Politik

Mehr Kampfgeist gegen Trump gefordert: Aufstand der Linken erreicht Parteispitze der US-Demokraten | ABC-Z

Mit Trumps Amtsantritt erstarren die US-Demokraten wie vor der Schlange. Aber nicht die Basis, die immer mehr Druck von links aufbaut. Ein junger Co-Vorsitzender der Partei bricht nun eine goldene Regel und kündigt Kampfkandidaturen gegen die alte Garde an.

In Duarte, einer der Vorstädte von Los Angeles, wo der amerikanische Traum von einem Aufstieg in die Mittelschicht von jedem Vorgarten, Auto in der Auffahrt und farbig bemalten Haus lebendig gehalten wird, verhandeln zwei Frauen die Zukunft der US-Demokraten. “Wir müssen einen Konsumboykott starten und so dem Kongress Feuer unter dem Hintern machen”, meint die 81-jährige Doris Anderson, politisch aktiv seit den Zeiten John F. Kennedys. “Sie haben den Kontakt zur Basis verloren”, kritisiert die 43-jährige Lokalpolitikerin Melissa Taylor die Demokraten eindringlich. “Wir werden auseinandergerissen und reden über Eierpreise!”

Die beiden Frauen von der Basis diskutieren über die richtigen Mittel und Wege, aber im Grunde sind sich einig: Viele Demokraten würden reden, aber nichts tun, um US-Präsident Donald Trump, die Republikaner und ihre geplanten Kürzungen der Sozialprogramme aufzuhalten. Aber was kann die Partei wirklich machen gegen das Weiße Haus und einen Kongress, in dem die Republikaner bislang Trumps Bulldozer-Politik unterstützen? “Unsere Zeit läuft ab”, sagt die 43-jährige Taylor mit eindringlich erhobener Stimme: “Sie kürzen alles weg, es werden Menschen sterben.” Die Auswirkungen der Entscheidungen am anderen Ende der USA, die müssten sie hier vor Ort ausbaden. Etwa, wenn Lebensmittelmarken für Einkommensschwache gekürzt werden sollten.

Drei Monate nach Trumps Amtsantritt ist die Basis der Demokraten vor allem eines: wütend. In den Kongressbüros klingeln die Telefone. Auf Bürgersprechstunden stellen die Wähler ihre Vertreter lautstark zur Rede. Sie fordern mehr Widerstand gegen den Kürzungswahn des Sonderbeauftragten Elon Musk, gegen die geplanten Steuersenkungen für Reiche auf dem Rücken der einkommensschwachen Bevölkerung, die Abschiebungen, den Einfluss der Superreichen, die autoritären Tendenzen des Weißen Hauses. Die Emotionen kanalisieren sich derzeit über den progressiven Flügel der Partei und eine linke, außerparlamentarische Opposition.

Sie legen mit ihrer Kritik die Finger in die Wunden und fordern Vertreter mit anderem Kampfgeist. Die erfahrenen Demokraten im Kongress? Zu alt, zu zahm, zu tatenlos. In einer Umfrage sagten Anfang April die Hälfte der Demokraten, sie wollten eine progressivere Politik ihrer Partei, nur 24 Prozent waren zufrieden. Die beliebtesten Politiker unter Demokraten sind unter anderen die progressive Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die häufig nur AOC genannt wird, Ex-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris und Pete Buttigieg. Auch der unabhängige Senator Bernie Sanders ist oben mit dabei. 72 Prozent der Befragten meinten, sie zögen Sanders’ und AOC aggressiveren Stil den moderaten Vertretern ihrer Partei vor, um sich gegen Trumps Politik zu wehren.

Druck von links

Ocasio-Cortez und Sanders sind in den vergangenen Wochen auf ihren “Fighting Oligarchy”-Rallys durch die USA getourt und haben die fast grenzenlose Macht des Geldes in der Politik angeprangert. Nie in seiner jahrzehntelangen politischen Karriere hatte der unabhängige Senator so viele Menschen angezogen, auch nicht während seiner knappen Vorwahlkämpfe um die Präsidentschaftskandidaturen 2016 und 2020. In Kalifornien kamen am Wochenende vor Ostern 36.000 nach Los Angeles, um den 83-Jährigen zu sehen. Mit dabei waren mehrere linksorientierte Organisationen, die Stände aufbauten und um neue Mitglieder warben.

Darunter sind auch die mitgliederfinanzierten Democratic Socialists of America (DSA), die Sanders und Ocasio-Cortez unterstützen. “Das Ziel der Regierung, Elon Musk und seiner Milliardärsfreunde ist, noch mehr Geld zu machen, während die Lebenshaltungskosten von Millionen US-Amerikanern nach oben gehen”, sagt der Co-Vorsitzende Ashik Siddique zu ntv.de: “Die Demokraten haben keine Antwort darauf.” Deshalb arbeite DSA seit 2017 an einer eigenen Basis und unterstütze auch eigene Kandidaten für Mandate auf unteren Ebenen, erklärt Siddique. Seit der Präsidentschaftswahl hätten sie etwa 10 Prozent an Mitgliedern hinzugewonnen und kommen nun auf über 92.000. “Je stärker die Basis ist, desto mehr können für den Kongress antreten und am Ende für die Präsidentschaft”, macht Siddique das Ziel deutlich.

Der DSA-Covorsitzende Ashik Siddique sieht Platz für eine politische Alternative links von den Demokraten.

Der DSA-Covorsitzende Ashik Siddique sieht Platz für eine politische Alternative links von den Demokraten.

