Kultur

Neues Album von Postrocker David Grubbs: Beim Holzhacken entstanden | ABC-Z

Kann David Grubbs der Schönheit nicht trauen? Mit einem folkmusikalischen Motiv, einer Pendelmelodie, in die sich eine Abweichung schleicht, eröffnet der US-Multiinstrumentalist sein neues Soloalbum „Whistle from Above“. Im Koffer hat er elektrische Gitarre, Piano, Lap Steel und Elektronik. Das Titelstück entwickelt partielle Unruhe, hinzu kommt ein rauer, elegischer Streicherton. Die zehnsaitige Fiddle, ein Instrument der irischen und norwegischen Folklore, spielt Cleek Schrey. Der Erforscher traditioneller wie experimenteller Musik ist einer von fünf Gästen bei Grubbs.

Als Egotrip sollte man sich „Whistle from Above“ nicht vorstellen, obwohl das Album in ländlicher Abgeschiedenheit beim Holzhacken entstanden ist. Der gemächliche Wintertraum, mit dem das Video zum zweiten Stück „The Snake on Its Tail“ beginnt, lässt kaum vermuten, dass David Grubbs ursprünglich von Punk und Hardcore kommt. Aber bald stehen in der weißen Ebene nicht mehr nur kahle Bäume, Scheunen und Kirchen, sondern rauchen Industrieschlote und blinken rote Rücklichter im Schneetreiben. Die Unruhe in der Musik ist nicht mehr latent, sondern mit Feedback und dem agilen Schlagzeugspiel von Andrea Belfi präsent.

Wie alle von Grubbs’ Gästen sind Belfi und der bald darauf einsteigende Trompeter Nate Wooley in Improvisation und Jazz versiert. Im Trio mit Grubbs spielen beide einen Noiserock, in dem ein klassischer Hardrock-Höhepunkt versteckt ist. Diese eigenständige Mischung aus Americana und Anarchie zeichnete auch das Klangbild von Gastr del Sol aus, jener um David Grubbs und Jim O’Rourke kreisenden Band aus dem Chicago der mittleren und späten neunziger Jahre.

Gastr del Sol gehören zu einer der spannendsten Musikgeschichten jenes Jahrzehnts, das zumeist mit Grunge und Techno assoziiert wird. Postrock lautet der, wie oft in solchen Fällen, so treffende wie diffuse Begriff. Er bündelt Bands, die in einem Atemzug genannt werden dürfen, aber nicht in eine Schublade gesteckt werden sollten: Mit Tortoise, The Sea and Cake oder eben Gastr del Sol ließ sich entdecken, was seit Velvet Underground, Captain Beefheart oder John Fahey interessant ist, der Raum, in dem die Direktheit von Rock und Folk auf die Finesse von Jazz und experimenteller Musik trifft.

Das Album

David Grubbs: „Whistle from Above“ (Drag City/Rough Trade)

Was da entstand, war oft, aber nicht immer instrumental und episch. Wiederentdecken lässt es sich auf „We Have Dozens of Titles“, einer 2024 erschienenen Raritätensammlung von Gastr del Sol. „Hung in the Sky of the Mind“, mit sieben Minuten das längste Stück auf „Whistle from Above“, kann als Reminiszenz an diese Zeit und zugleich ein Weiterdenken ihrer Konzepte gehört werden. Grubbs spielt ein sparsames, dabei deutliches Piano, Rhodri Davies eine perlende Schoßharfe, während sich der Horizont langsam zuzieht und in Minute fünf überraschend wieder aufreißt.

Die Musik zeigt Zähne

Mit „Scrapegrace“, der unheimlich wirkenden Kombination einer wiederholten Gitarrenfigur Grubbs’ und dem Cellospiel des griechischen Künstlers Nikos Veliotis, schließt die A-Seite des Albums. Bis hier war „Whistle from Above“ eine faszinierende Folge folkgrundierter Instrumentals mit Tendenz zum Freak out. Bevor das Album auf der B-Seite verstärkt Zähne zeigt, hat Grubbs „Poem Arrives Distorted“ gesetzt, eine Studie in Atmosphäre und Verdichtung, Innehalten und Beschleunigung.

Das Klanggedicht mit Störfaktor verweist darauf, dass David Grubbs auch als Autor hervorgetreten ist und seine Veröffentlichungen in Berlin in der Buchhandlung „pro qm“ vorgestellt hat. Der Laden im ehemaligen Scheunenviertel in Berlin-Mitte führt Literatur zu Stadt, Politik und Ästhetik, kurz gesagt zur Lebenswelt im Spätkapitalismus. An dessen Puls hat David Grubbs das Ohr, ohne plakativ zu werden.

Wie ein musikalischer Werkstattbericht mutet „Later in the Tapestry Room“ an, eine Collage disparater Signale und Stimmen. „Queen’s Side Eye“, wieder im Trio mit Cleek Schrey und Nate Wooley, greift die Einstiegsstimmung des genau gebauten Albums auf, fungiert als Ruhe vor dem Sturm und ist der passende Soundtrack zum Coverbild des Künstlerduos Jennifer und Kevin McCoy: „Ducks, Mist, Irrigation“, Enten, Nebel, Bewässerung in einer perspektivischen Collage.

Für das Rückcover wurde David Grubbs schreiend fotografiert. Der Künstler klappt „Whistle from Above“ zu mit „Synchro Fade Pluck Stutter Slip“, einem Blitz, dem es die Sprache verschlagen hat. Von oben kommt tatsächlich nur noch ein Pfeifen.

David Grubbs, den man zum anderen Amerika zählen darf, ist vor Kurzem in Großbritannien aufgetreten. Im Juni kommt er nach Barcelona. Deutschland darf hoffen. Und was die Eingangsfrage anbelangt: David Grubbs’ Vorstellung von Schönheit ist seine. Besser drum.

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