Film über Hitler-Gegner und „Apfelpfarrer“ Korbinian Aigner kommt ins Kino – Dachau | ABC-Z

Es ist der 7. Mai 1940. Vor einem nationalsozialistischen Sondergericht in München wird an diesem Tag Korbinian Aigner verurteilt. Der Raum ist dunkel, hinter dem Richter hängt eine übergroße Hakenkreuzfahne. Aigner, der katholische Landpfarrer der Freisinger Gemeinde Hohenbercha und ein leidenschaftlicher Hobby-Pomologe, hält seinen Rosenkranz fest umschlossen. Eine junge Aushilfslehrerin hatte ihn angezeigt, nachdem er am 9. November 1939 im Religionsunterricht offen über das gescheiterte Attentat vom Vortag auf Adolf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller nachgedacht hatte. „Ich weiß nicht, ob das Sünde ist, was der Attentäter im Sinn hatte. Dann wäre halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden“, soll Aigner gesagt haben. Die Konsequenz: sieben Monate Haft wegen „Verstoßes gegen das Heimtückegesetz“ in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Anschließend wird Aigner zunächst in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht; ab 1941 ist er unter der Häftlingsnummer 27788 im Konzentrationslager Dachau interniert.
Mit dieser schicksalhaften Szene beginnt der Film „Ein stummer Hund will ich nicht sein“, der das Leben des bayerischen „Apfelpfarrers“ nachzeichnet, wie Korbinian Aigner im Volksmund gerne genannt wird. Der Freisinger schaffte es, während seiner vierjährigen Haftzeit zwischen den Häftlingsbaracken des Konzentrationslagers heimlich vier neue Apfelarten heranzuzüchten und ihre Setzlinge aus dem Lager zu schmuggeln. Seine Sorte „KZ-3“, bekannt als „Korbiniansapfel“, hat bis heute überlebt – sie wird als Erinnerungsbaum weltweit gepflanzt. „Es grenzt an ein Wunder, dass ihm das gelungen ist“, sagt Walter Steffen, Regisseur und Produzent des Filmes. „Diese symbolhafte Kraft des Apfelbaums und seine Hinwendung zur Schöpfung, die er damit vollzogen hat, das hat eine große Kraft und Stärke. Das ist die Hauptgeschichte unseres Filmes.“
Er weigerte sich, Kinder auf den Namen „Adolf“ zu taufen
Bis heute gilt Aigner als einer der versiertesten Pomologen der neueren Zeit. Geboren wurde er am 11. Mai 1885 in Hohenpolding bei Freising als ältester Sohn von zehn Geschwistern. Für seinen Traum, Pfarrer zu werden, verzichtete Aigner auf das Hoferbe. Im Anschluss an ein Theologiestudium wurde er im Sommer 1911 im Freisinger Dom zum Priester geweiht, wobei ihm bereits im Abschlusszeugnis des Priesterseminars bescheinigt wurde, er sei wohl „mehr Pomologe als Theologe“. Schon seit den frühen 1920er-Jahren positionierte sich Aigner als ein entschiedener Gegner des NS-Regimes: Er weigerte sich, Kinder auf den Namen „Adolf“ zu taufen, zu einem von Hitler angeordneten Friedensappells die Glocken zu läuten oder die Hakenkreuzfahne als deutsche Nationalflagge anzuerkennen. 1937 wurde der Pfarrer von seiner ersten Stelle in Sittenbach im Landkreis Dachau in die Freisinger Gemeinde Hohenbercha strafversetzt.

An der Schule von Hohenbercha wurde Aigner nach seiner regimekritischen Äußerung zum Hitler-Attentat von 1939 von seiner Kollegin Charlotte Gerlach, einer linientreuen Nationalsozialistin, am 12. November denunziert und zehn Tage später festgenommen. Im KZ Dachau musste der Priester Zwangsarbeit im sogenannten „Kräutergarten“ leisten. Zeitweise arbeiteten bis zu 1500 Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen in dem Betrieb der Deutschen Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung (DVA), wo auf Befehl des SS-Reichsführers Heinrich Himmler unter anderem Kräuter zu Versuchszwecken angebaut und Formen biologisch-dynamischer Landwirtschaft erprobt wurden. Über 800 von ihnen starben im Zeitraum zwischen 1938 und 1945. Unklar ist, wie Aigner an seine Apfelsamen kam und wie er sie unentdeckt anpflanzen konnte. Als fruchtbarer Grund diente ihm vermutlich ein kleiner Grünstreifen zwischen zwei Baracken.
Am 26. April 1945 wurde Korbinian Aigner mit Tausenden weiteren Häftlingen auf einen „Todesmarsch“ in Richtung Südtirol getrieben. Nach zwei Tagen gelang ihm in Aufkirchen am Starnberger See die Flucht; Nonnen versteckten ihn im örtlichen Kloster, bis die Amerikaner das KZ Dachau am 29. April 1945 befreiten. Nach dem Krieg kehrte Aigner in seine Pfarrei Hohenbercha zurück; er widmete sich seinem Obstgarten und malte über 900 naturgetreue Aquarelle von Äpfeln und Birnen, die heute in Kunstausstellungen gezeigt werden, etwa 2012 auf der Documenta in Kassel. Am 5. Oktober 1966 starb er im Alter von 81 Jahren in Freising. Auf eigenen Wunsch wurde sein Sarg mit seiner alten KZ-Sträflingsjacke bedeckt – er trug sie bis zuletzt in seinem Garten.


