zusammenbrüchen nicht so besonders tragisch, könnte man einen moussierenden Gesellschaftsroman daraus stricken. Denn da kommt Beträchtliches zusammen, und doch findet Meerson regelmäßig zur Kunst zurück. Sie porträtiert Kinder, Bekannte, Klaus Mann – wie so vieles ist auch dieses Bild verschollen. Nach dem Krieg kann sie sogar beim renommierten Galeristen Alfred Flechtheim ausstellen, und sie versucht, an die Stillleben wieder anzuknüpfen.
Doch die Depressionen sind nicht überwunden. Im Gegenteil. Als ihr Mann die Scheidung ankündigt, ist auch die Kunst keine Anker mehr und Olga Meerson stürzt sich am 29. Juni 1930 aus dem Fenster des Berliner Luxushotels Kaiserhof.
Auf den Fotografien aus dem Nachlass meint man, eine tieftraurige Frau zu erkennen. Vielleicht hat Olga Meerson sich an den Farben hochgehangelt, am Drang zu malen und am eingangs erwähnten Porträt mit den herrlichen roten Lippen. Dieser wohl inszenierte Auftritt mag ein bisschen geschönt sein, doch wenn Museumschefin Sandra Uhrig darin ein Selbstbildnis sieht, dann klingt das plausibel. Zumal sich nach diesem fulminanten Auftakt in Murnau noch einige Türen in der Causa Meerson auftun werden.
“Die Malerin Olga Meerson” bis 9. November im Schloßmuseum Murnau, Di bis So 10 bis 17, ab Mai Sa/So bis 18 Uhr, Ostermontag geöffnet, Katalog (Langemann & Langemann, 140 Seiten, 25 Euro).
Die lesenswerte Biografie “Olga Meerson-Pringsheim” des Historikers Robert Jütte (3 22 Seiten, 22 Euro) ist im Neofelis Verlag erschienen.