(Foto: Roland Peters)

Ocasio-Cortez ist Mitglied bei DSA, aber zugleich Star des kleinen progressiven Flügels der Demokraten, der sich häufig inhaltlich mit den linken Organisationen deckt. Als die Abgeordnete tags darauf im republikanisch dominierten Bundesstaat Utah auf der Bühne steht, appelliert sie an die 15.000 Menschen in der komplett gefüllten Halle von Salt Lake City, sich nicht wie so häufig im progressiven Klein-Klein zu verlieren. “In dieser Bewegung geht es nicht um Parteien oder Reinheitsgebote”, ruft sie: “Sondern um Solidarität!” Sanders tritt danach auf die Bühne und zieht ihre Hand in die Höhe. “Ich möchte euch etwas über meine Tochter erzählen”, beginnt er vor der jubelnden Menge und legte seine Hand auf Ocasio-Cortez’ Schulter. Sie wirkt auf viele tatsächlich wie seine Tochter im Geiste, tatsächlich verwandt sind sie aber nicht. “Zukünftige Präsidentin!”, ruft eine Stimme aus dem Publikum.

“Vor sechs Jahren war sie Kellnerin und sah eine grundlegend ungerechte Gesellschaft”, erzählt Sanders nun. Sie habe im Wahlkreis in Brooklyn einen der mächtigsten Männer im Repräsentantenhaus mit fast grenzenlosen Finanzmitteln herausgefordert und gewonnen. “In dieser Arena mit 15.000 Menschen gibt es Hunderte Alexandrias”, meint Sanders und warnt: “Das Establishment sagt, wir haben das Geld und die Macht, ihr habt nichts und ihr werdet nichts dagegen tun.” Aber das dürfe man nicht mehr akzeptieren.

Rebellion an der Parteispitze

Der Widerstand gegen die etablierten Kongresspolitiker der Demokraten hat inzwischen auch die Parteiführung erreicht. David Hogg, einer der vier Vizechefs der Demokraten, kündigte eine Vorwahloffensive gegen aktuelle Mandatsträger an. In Vorwahlen für den Kongress sollen 2026 jüngere Kandidaten “wirkungslose, am Lenkrad schlafende” Demokraten herausfordern, sagte der 25-Jährige: “Wir brauchen Leute, die hier sind, um zu kämpfen.” Hoggs politische Organisation “Leaders We Deserve” setzt nun 20 Millionen Dollar ein, um junge Progressive in den Kongress zu bringen, “um die Agenda der extremen Rechten zu bekämpfen”, wie es auf ihrer Website heißt. Es gibt weitere Organisationen, die progressive Herausforderer unterstützen.

Hogg war durch die “March for our Lives”-Demonstrationen für mehr Waffenkontrolle im Jahr 2018 bekannt geworden, einer der größten Protestwellen in den USA jemals. Auslöser waren mehrere Amokläufe an Schulen. Seit Februar gehört Hogg der Parteiführung an. Mit seiner öffentlichen Ankündigung fordert er potenziell die komplette Partei heraus, denn bei den Demokraten gilt die Regel: Die Führung unterstützt bei Vorwahlen keine Kandidaten, sondern unterstützt Amtsinhaber. Doch nicht nur deren Umfragewerte, sondern die der gesamten Partei sind dramatisch schlecht.

Der bisherige Politikstil der gemäßigten Töne, für den auch Joe Biden stand, ist angesichts der Trump’schen Aggressivität offensichtlich nicht gefragt. Erstmals seit Beginn einer jährlichen Umfrage im Jahr 2009 sind mehr Wähler der Demokraten mit der Arbeit ihrer Politiker im Kongress unzufrieden als zufrieden (49 Prozent zu 40 Prozent), haben die Meinungsforscher der Quinnipac University festgestellt. Im vergangenen Jahr waren noch 75 Prozent zufrieden.

“Demokraten bewegen sich zu langsam”

Vieles deutet also darauf hin, dass sich die Demokraten deutlich verändern müssen, um Wahlen gewinnen zu können. Die aktuelle Stimmung in der Partei kennen die Republikaner aus den Jahren vor 2016. Die Unzufriedenheit mit dem Politikstil der eigenen Vertreter trug Donald Trump und seine populistische Politik zweimal bis ins Weiße Haus. Hinter Sanders werden sich die Demokraten nicht mehr versammeln, so viel ist angesichts seines Alters klar. Trotzdem geht es darum, wohin sich die Demokraten bewegen: Orientieren sie sich nach links? Oder rücken sie in Richtung der Republikaner?

Zwei Gesichter des bisherigen Widerstands gegen Trump: Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders Zwei Gesichter des bisherigen Widerstands gegen Trump: Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders

Zwei Gesichter des bisherigen Widerstands gegen Trump: Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders

(Foto: REUTERS)

“Es gibt ein Führungsvakuum”, sagt Politikwissenschaftler Benjamin Radd von der UCLA, der Universität von Kalifornien, zu ntv: “Die Demokraten wissen nicht, an wem sie sich orientieren sollen.” Der “fehlende Nordstern” führe zu fehlender Einigkeit und damit Ohnmacht gegenüber der Vorgehensweise des Weißen Hauses. Es gebe viele Fraktionen in der Partei und viele Personen, die um diese Führungsposition konkurrierten.

“Die Demokraten sind gescheitert, weil sie sich zu langsam bewegen”, sagt Radd über die verlorene Wahl und die ersten Monate der neuen Regierung: “Trumps Bulldozer-Ansatz ist viel attraktiver.” Die Attraktivität der Linken und Progressiven hingegen ist seiner Ansicht nach eine heftige Gegenreaktion auf die aggressive Vorgehensweise des Weißen Hauses, die sich wieder abschwächen wird. “Die Populisten werden ihren Glanz verlieren”, meint Radd. Sanders und AOC erlaubten den Menschen, ihren Frust loszuwerden. “Aber die meisten Amerikaner werden in der Mitte stehen wollen. Nicht an einem der beiden Enden.”

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