Insgesamt drei Jahre hätten die Recherche-, Dreh- und Produktionsarbeiten für den rund einhundertminütigen Streifen gedauert, sagt Produzent Walter Steffen. Die Idee dazu kam dem Gautinger Historiker und Schriftsteller Gerd Holzheimer, der sich zudem am Drehbuch beteiligte. Holzheimer und Steffen haben sich in früheren Werken bereits ausführlich mit Themen rund um die NS-Zeit und den Faschismus beschäftigt. Die Lebensgeschichte des „Apfelpfarrers“, besonders auch aus Anlass zum 80. Jahrestag des Weltkriegsendes, hätten sie nicht ruhen lassen können, sagen sie. „Eigentlich wollten wir uns mit dem Faschismus zumindest künstlerisch nicht mehr auseinandersetzen, weil es einen so runterzieht“, so Holzheimer. Die Filmarbeiten seien dementsprechend nicht immer einfach gewesen. „Aber gar nichts zu machen, damit wär es uns auch nicht gut gegangen.“
Laut Steffen ist das Werk als eine „Dokufiktion“ zu betrachten – eine Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm, die eine emotionale Nähe zur Geschichte ermöglichen soll, ohne dass auf historische Genauigkeit verzichtet wird. „Ein stummer Hund will ich nicht sein“ verbindet so klassische Dokumentaraufnahmen wie Holzheimers Interviews mit Zeitzeugen, etwa mit Aigners ehemaligem Ministranten Helmut Hörger, mit theaterähnlichen Spielszenen, in denen der bayerische Schauspieler Karl Knaup in der Rolle des Pfarrers durch dessen Leben führt. Die von Knaup als Ich-Erzähler vorgetragenen autobiografischen Monologe sind im Ausdruck fiktiv, basieren jedoch auf Aufzeichnungen und Überlieferungen. Viele Szenen im Konzentrationslager sind im Stil einer Graphic Novel animiert – auch, weil der Film in Abstimmung mit dem Kultusministerium später einmal an bayerischen Schulen als Unterrichtsmaterial verwendet werden soll. Ergänzt werden die Bilder noch durch historische Film- und Fotodokumente aus diversen Archiven.
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Eingewoben in den Film, an thematisch passenden Stellen, sind Exkurse zu Menschen, die als Holocaust-Überlebende sowie als deren Nachkommen weitere „Bäume des Lebens“ pflanzen, so Steffen. Dabei besucht Holzheimer etwa gemeinsam mit deutschen und israelischen Jugendlichen für ein Austauschprojekt den jüdischen Friedhof in Gauting. „Mein Urgroßvater konnte vor dem Holocaust nach Israel flüchten, und deswegen gibt es mich“, sagt die Schülerin Arielle Nir. Ihre Familie in Israel zünde noch immer eine Gedächtniskerze für jene Vorfahren an, die im Holocaust umkamen. Der bekannte österreichische Roma-Musiker Harri Stojka erzählt von seinem Großvater, der zeitgleich mit Korbinian im „Kräutergarten“ schuftete, die Tortur aber nicht überlebte. Einen besonderen Eindruck hinterlässt der erst jüngst im Alter von hundert Jahren verstorbene Holocaust-Überlebenden Nick Hope, der als 17-Jähriger von den Nationalsozialisten als Zwangsarbeiter aus der Ukraine verschleppt wurde und 1943 für zehn Monate im Konzentrationslager Dachau interniert war. Nach seiner Haft reichte er einem seiner Peiniger die Hand.
Der Film, mit seinen Haupt- und Nebenfiguren, solle aufzeigen, „wie wichtig es ist zu sprechen, wenn es sein muss auch laut, und zu handeln, wenn es unser Mitgefühl fordert, wenn sich Ungerechtigkeit, Unmenschlichkeit, Hass und Ausgrenzung ihren Weg bahnen“, so Steffen. Der Film ist nach seiner Aussage jedoch „bundesweit der einzige“, der aus Anlass des 80. Jahrestages der Befreiung bundesweit in den Kinos gezeigt wird.
Obwohl mit dem Antisemitismusbeauftragten des Bundes, Felix Klein, als Schirmherrn sowie mit Franz von Bayern, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch und Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, namhafte Unterstützer gelistet sind, habe der Film bei Rundfunk- und Förderanstalten kaum Zuspruch erfahren, so Steffen. „Alle Mitwirkenden haben zum Großteil auf ihre Gagen verzichtet, damit dieser Film überhaupt entstehen konnte.“
Es erfüllt ihn „ein bisschen mit Sorge“, dass Projekte, die sich mit Themen „von höchster Relevanz“ befassten, heutzutage noch immer „ganz gerne zur Seite geschoben“ würden, sagt Steffen. „Ich glaube, das können wir uns angesichts der jetzigen politischen Situation in unserem Land nicht leisten.“ Laut der „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung teilten rund zwölf Prozent aller befragten 18- bis 34-Jährigen im Jahr 2023 ein rechtsextremes Weltbild. Gleichzeitig nähmen Taten mit rechtsextremen und antisemitischen Motiven von Jahr zu Jahr zu – allein von 2022 bis 2023 um mehr als 25 Prozent. „Wir müssen den dunklen Teil unserer Geschichte, des dritten Reiches immer wieder erzählen – und wir müssen es immer wieder neu erzählen“, ist Steffen deshalb überzeugt. „Damit wir gerade auch die jungen Menschen erreichen.“ Das sei auch seine persönliche Intention mit diesem Film: „Nicht nur immer wieder aufarbeiten, sondern die Erinnerung nach vorne bringen.“
Ein stummer Hund will ich nicht sein. 100Minuten. Kinostart: Donnerstag, 24. April 2025. Die Kinopremiere am 23. April im Rio Filmpalast München ist öffentlich.